Auf dem Bundeskongress der ver.di wurde heftig um den zukünftigen Weg der Gewerkschaften gestritten. Wir publizieren verschiedene kritische Beiträge zum Kurs der ver.di Führung und zum Verlauf des Kongresses.

Nachbetrachtung und “wie weiter?” zum Antikriegskurs

Der Ver.di Bundeskongress hat ein JA zum Kriegskurs beschlossen. Die Führungsgremien haben ihren intensiv vorbereiteten Leitantrag in seinen Grundzügen schließlich durchgeboxt. Hier im Wortlaut der Leitantrag E-084

Grund für gewerkschaftliche Kriegsgegner, nun wegen einer totalen Niederlage den Kopf in den Sand zu stecken? Nein, überhaupt nicht.

Denn durchgängig wurden auf dem Bundeskongress die Widersprüche zum beschlossenen Kriegs- und Anpassungskurs an die Regierungspolitik deutlich artikuliert. Schon bei der Eröffnungsrede des Bundeskanzlers gab es heftigen Protest von über hundert Delegierten gegen die “Zeitenwende”. Die anschließenden Debatten waren durchzogen mit Beiträgen, die sich für konsequent kämpferische Gewerkschaften einsetzen und sich gegen eine kapitalpartnerschaftliche Politik und gegen eine Instrumentalisierung der Gewerkschaften für den Kriegskurs der Regierung aussprechen. Die Reden von Marie und René (siehe Video) stehen für zahlreiche weitere Beiträge dieser Art. Man beachte den unüberhörbaren Applaus, den die Beiden aus der 900-köpfigen Delegiertenschaft bekamen.

Eine faire Aussprache und Abstimmung über die einzelnen Gegen- und Änderungsanträge wurde letztlich mit undemokratischen Geschäftsordnungstricks unterbunden. Ein Zeichen, dass bei den Verantwortlichen die Angst wohl groß war, dass die Argumente der Kriegsgegner doch noch viele verunsicherte und zweifelnde Delegierte überzeugen könnten.

Der Antrag selbst trägt verbal dem “Kriegsunwillen” großer Teile der gewerkschaftlichen Mitgliederschaft Rechnung. Die Diktion ist alles andere als die einer Strack-Zimmermann oder Baerbock. Die Zustimmung zu Waffenlieferungen, Sanktionen und generell dem Kriegskurs der Regierung wird in viel Schafswolle eingehüllt. “Uns eint die Ablehnung eines Denkens in rein militärischen Kategorien” heißt es u.a., oder dem Ja von “notwendigen” Waffenlieferungen wird hinzugefügt, aber “zugleich darf es nicht zu einer weiteren Eskalation dieses Krieges kommen” und “es ist problematisch, da so weder Strategien der Konfliktbeilegung jenseits militärischer Gewalt in den Blick genommen werden “.

Vielen Delegierten drückte sich so der Eindruck auf, dass sie eigentlich mit JEIN abstimmen. ABER dieses JEIN bedeutet in letzter Konsequenz ein JA! Es besteht eben KEINE satzungsmäßige Verpflichtung mehr “militaristische Tendenzen zu bekämpfen”. Und bisher klare Grundprinzipien wie “Keine Waffenlieferungen in Kriegs- und Krisengebiete” sowie die Ablehnung einer (übrigens in mehreren UN-Resolutionen verurteilten) Sanktionspolitik wurden explizit geschreddert. Die Lehren aus 2 Weltkriegen und Faschismus gelten nicht mehr. Weitgehend ausgeblendet wird auch die Tatsache, dass es die Lohnabhängigen sind, die die Zeche zahlen. Das alles stellt einen Türöffner dar, um dem neuen Kriegskurs der Regierung Stück für Stück gänzlich zustimmen zu können. Wenn die letzten 18 Kriegsmonate eines gelehrt haben, dann ist das Folgendes: Jedes nur halbherzige Nein hat noch jede Rote Haltelinie zum Einsturz gebracht.

Damit es dazu nicht kommt, ist quasi “Häuserkampf” angesagt, muss ab sofort jedes einzelne Haus verteidigt werden, muss sich zu jeder einzelnen Zustimmung zu weiterer Kriegseskalation energischer Widerspruch aus der Mitgliedschaft rühren. Vom Kongress gingen klare Signale aus, dass dazu eine Basis entstehen kann.

Immerhin hat eine deutlich sichtbare Minderheit von 20% der abstimmenden Delegierten dem Leitantrag zur Aufweichung des gewerkschaftlichen Antikriegskurses des Vorstandes NICHT zugestimmt! Trotz der beschriebenen Umstände stimmten schließlich 170 Delegierte gegen den Vorstandsantrag. 26 Delegierte enthielten sich. 853 stimmten ab. Über 12 000 Gewerkschafter*innen unterstützen den Aufruf zum ver.di Bundeskongress “Sagt Nein gegen Krieg, Militarisierung und Burgfrieden”

Skeptisch bleibenschreiben die Initiatoren von “Sagt Nein gegen Krieg, Militarisierung und Burgfrieden”

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Liebe Unterstützer:innen,

nach dem Ende des ver.di-Bundeskongresses geht jetzt der Kampf um die Deutung der Ergebnisse heftig los.

Für uns steht fest:
Mit der fast vollständigen 1:1 Annahme des Leitantrages des Bundesvorstandes/Gewerkschaftsrates wurde faktisch Satzungsbruch beschlossen, denn § 5, Ziff. 3, lit i. der ver.di-Satzung verpflichtet die Organisation darauf,  „militaristische Tendenzen zu bekämpfen“. Für einen solchen satzungsändernden Beschluss hätte es einer qualifizierten 2/3-Mehrheit des Kongresses bedurft. Diese wurde aber gar nicht abgefragt.

Festzustellen ist weiter:

ver.di hat eine historische Entscheidung in Abkehr von den bisherigen wertvollen, historisch begründeten und schützenswerten antimilitaristischen Grundsätzen getroffen, und diese Entscheidung wird den heute Verantwortlichen und der gesamten Organisation eher früher als später auf die Füße fallen. Der Krieg wird weiter eskalieren und sie werden noch ganz anderen Dingen zustimmen müssen. Der Krieg wird das in Fortsetzung ihrer heutigen `Logik` verlangen.

Einen detaillierten und lesenswerten Augenzeugenbericht des Kollegen Gotthard Krupp, Delegierter auf dem Bundeskongress, den wir nicht in allen Facetten teilen, der aber sehr plastisch nachvollzieht, was geschah und wie die Strippen gezogen wurden, findet Ihr hier.

Lesenswert auch die skeptisch bleibende Nachbereitung von Susanne Knütter in der JungenWelt von heute.

Wie versprochen finden jetzt die regionalen Netzwerktreffen von SAGT NEIN! statt. Das erste in BERLIN, 11.10.2023 um 18 Uhr, Mediengalerie, Dudenstrasse.

Weitere sind bereits in Planung für München, Marburg, Chemnitz und Köln.

Wir halten Euch auf dem Laufenden.

Der Originalartikel kann hier besucht werden