Ich gehe mit wenigen Menschen durch Straßen, es ist vier Uhr nachmittags und es ist sehr heiß, aber was am schwersten wiegt, ist die hohe Luftfeuchtigkeit. Plötzlich höre ich den Raketenalarm. Ich gehe ruhig weiter, aber ich sehe Menschen, die hinüberlaufen und in Schutzzonen von Gebäuden verschwinden.

Mir wird klar, dass die Menschen die Alarme hundertprozentig ernst nehmen und jeder, wirklich jeder, in Deckung geht. Autos halten an, Menschen steigen aus und legen sich in möglichst großer Entfernung auf den Boden. Überrascht, da ich bei den Alarmen bisher keinen Schutz gesucht hatte, finde ich mich auf einem Parkplatz eines Gebäudes wieder, unter einem Dach und an der Rückseite, gut geschützt durch drei Wände, und über mir ist das Gebäude. Der Alarm stoppt und ein paar Sekunden später gibt es eine laute Explosion am Himmel, fast über uns. Eine Mutter, die im Gan Meir (Park im Zentrum von Tel Aviv) war, zeigt auf eine kleine runde Wolke am Himmel direkt über uns. Ich verstehe, dass dies das Ergebnis der Raketenabwehr durch Iron Dome ist, die jede Stadt und jedes Viertel in Israel abdeckt und weshalb nur wenige Raketen auf israelischem Boden einschlagen. Allerdings ist das Abwehrsystem nicht unfehlbar, und am Samstag schlugen mehrere Hamas-Raketen in Gebäuden, auf Plätzen und auf israelischem Boden ein und verursachten neben Toten und Verletzten auch schwere Schäden. Erst gestern schlugen mehrere Raketen in der Hafenstadt Aschkelon ein.

Mittwoch, 11. Oktober 2023

Ich verlasse Israel in einem gewissen Widerspruch, denn es war mir wichtig, hier zu sein, mich als Teil von etwas sehr Wichtigem zu fühlen, mit Freunden zu sprechen und zu helfen, die Stimmung zu heben. Aber meine Tochter Tanya ist in Chile verzweifelt, vor allem wenn sie die Nachrichten sieht, die wirklich erschreckend sind, Szenen eines blutigen und gewalttätigen Krieges. Der heutige Journalismus neigt dazu, das Abscheulichste hervorzuheben und sich daran zu erfreuen, Gewalt in ihrer extremsten Form zu zeigen. Viele Bilder, die das israelische Fernsehen NICHT zeigt, entweder aus Rücksicht auf die Familien der Opfer oder um die Gefühle der israelischen Bevölkerung nicht weiter zu verletzen, werden von Sendern oder Kanälen in anderen Ländern gezeigt, so auch in Chile (wo der Journalismus besonders reißerisch ist). Und es gibt ernsthafte Drohungen, dass im Falle von Angriffen der Hisbollah aus dem Norden der Flughafen geschlossen und ich somit in Israel blockiert werden könnte, was ich mir auch nicht wünschen würde.

Also beschloss ich, mich mit dem chilenischen Konsulat in Israel in Verbindung zu setzen, wo man mich schnell als Passagier für den dritten Flug der chilenischen Luftwaffe anmeldete, der zur Rettung von Chilenen eingesetzt wird, die Israel verlassen wollen. Und hier bin ich nun, auf einem Flug nach Kreta, wo wir auftanken werden, und dann weiter nach Madrid. Dort wird das Außenministerium meines Landes das Kommando übernehmen, und wir werden sehen, wie es dann weiter geht.

Neben mir auf diesem Flug sitzt eine jüdische Dame, die darauf besteht, die chilenische Regierung zu kritisieren. Ich mache ihr klar, dass sie dank einer Initiative von Präsident Gabriel Boric und unserem Kanzleramt … gerettet wird, und sie schaut mich mit einem Blick an, der ausdrückt „Ich sitze neben einem Kommunisten“ …

Der Flughafen von Tel Aviv war voll von Menschen. Ein religiöser Mann bot mir an, die Tefillin zu legen und zu beten …, ich sagte ihm: „Sie sollten das Land mit der Armee verteidigen“ und er wurde wütend. Natürlich ging ich schnell weg, ich hatte keine Lust auf einen Streit, schon gar nicht mit einem dieser religiösen Fundamentalisten, die nicht bereit sind, auf die Vernunft zu hören, denn für sie zählen nur die Bibel und ihre Studienbücher.

Das letzte, was ich in Tel Aviv gesehen habe, waren Gruppen von Menschen in drei Restaurants, die Mahlzeiten für israelische Armeesoldaten zubereiteten. Das überrascht mich, da ich davon ausgehe, dass die Logistik der Verpflegung der Soldaten in jeder Armee eine wesentliche Rolle spielen sollte, und ganz besonders in der israelischen Armee, die den Ruf hat, so gut organisiert und koordiniert zu sein. Doch dann sehe ich die Fotos und Videos von Soldaten, die diese Lebensmittelpakete erhalten und sich mit Briefen und Videos, Liedern und Salutschüssen bedanken. All diese Hilfe für die Armee wird nicht von der Regierung, sondern von der Zivilgesellschaft organisiert, vor allem von den Menschen, die regelmäßig an den Protesten gegen die derzeitige Regierung teilnehmen.

So viel zu meiner „Berichterstattung“ aus dem Kriegsgebiet. Bald werde ich an Orten sein, an denen andere Konflikte stattfinden und wo unterschiedliche Formen von Gewalt, aber auch Mitgefühl und Solidarität erlebt werden.

Die Übersetzung aus dem Spanischen wurde von Reto Thumiger vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!