Der Wert der ausgeführten Rüstungsgüter der USA ist im vergangenen Jahr um 16 Prozent gestiegen. Das heizt die Spekulation an.

Christof Leisinger  für die Online-Zeitung INFOsperber

Die Rüstungsexporte der USA haben im vergangenen Jahr ein Rekordvolumen erreicht. Der Gesamtwert sei um 16 Prozent auf 238 Milliarden Dollar gestiegen, teilte das Aussenministerium am Montag mit. Waffenverkäufe seien «ein wichtiges aussenpolitisches Werkzeug», heisst es dort unverbrämt. Viele Länder versuchten, die nach Ukraine-Lieferungen ausgedünnten Waffen- und Munitionsbestände aufzufüllen und sich auf grössere Konflikte vorzubereiten.

Steigende Nachfrage nach amerikanischen Waffen aus dem Ausland

Die Zahlen untermauern die Spekulationen an den internationalen Finanzmärkten, wo die Aktienkurse amerikanischer Rüstungsriesen wie Lockheed Martin, Raytheon, Northrop Grumman oder auch General Dynamics in Erwartung höherer Umsätze angesichts der zunehmenden globalen Instabilität in den vergangenen Monaten deutlich angezogen haben. Sie sollten in den Augen der Investoren zumindest in einem freundlichen Marktumfeld weiteren Auftrieb haben.

Es gibt zwei Hauptwege, auf denen ausländische Regierungen Waffen von amerikanischen Unternehmen erwerben: direkte kommerzielle Verkäufe, die mit einer Firma ausgehandelt werden, oder ausländische militärische Verkäufe, bei denen eine Regierung normalerweise einen Beamten des Verteidigungsministeriums in der amerikanischen Botschaft in ihrer Hauptstadt kontaktiert. Beide erfordern die Zustimmung der Regierung in Washington.

Die Amerikaner exportieren immer mehr oder immer teurere Waffen. © Christof Leisinger

Die direkten militärischen Verkäufe amerikanischer Konzerne stiegen von 153,6 Milliarden Dollar im Geschäftsjahr 2022 auf 157,5 Milliarden Dollar im Geschäftsjahr 2023, während die von der Regierung vermittelten Verkäufe von 51,9 Milliarden Dollar im Vorjahr auf 80,9 Milliarden Dollar im Geschäftsjahr 2023 stiegen.

Zu den jüngst genehmigten Verkäufen gehörten High Mobility Artillery Rocket Systems oder besser die so genannten HIMARS-Raketensysteme im Wert von 10 Milliarden Dollar an Polen, AIM-120C-8 Advanced Medium-Range Air-To-Air Missiles (AMRAAM) im Wert von 2,9 Milliarden Dollar an Deutschland und National Advanced Surface to Air Missile Systems (NASAMS) an die Ukraine. Lockheed entwickelten und produzieren die HIMARS, und RTX, ehemals Raytheon, das AMRAAM. RTX und das norwegische Unternehmen Kongsberg stellen NASAMS her.

Aufkommende «Kriegs- und Rüstungsdynamik»

Lockheed Martin, General Dynamics und ihre Konkurrenten gehen davon aus, dass die weiteren Aufträge für die Produktion Hunderttausender von Artilleriegeschossen, Hunderter von Patriot-Abfangraketen und zunehmende Aufträge für die Herstellung gepanzerter Fahrzeuge ihre Umsatz- und Gewinnzahlen in den kommenden Quartalen stützen oder gar weiter beflügeln werden.

Von dieser «Kriegs- und Rüstungsdynamik» profitieren auch die europäischen Ableger der amerikanischen Rüstungsriesen oder ihre lokalen Konkurrenten wie zum Beispiel Rheinmetall. Längst haben die allerorten aufgekommenen Forderungen und Pläne, die Militärbudgets zu erhöhen, wilde Blüten getrieben. Bei den Werten des deutschen Rüstungskonzerns ging es in den vergangenen Monaten ähnlich zu wie phasenweise bei den sogenannten Meme-Aktien an der Wall Street – so hat sich der Kurs der deutschen Rüstungsschmiede Rheinmetall in den vergangenen zwei Jahren auf hohem Niveau in etwa verdreifacht.

