Onlinezeitung Infosperber

Der Ex-Brigade-General Erich Vad unterschrieb das Manifest gegen Waffenlieferungen an die Ukraine. Jetzt kam er in der NZZ zu Wort.

Vad wandte sich von Anfang an gegen die Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine. Über sachliche Argumente des umstrittenen Ex-Generals, der zeitweise militärpolitischer Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel war, informieren grosse Medien spärlich. In Talkshows wird er kaum mehr eingeladen. Als Vorwand wird Vad vorgeworfen, dass er der Ukraine nicht zutraute, die besetzten Gebiete zurückzuerobern. Lucien Scherrer titelte in der NZZ «Erbärmliche Loser, die vom Krieg keine Ahnung haben» und zitierte eine Aussage des früheren ukrainischen Botschafters Andri Melnik über Erich Vad und andere. Tamedia-Berlin-Korrespondent Dominique Eigenmann warf Vad im Tages-Anzeiger ohne Belege vor, er würde «russische Kriegsverbrechen relativieren». In der Basler Zeitung bezeichnete Eigenmann den Ex-General als «Liebling aller Extremisten».

Bereits am 15. Januar hatte Infosperber ein «Emma»-Interview mit Vad übernommen unter dem Titel «Ex-Brigade-General Erich Vad fragt: Was sind die Kriegsziele?» Auf genau diese Frage ging jetzt Erich Vad auch in der NZZ ein, die am 15. Mai einen seitenlangen Gastkommentar von Vad veröffentlichte. Infosperber dokumentiert im Folgenden einige seiner Kernaussagen:

«Russland kann sich aus dem Donbass und der Krim nicht einfach zurückziehen»

Russland führt einen Angriffskrieg. Es ist richtig, dass der Westen an der Seite der Ukraine steht und hilft. …

Waffenlieferungen zur Stabilisierung der Ukraine sind und bleiben wichtig. Es müssen jedoch auch die politischen und strategischen Ziele der Waffenlie­ferun­gen definiert und die damit zusammenhängenden Fragen beant­wortet werden: Will man mit der Lieferung von Panzern Verhandlungsbereitschaft er­reichen? Will man Donbass und Krim zurücker­obern? Oder will man Russland militärisch besiegen? …

Ein Zugriff des geopolitischen Riva­len USA auf die Schwarzmeerregion wäre für Russland ebenso we­nig hinnehmbar, wie es für die USA der Kontrollverlust in der Karibik und im Panamakanal oder für China der Kontrollverlust im Südchinesischen Meer sowie in Taiwan wäre. Vor diesem Hintergrund kann sich Russland aus geopoliti­schen und strategischen Gründen aus dem Donbass und der Krim nicht einfach zurückziehen. …

Wäre eine militärische Niederlage Russlands für den Westen überhaupt wünschens­wert? Wer sollte das damit entstehende strategische Vakuum in Eurasien füllen und die über hundert unterschiedlichen Föderationssubjekte, Regionen und Oblaste der Russischen Föderation zusammenhalten? Vom Ende her, strategisch gedacht, können ein Sieg über Russland und die damit einhergehende Destabilisierung des Landes nicht im europäischen politisch-strategischen Interesse sein.

Wenn aber eine Macht in der strate­gischen Interessensphäre einer anderen Macht interve­niert, gibt es von diplomatischem Är­ger bis zu gewaltsamen Konflikten vieles, was zum Krieg führen kann. Handelt es sich wie bei Russland um eine Nuklearmacht, ist besondere Vorsicht geboten – auch beim Aggressor, der dies weiss. …

Es lassen sich Dutzende Beispiele für die Bedeutung strategischer Interessen zwischen konkurrierenden Machtbereichen anführen. Man denke an die Bedeutung der Karibik für die Sicherheit der USA oder der Golanhöhen und der Strasse von Tiran für die Sicherheit Israels. Für das Nato-Mitglied Türkei gilt Gleiches, ein Land, das in Syrien und im Irak militärisch intervenierte und, parallel zum russischen Überfall auf die Ukraine, die Kurden bekämpfte. Die Türkei reklamiert für ihre strategischen Interessen – Völker­recht und territoriale Integrität der Nachbarländer hin oder her – eine Sicherheitszone in Syrien und im Irak. Ein freies Kurdistan wird die Türkei aus strategischen Gründen nicht dulden, selbst wenn völkerrechtliche Prinzipien wie das Selbstbestim­mungsrecht der Völker anderes fordern. …

Im Hinblick auf den Ukraine-Krieg geht es darum, zwischen einer freien Bündniswahl der Ukraine und der strategischen Balance in Europa abzuwägen. Aus geostrategischer Sicht ist eine Nato-Mitgliedschaft der Uk­raine für Russland nicht akzeptabel. Deshalb ist die Forderung, den Rus­sen die Kontrolle über die Krim und die Gebiete mit hoher Zahl russischsprachiger Be­völke­rung in der Ukraine zu über­lassen oder dem Donbass weitestge­hende Autonomie zu gewähren, aus strategischer Sicht realistischer, als auf das ukrainische Selbstbestimmungsrecht oder auf einen lang andau­ernden Abnutzungskrieg mit hohem Eskalationspotenzial zu setzen. …

Vollständiger Gastkommentar von Erich Vad in der NZZ hier.

Der Originalartikel kann hier besucht werden