Ein beeindruckend vielfältiges, äußerst lehrreiches, produktives und unvergessliches Wochenende in Wien liegt hinter uns. Von intensiver, konzentrierter und nüchterner Sacharbeit über kontroverse Diskussionen bis hin zu zutiefst berührenden Momenten war alles dabei. Ein Wochenende, an dem also Herz und Verstand (Corratio) auf Hochtouren im Dauereinsatz waren, das Gepäck deutlich schwerer ist, als es bei der Hinreise war und: es gibt Hausaufgaben.

von Tanja Stopper, friedenunddiplomatie.de

Wie bereits am 25. April angekündigt, riefen Internationale Friedensorganisationen* zu einem internationalen Treffen der Friedens- und Zivilgesellschaft auf und veranstalteten am 10. und 11. Juni in Wien den 1. Friedensgipfel der internationalen Friedensbewegung. Im Mittelpunkt der Konferenz standen nicht nur Kritik und Analyse, sondern auch kreative Lösungen und Wege zur Beendigung des Krieges und zur Vorbereitung von Verhandlungen. Dies ist nicht nur die Aufgabe von Staaten und Diplomaten, sondern heutzutage mehr und mehr auch die der globalen Zivilgesellschaft, insbesondere der Friedensbewegung.

Ein Ziel des Friedensgipfels war die Veröffentlichung eines dringenden globalen Appells, der „Wiener Erklärung für den Frieden“. In diesem Aufruf werden nicht nur die politischen Akteur:innen aufgefordert, sich für einen Waffenstillstand und Verhandlungen in der Ukraine einzusetzen, sondern erstmals auch eindringlich die globale Zivilgesellschaft. Daher enthält die Erklärung einen Aufruf zu einer globalen Mobilisierung vom 30. September bis 8. Oktober 2023 für einen sofortigen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen.

Demnach bot sich der Kongress direkt an, die globale Vernetzung zu intensivieren und koordinieren. „Dieses Wochenende sollte nur der Anfang sein“, so der Organisator Reiner Braun (IPB), und „dies war ein großartiger Anfang einer globalen Koordination“.

Denn neben der Vernetzung gab es einen umfangreichen Erfahrungsaustausch, eine gründliche Evaluierung bisheriger Maßnahmen, (Länder-)Vergleiche und es wurden deren daraus folgende Konsequenzen für künftige Aktionen gezogen. Ein Positivbeispiel ist Italien, das bereits mehrmals Hunderttausende für Friedensdemonstrationen mobilisiert hatte, indem man sich auf das Kernthema „Waffenstillstand und Verhandlungen“ konzentrierte. Andere kontroverse und momentan nachrangigere Themen für Aufrufe klammerten sie aus. Intensiv wurde daher darüber diskutiert, wie es zu einem stabilen Waffenstillstand kommen könnte, also über die Grundbedingungen und dessen Gerüst.

„Wir lassen uns nicht am Reden hindern“

Ein sich aus der Situation in Wien vor dem Wochenende heraus entstandenes weiteres Ziel des Kongresses war das Einstehen für und Ausüben der Redefreiheit, denn der Gipfel wurde massiv torpediert und die Beteiligten unter Druck gesetzt. Dabei wählten die Organisatoren gerade Österreich als Nicht-NATO-Staat und die Hauptstadt Wien mit Hauptsitz der UNO und dem Sekretariat der OSZE als neutralen Veranstaltungsort. Doch man wollte selbst hier unter allen Umständen den Friedensgipfel verhindern, denn man will keinen Frieden und auch nicht, dass Andere darüber sprechen.