Lockheed Martin macht mit Rüstungsgütern den grössten Umsatz. © Christof Leisinger

Der Konzern hatte der deutschen Bundesregierung früh die Lieferung von Munition, Helikoptern sowie Ketten- und Radpanzern für gut 40 Milliarden Euro angeboten, wie es hiess. Der Auftragsbestand liegt deutlich über den aus der «friedlichen Vergangenheit» gewohnten Niveaus. Auch bei anderen Rüstungsunternehmen wie etwa der französischen Thales, der italienischen Leonardo, der britischen BAE Systems und dem deutschen Sensor- und Radarunternehmen Hensoldt ging es plötzlich stark nach oben.

Insgesamt verdichtet sich in der Rüstungsindustrie die Erwartung, dass die Nachfrage nach ihren Produkten und Dienstleistungen in nächster Zeit hoch bleiben wird. Immerhin fürchten die europäischen Länder neuerdings, zum nächsten Ziel russischer Aggressivität zu werden, die Länder des Nahen Ostens misstrauen Iran, Südkorea blickt skeptisch auf den ungemütlichen Nachbarn im Norden, und viele asiatische Länder beobachten mit Argwohn das expansionistische Treiben Chinas.

Auch die General-Dynamics-Tochter Mowag in Kreuzlingen hofft

Insgeheim hofft auch die General-Dynamics-Tochter Mowag in Kreuzlingen, die den Radpanzer Piranha baut, davon profitieren zu können. Allerdings wiegelt das Management ab. Es klagt über hohe Material- und Energiekosten sowie über angebliche Wettbewerbsnachteile, die sich aufgrund der innenpolitischen Debatte über die Weitergabe von in der Schweiz hergestellten Rüstungsgütern ergeben könnten. Die latente Unsicherheit drohe mittel- und langfristig das Geschäft zu belasten.

Amerikaner und Russen haben schon immer viel für das Militär ausgegeben. © Christof Leisinger

Derartige Sorgen haben die amerikanischen Rüstungskonzerne nicht. Sie gelten gemeinhin als Speerspitze unter technologischen Gesichtspunkten und punkto Verlässlichkeit, allerdings hat diese ihren Preis. Tatsächlich sind die amerikanischen Produkte und Dienstleistungen zum Teil deutlich teurer als günstigere Alternativen etwa aus China – und oft bieten internationale Konkurrenten auch noch günstigere Finanzierungsmöglichkeiten oder stellen geringere Bedingungen in Bezug auf Menschenrechtsfragen oder auf die allgemeine Transparenz.

Ohnehin sind die amerikanischen Rüstungsriesen nur bedingt auf die Exporte angewiesen, weil die Vereinigten Staaten mit 1,2 Millionen Personen im aktiven Dienst selbst eine der grössten Militärmächte weltweit sind und – vor allem auch – weil sie über das mit Abstand grösste Militärbudget verfügen. Glaubt man den Zahlen des Sipri, also des Stockholm International Peace Research Institute, so gibt das Land der unbegrenzten Möglichkeiten seit dem Jahr 2000 zwischen drei und fünf Prozent seines wirtschaftlichen Leistungsvermögens für die Verteidigung aus.

Die Amerikaner haben mit Abstand das höchste Militärbudget

Im Jahr 2020 waren das etwa 780 Milliarden Dollar oder so viel, wie die EU, China, Indien, Russland, Grossbritannien, Saudiarabien und Japan zusammen für das Militär aufwendeten. Natürlich stossen die hohen Ausgaben der Amerikaner für Militär regelmässig auf Kritik, immerhin zählen sie neben den Aufwendungen für Soziales und Zinsen zu den grössten Budgetposten. «Bidens erster Haushaltsplan war ein grosser Erfolg für die Interessenvertreter des militärisch-industriellen Komplexes,» heisst es zum Beispiel vonseiten des unabhängigen Project On Government Oversight (Pogo).

Die Aktionäre von Rheinmetall gehören zu den Kriegsgewinnlern © Christof Leisinger