Berlin will Mittel für Waffenlieferungen an die Ukraine verdoppeln. Laut Experten muss Kiew entscheiden, ob es verhandelt oder 2024 neue Offensiven plant. Dafür wäre massive High-Tech-Aufrüstung nötig.

Die Bundesregierung will Berichten zufolge die Mittel für Waffenlieferungen an die Ukraine im nächsten Jahr gegenüber ihren ursprünglichen Plänen verdoppeln. Demnach sollen nicht vier, sondern acht Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden, um die ukrainischen Streitkräfte aufzurüsten. Deutschland ist schon jetzt Kiews stärkster Rüstungslieferant nach den USA und hat bereits Waffen im Wert von mehr als 17 Milliarden Euro zugesagt. Zu den Hauptprofiteuren gehören deutsche Rüstungsfirmen, die die Ukraine unter anderem mit Munition (Rheinmetall) oder neuen Flugabwehrsystemen (Diehl Defence) ausstatten. Für die Rüstungskonzerne bietet der Ukraine-Krieg zudem die Chance, Kriegsgerät unter Originalbedingungen zu testen. Die Aufstockung der Berliner Gelder wird in einer Zeit geplant, in der für die Ukraine laut Einschätzung von Experten eine wichtige Entscheidung ansteht: Entweder müsse Kiew nach dem Scheitern seiner Offensive Verhandlungen mit Moskau starten, urteilt der Militärhistoriker Markus Reisner; oder der Westen müsse mit seinen Waffenlieferungen „All-in gehen“, sie also massiv ausweiten. Notwendig sei es vor allem, mit neuem High-Tech-Gerät russische Drohnen auszuschalten.

„Ein Erfolg der Ampel“

Die Bundesregierung will die Mittel für Waffenlieferungen an die Ukraine im kommenden Jahr gegenüber der ursprünglichen Planung verdoppeln. Bereits jetzt hat Deutschland höhere Beträge für die Aufrüstung der ukrainischen Streitkräfte zur Verfügung gestellt als jedes andere Land außer den USA: Nach Angaben des Kiel Institut für Weltwirtschaft belaufen sich die Berliner Zusagen bislang auf 17,1 Milliarden Euro, diejenigen der Vereinigten Staaten auf 42,1 Milliarden Euro.[1] Geliefert wurden etwa Kampf-, Schützen- und Flugabwehrpanzer, Mehrfachraketenwerfer und Flugabwehrsysteme. Für das kommende Jahr hatte die Regierung zunächst vier Milliarden Euro für Waffenlieferungen an die Ukraine eingeplant; der Betrag soll nun auf acht Milliarden Euro erhöht werden. Laut Berichten wird der Haushaltsausschuss des Bundestages an diesem Donnerstag darüber entscheiden. Zu klären sei nur noch die Gegenfinanzierung, wird der Grünen-Haushaltspolitiker Sebastian Schäfer zitiert.[2] Rechne man die Gelder zum offiziellen Streitkräfteetat hinzu, dann erreichten die Militärausgaben 2,1 Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung – mehr als von der NATO gefordert, heißt es in Berlin. Der SPD-Haushaltspolitiker Andreas Schwarz erklärte am Sonntag, das sei „ein großer Erfolg der Ampel“.[3]

Berliner Prioritäten

Unmittelbarer Profiteur der Bereitstellung immer höherer Summen für die Aufrüstung der Ukraine ist nach wie vor die deutsche Rüstungsindustrie. Jüngstes Beispiel ist der vergangene Woche erteilte Auftrag der Bundesregierung an den Düsseldorfer Rheinmetall-Konzern, für Kiew gut 100.000 Mörsergranaten des Kalibers 120 Millimeter zu produzieren. Die Granaten sollen „innerhalb der kommenden zwei Jahre“ ausgeliefert werden, teilte Rheinmetall mit.[4] Die Kosten belaufen sich auf eine dreistellige Millionen-Euro-Summe. Zu den Firmen, die von der Aufrüstung der Ukraine profitieren, gehört etwa auch Diehl Defence aus Überlingen (Bodensee). Das Unternehmen stellt die IRIS-T-Flugabwehrsysteme her, von denen Berlin Kiew bislang drei geliefert hat. Die Kosten für sechs IRIS-T-Flugabwehrsysteme, deren Kauf der Haushaltsausschuss des Bundestags im Juni genehmigte, wurden mit 950 Millionen Euro beziffert.[5] Drei Systeme kosten demnach eine knappe halbe Milliarde Euro. Im Sommer sorgte zeitweise für heftige Debatten, dass die Bundesregierung nicht bereit war, für die Kindergrundsicherung die vom Familienministerium für nötig gehaltenen zwölf Milliarden Euro bereitzustellen. Die Ampelregierung beschränkte die Mittel dafür im August auf 2,4 Milliarden Euro.[6]

Zwei Optionen

Die Entscheidung zur Verdopplung der Mittel für die Aufrüstung der ukrainischen Armee erfolgt, während laut Einschätzung von Militärs wichtige Entscheidungen anstehen. Nach der gescheiterten ukrainischen Sommeroffensive hat Präsident Wolodymyr Selenskyj kürzlich erklärt, Kiew verfüge bereits über „einen sehr konkreten Plan“ für eine neue Offensive im kommenden Jahr.[7] Dem steht jedoch die Einschätzung von Generalstabschef Walerij Saluschnyj entgegen, der Krieg befinde sich jetzt in einem militärischen Patt, das demjenigen an den Schützengräben des Ersten Weltkriegs gleiche.[8] Ähnlich hat sich am Wochenende der österreichische Militärhistoriker Markus Reisner geäußert, der seit dem vergangenen Jahr für seine Analysen zum Ukraine-Krieg bekannt ist. Reisner urteilt, es gebe aktuell nur noch „zwei Möglichkeiten“.[9] Die eine bestehe darin, „selbstkritisch einzugestehen“, dass der Krieg nicht zu gewinnen sei, und „mit Verhandlungen“ zu beginnen. Darauf haben Berichten zufolge Regierungsmitarbeiter aus den USA und Europa zuletzt bei Selenskyj gedrungen (german-foreign-policy.com berichtete [10]). Wolle man das nicht, dann sei es erforderlich, „All-in zu gehen“, erklärt Reisner: „Da müssten aber jede Woche vier bis fünf beladene Militärzüge in die Ukraine fahren.“