„Das grenzt an ein Sprechverbot und ist alles andere als eine demokratische Geste. In autoritären Staaten würden man hier wahrscheinlich von Zensur sprechen,“ stellten Gerhard Kofler und Reiner Braun in ihrer Stellungnahme dazu fest. Selbst der Standard schrieb bereits zwei Tage vor dem Gipfel in seinem diffamierenden Artikel (der zwischenzeitlich mehrmals überarbeitet wurde!) in der Vergangenheit über ihn: „… der kommendes Wochenende in Wien hätte stattfinden sollen/physisch in Wien anwesend sein sollte laut Programm auch Clare Daly…“ Sie waren sich ihrer Sache also bereits sicher. Der Druck kam v.a. vom ukrainischen Botschafter Wasyl Chymynez in Österreich und von einigen anderen NGOs und Kritikern. Dieser muss dermaßen heftig gewesen sein, dass die ursprüngliche Pressekonferenz vom Presseclub Concordia abgesagt wurde und selbst die lang vereinbarte Location im ÖGB-Gewerkschaftshaus kurzfristig vom ÖGB storniert wurde. Doch die Veranstalter wurden deutlich unterschätzt, denn sie ließen sich trotz des heftigen Gegenwinds nicht unterkriegen:

„Wir, als Teil der weltweiten zivilen Friedensbewegung, lassen uns nicht am Reden hindern, selbst wenn wir die Konferenz in einen öffentlichen Park verlegen müssten,“ heißt es weiter in der Stellungnahme. Und es wurde kurzfristig umdisponiert und neue Orte für die Pressekonferenz und die Veranstaltung wurden gefunden.

So versammelten sich also über 800 Menschen (330 vor Ort und 500 online) aus 32 Ländern von allen Kontinenten: von engagierten Einzelpersonen über Organisationen hin zu einigen der bekanntesten Aktivisten, Autoren, auch ehemaligen UN-Diplomaten, Wissenschaftlern, Historikern, Regierungsangehörigen und Militärs.

„Wir sind eine breite und politisch vielfältige Koalition, die Friedensbewegungen und die Zivilgesellschaft vertritt. Wir sind uns einig in unserer Überzeugung, dass Krieg ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist und es keine militärische Lösung für die aktuelle Krise gibt.“

Die Teilnehmer:innen aus dem Globalen Süden berichteten u.a. über die dramatischen Folgen dieses Krieges für die Menschen in ihren Ländern und zeigten auf, wie sie zum Frieden beitragen können. Prominente internationale Rednerinnen und Redner verwiesen auf die wachsende Eskalationsgefahr des Krieges in der Ukraine und forderten eine Umkehr hin zu einem Friedensprozess. Als Referierende wirkten u.a. mit:

  • Ann Wright, Ehemaliger Colonel und Diplomatin, USA: „First, we need a ceasefire, only then the negotiations can start.“
  • Prof. Anuradha Chenoy, Indien: „Peace comes, when the West wants it.“ | „We need security for all sides.“ | „South an East are talking about international cooperation, the West is talking about international competition.“
  • Father Alejandro Solalinde, Berater des mexikanischen Präsidenten
  • Clare Daly, Mitglied des Europaparlaments, Irland: „Ukraine must win“ – although they lose every day.“
  • Bischof Álvaro Ramazzini, Guatemala
  • Vizepräsident David Choquehuanca, Bolivien: „If the path is not one of consciousness, there is no path.“ | „They talk good about Ukraine, they talk bad about Russia or they don`t talk at all, because
  • the narrative of transcending conflict is not part of war strategy.“ Prof. Jeffrey Sachs, USA: „To stop the fighting is the basis for everything.“
  • Michael von der Schulenburg, ehemaliger UN-Diplomat, Deutschland: „Europa ist mittlerweile schlimmer als die USA. Wir liefern z.B. Waffen, die sie nicht liefern… Was können wir auf dem Schlachtfeld gewinnen, was wir nicht durch Diplomatie gewinnen können?“
  • Prof. Noam Chomsky, USA
  • Medea Benjamin (US-amerikanische Aktivistin und Autorin): „If you don`t like the Chinese Plan, where`s your Peace Plan?!“ | „We must demilitarize to decarbonize!“ | „Stop the wars – stop the warming!“ | „Win the peace and not the war!“
  • sowie Friedensaktivist:innen aus Belarus**, der Ukraine** und Russland** und vielen weiteren Ländern.
  • Karyna Radchenko (Partnership for Advancing Innovative Sustainability, Ukraine): „We need a ceasefire first and then solutions.“
  • Olga Karach (Director, Center for Civil Initiatives „Our House“, Belarus), Yurii Sheliazhenko (Ukrainian Pacifist Movement, Ukraine), Oleg Bodrov (Public Counsil of the South Coast of the Gulf of Finland, Russland),
  • Nina Potarska (WILPF, Ukraine): „We need to define, which specific steps are needed for a ceasefire.“

