Der Ostermarsch 2023 in Berlin bot eine Überraschung. Bekanntlich gab es viele Debatten und heftige Diskussionen im Vorfeld rundum das Thema Querfront, so dass man damit rechnen musste, dass sich dies negativ auf die Mobilisierung auswirkt. Die Partei DIE LINKE, sicher die größte Organisation im örtlichen linken Spektrum hatte ausdrücklich davon abgeraten, daran teilzunehmen. Die Gewerkschaften hielten sich recht bedeckt und blieben in ihren Äußerungen betont staatstragend. Und ein Teil der antimilitaristischen Linken hat den Termin sowieso nicht auf dem Ticket.

von Jochen Gester & Ingo Müller

Da war es dann doch erstaunlich, dass sich die Zahl der Teilnehmer:innen im Vergleich zum Vorjahr wohl mehr als verdoppelt, wenn nicht verdreifacht hat. Wir haben selbst gezählt: 320 Reihen mit im Durchschnitt 7 Leuten ergibt mehr als 2200 Demonstrant:innen. Von wegen „Hunderte“, wie es in einer der ersten Berichte von zeit.online hieß.

Den prägendsten Anteil des Marsches stellten – so jedenfalls konnte man es den mitgetragenen Meinungskundgebungen entnehmen – Menschen, die über die Eskalation des kriegerischen Konflikts ernsthaft besorgt sind und nicht glauben wollen, dass die Umwandlung der Ukraine in ein großes Reality-Life-Testlabor der Rüstungsindustrie einen Weg zu Frieden und Aussöhnung bahnen könnte. Ein Rundgang auf dem Sammelplatz verriet, dass ansonsten verschiedene Spektren der Linken und auch kleine gewerkschaftliche Gruppen präsent waren. Dem sorgfältigen Beobachter konnte auch ein Transparent des Querfrontprojekts „Die Basis“ nicht entgehen. Doch mochten weder diese – noch die etwas zahlreicheren Aktivisten der „Freien Linken“ dem Ganzen einen prägenden Stempel zu verpassen. Es war notwendig und gut, dass eine Rednerin der Friko ganz zu Beginn nochmal verdeutlichte, was die Veranstalter des Ostermarsches von den Rechten trennt und warum es sich hier um unvereinbare Welten handelt. Auch die politische Positionierung der Redner:innen fiel erfreulich deutlich aus: Kritik der kapitalistischen Verhältnisse, Notwendigkeit gesellschaftlicher Utopien und Solidarität mit den Leidtragenden des Krieges auf beiden Seiten der Front.

Besonders hervorheben möchte ich den Redebeitrag von Żaklin Nastić, der menschenrechtspolitischen Sprecherin der Linkspartei, die hier eine Art Ehrenrettung für ihre Partei ablieferte. Eine ungewöhnlich engagierte Rede mit der Vision grenzüberschreitender Solidarität hielt der ehemalige BSR-Personalrat Georg Heidel und Franziska Hildebrandt vom Hamburger SDS entwarf eine nachdenkenswerte pazifistische Utopie. Es ist diesen und vielen anderen Akteur:innen der gesellschaftlichen Linken zu danken, dass es jetzt überhaupt einen ernst zu nehmenden Widerstand gegen die herrschende Kriegsbegeisterung gibt. Das Spektrum der Linken, das es vorzieht, lieber im Kreis zertifizierter moralischer Glaubensgemeinschaften zu verharren, statt in einer der Natur nach vielfältigen Massenbewegung um deren antimilitaristische und antifaschistische Ausrichtung zu kämpfen, findet mittlerweile wohl mehr Wohlwollen bei den Bellizist:innen als bei denen, die ihnen das Handwerk legen möchten.

Eine kleine lautstarke Gegenkundgebung, die versuchte den Ostermarsch zu skandalisieren, wurde gerade einmal von einem Dutzend Leute besucht. Der Stimmungsumschwung in der öffentlichen Meinung beginnt auch langsam die Berichterstattung zu verändern. Der Protest wird weniger stigmatisiert, die Sorgen der Menschen ernster genommen.

Redebeiträge:

Video:


Anmerkung zu den Tondatei:
Die in Hintergrund zu hörende lauten Zwischenrufe stammen von der Gegenkundgebung. Diese fand direkt hinter der Bühne unserer Kundgebung statt.
Bei andere Kundgebungen, wenn es z. B. sich um AfD-Kundgebungen handelt, wird alles unternommen, dass sie garnicht gestört werden können bzhw. dass Niemand zu nahe
an die Kundgebung kommen. Vielleicht hat man gehofft, dass es unschöne Szenen geben wird und wir uns provozieren lassen würden.

Eröffnungsrede von Christa Weber

Aufgenommen: Ingo Müller, 08.04.2023, Berlin

Lühr Henken (Bundesausschuss Friedensratschlag)

Aufgenommen: Ingo Müller, 08.04.2023, Berlin


Christa Weber rezitiert B. Brecht

Während der Kundgebung rezitierte Christa Weber von Bertolt Brrecht das Gedicht: “An die Gleichgeschalteten”

“Um sein Brot nicht zu verlieren, in den Zeiten zunehmender Unterdrückung, beschließt mancher, die Wahrheit über die Verbrechen des Regimes bei der Aufrechterhaltung der Ausbeutung nicht mehr zu sagen, aber auch die Lügen des Regimes nicht zu verbreiten, also zwar nichts zu enthüllen, aber auch nichts zu beschönigen.https://lyricstranslate.com

Aufgenommen: Ingo Müller, 08.04.2023, Berlin

Żaklin Nastić (Menschenrechtspolitische Sprecherin der LINKEN)

Aufgenommen: Ingo Müller, 08.04.2023, Berlin

Michael Müller (Bundesvorsitzender NaturFreunde Deutschland)

Aufgenommen: Ingo Müller, 08.04.2023, Berlin

Video Beginn des Demozuges “Ostermarsch 2023” (Eigenproduiktion)

rec: ingmue1957

vollständiges Video Eröffnungskundgebung (Eigenproduktion)

00:00:00 Vorspann
00:00:25 Eröffnungsrede Christa Weber
00:03:41 Lied Karsten Troyke
00:06:28 Lühr Henken (Bundesausschuss Friedensratschlag)
00:23:38 Christa Weber Gedicht B. Brecht ” An die Gleigeschalteten”
00:30:08 Żaklin Nastić (Menschenrechtspolitische Sprecherin der LINKEN)
00:42:06 Michael Müller (Bundesvorsitzender NaturFreunde Deutschland)
00:49:58 Abspann

Der Originalartikel kann hier besucht werden