„Free the Leopards!“

Dass allerdings allein Waffenmassen nicht genügen, um das Ruder herumzureißen, zeigt das Beispiel des Leopard 2. Der Kampfpanzer wurde zu Jahresbeginn in Deutschland nahezu als Wunderwaffe für die Ukraine gepriesen. Nach einer umfangreichen Kampagne („Free the Leopards!“) sagte Berlin Ende Januar seine Lieferung schließlich zu; die Vizepräsidentin des Bundestages Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen) jubelte auf Twitter: „The Leopard’s freed!“ Fachleute konstatieren heute, dass der Kampfpanzer keinerlei Durchbruch ermöglicht hat. Zunächst sei er in Minenfeldern steckengeblieben, dann mit Hilfe einfacher Quadrocopter ausgeschaltet worden, die Granaten auf ihn geworfen hätten, wird berichtet. Zwar hätten die ukrainischen Streitkräfte versucht, ihn „mit angeschweißten Gitterkäfigen“ vor solchen Granaten zu schützen.[11] Mittlerweile habe das russische Militär aber Drohnen so weiterentwickelt, dass dass die Drohnenpiloten „Anflugwinkel und Einschlagstelle exakt wählen“ könnten. Dadurch sei es möglich, die bekannten Schwachstellen des Panzers auszunutzen und ihn zu zerstören. Die gescheiterte ukrainiche Offensive, die auch in Berlin zunächst – wie die Leopard 2-Lieferung – bejubelt wurde, hat freilich zahllose Todesopfer gekostet und immense Zerstörungen mit sich gebracht.

Labor für Kriege der Zukunft

Laut Reisner kann es der Ukraine nur dann gelingen, „das Momentum auf ihre Seite zu ziehen“, wenn sie fähig ist, „innovativ das elektromagnetische Feld zurückzuerobern“.[12] Hintergrund ist, dass vor allem Drohnen mittlerweile ein „gläsernes Gefechtsfeld“ erzeugen, auf dem kaum eine Bewegung unentdeckt bleibt und auf dem feindliche Truppen – ebenfalls mit Hilfe von Drohnen – jederzeit ausgeschaltet werden können. Notwendig sind demnach Technologien, mit denen jegliche Steuerung von Drohnen effizient gestört werden kann. Ähnlich hatte sich vor kurzem der ukrainische Generalstabschef Saluschnyj geäußert. Reisner weist darauf hin, dass Saluschnyj kürzlich den ehemaligen Leiter des Google-Konzerns Eric Schmidt getroffen hat; Schmidt hat im Oktober 2021 das Special Competitive Studies Project (SCSP) gegründet, das nach Mitteln und Wegen zur Wahrung der US-Technologiedominanz sucht. Neben der Frage, wie sich fremde Drohnen umfassend ausschalten lassen, habe das Treffen mutmaßlich „künstliche Intelligenz“ (KI) zum Thema gehabt, urteilt Reisner: „Viele Sensoren generieren Daten“; dann werte die KI sie in Blitzesschnelle aus und schlage präzise Operationen vor – so könnten sich heute Kriege gewinnen lassen. Fraglich ist freilich, ob Washington bereit ist, Spitzentechnologien preiszugeben, oder ob es sie nicht eher für eigene Kriege reserviert. Sollte es sie teilweise preisgeben, dann würden die Schlachtfelder der Ukraine inklusive ihres Massensterben noch stärker zum Labor für die Kriege der Zukunft.

[1] Ukraine Support Tracker. ifw-kiel.de.
[2] Sven Lemkemeyer, Christopher Ziedler: Von vier auf acht Milliarden Euro: Ampelkoalition will Militärhilfe für Ukraine 2024 verdoppeln. tagesspiegel.de 12.11.2023.
[3] Deutschland verdoppelt Militärhilfe für die Ukraine. tagesschau.de 12.11.2023.
[4] Rheinmetall liefert Ukraine Zehntausende Mörsergranaten. n-tv.de 08.09.2023.
[5] Beschaffung: IRIS-T SLM, Einstieg in Arrow und weitere Wechselladersysteme. bmvg.de 15.06.2023.
[6] 2,4 Milliarden Euro für Kindergrundsicherung. tagesschau.de 28.08.2023.
[7] Zelensky Says Ukraine Has a ‘Concrete Plan’ for Battlefield Success by Year-End. kyivpost.com 09.11.2023.
[8] S. dazu Heikle Gespräche.
[9] Roman Goncharenko: Militärhistoriker: Westen redet sich Ukraine-Krieg schön. dw.com 10.11.2023.
[10] S. dazu Heikle Gespräche.
[11] Gernot Kramper: Kampfpanzer versus Drohne: Ein ungleicher Kampf, den auch der Leopard nicht gewinnen kann. stern.de 04.11.2023.
[12] Roman Goncharenko: Militärhistoriker: Westen redet sich Ukraine-Krieg schön. dw.com 10.11.2023.

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