Neben den Reden, Videobeiträgen, Zoom-Schalten und Podiumsdiskussionen gab es u.a. auch Working Groups, in denen die Teilnehmer:innen gemeinsam diskutierten und Erfahrungen austauschen konnten. Sehr viele hatten selbst Kriegserfahrung – entweder als Betroffene oder z.B. als humanitäre Helfer, Soldaten, Regierungsmitglieder oder UN-Diplomaten. Man kann sich gut vorstellen, dass die Diskussionen und der Austausch in den Pausen nicht aufhörte – im Gegenteil: meist wurde er dort noch vertieft.

Ich durfte z.B. Ute kennenlernen, eine ehemalige UN-Diplomatin (20 Jahre in der UN), die bereits in Afrika einen Friedensvertrag mit ausgehandelt hatte – oder einen Friedensaktivisten aus UK von worldbeyondwar, der nicht müde wurde zu betonen:

„Don`t just talk, but do! We have to explain and repeat that every day.“

Ich sprach mit Olga Karach, die dringend die Perspektive „Frauen und Friedensverhandlungen/Feminismus“ in die Debatte einbringen wollte. Aufgrund des umfangreichen Themas haben wir das Gespräch vertagt, ggf. auch für ein Interview. Dann gab es Gespräche mit Historikern und Wissenschaftlern ebenso wie mit 68`er Ostermarschierern.

Ich lernte Krista aus der Region San Francisco kennen, die alleine um die Welt reist und versucht, zu vernetzen, weil sie einfach nur das Gefühl hat, irgendwas tun zu müssen, bevor alles komplett eskaliert. Wien war ihr Startpunkt, jetzt ist sie weitergereist nach Lateinamerika.

Und dann: Diana aus dem Kosovo oder Carmen aus Spanien, die seit Jahrzehnten humanitäre Hilfe in allen möglichen Kriegsgebieten leistet. Ein Nordirländer, der in Brüssel arbeitet, erzählte vom Nordirlandkonflikt und eine Aserbaidschanerin, die große Hoffnung in den Kongress setzte, auch aktuell für ihr Land.

Schön war auch ein kurzes Gespräch mit Ann Wright, eine sehr bodenständige, intelligente und liebenswürdige Frau. Sie hat mich sehr motiviert.

Tore Naerland aus Norwegen von BikeForPeace, der trotz seiner Blindheit für den Frieden die ganze Welt bereist, beeindruckte mich sehr. Er ist unwahrscheinlich engagiert und voller Tatkraft – ich würde sagen, er hat mich am meisten motiviert. Und viele andere…

In den Working Groups wurde neben den Erfahrungsberichten auch stellenweise heftig diskutiert, doch diesbezüglich waren sich alle einig:

„The path to peace must be based on the principles of common security, respect for international human rights and self determination of all communities.

We support all negotiations that stand for the logic of peace instead of the illogic of war.“

Reiner Braun:

„Das ist nicht nur eine Friedenskonferenz, sondern auch eine für die Demokratie.“

„Dies war ein großartiger Anfang einer globalen Koordination.“

Der Originalartikel kann hier besucht werden