Die Befürworter:innen eines unkontrollierten Freihandels spüren aktuell Aufwind und starten einen neuen Versuch, das umstrittene EU-Mercosur-Abkommen zum Abschluss zu bringen. Dabei spielen sie mit Ängsten der Bevölkerung und propagieren, dass nur mehr Freihandel die Versorgungssicherheit und einen sicheren Zugang zu Rohstoffen, die wir für die Energiewende benötigen, gewährleisten kann. Tatsächlich zementiert das Abkommen aber die Rolle der Mercosur-Staaten als Rohstofflieferanten ein. Bedenken über katastrophale Arbeitsbedingungen und massive Umweltzerstörung sollen mit einer Zusatzerklärung vom Tisch gewischt werden.

von Angela Pfister und Julia Wegerer (A&W blog)

Auf Eis gelegt, jetzt aufgewärmt

Fast ein Vierteljahrhundert verhandelt die Europäische Union bereits mit den vier Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay ohne Erfolg über ein Assoziierungsabkommen. Das Freihandelsvorhaben stand von Beginn unter Kritik. Am 28. Juni 2019 wurde schließlich eine politische Grundsatzeinigung getroffen, die breite Proteste von Gewerkschaften, Umweltorganisationen und vielen weiteren Organisationen auf nationaler wie europäischer Ebene ausgelöst hat. Wegen der zahlreichen Streitpunkte bei Klima- und Umweltschutz sowie bei Arbeits- und Menschenrechten mit der vormaligen Regierung in Brasilien unter Jair Bolsonaro wurde das Abkommen auf Eis gelegt.

Wirtschaft und EU-Kommission forcieren nun das Mercosur-Abkommen

Das hat sich jetzt alles wieder geändert. Schon bis zum Sommer 2023 soll der EU-Mercosur-Deal vollendet werden. Die gegenwärtige schwedische EU-Ratspräsidentschaft ist außerordentlich handelsfreundlich und das ist aktuell spürbar. Die anschließende spanische EU-Präsidentschaft wird das Abkommen wegen der historischen Verbindungen zu den Mercosur-Ländern ebenso forcieren. Auch die deutsche Regierung liebäugelt mit dem Markt in Brasilien und dessen Nachbarländern. So sind die südamerikanischen Länder wichtige Absatzmärkte u. a. für die Auto- und Chemieindustrie. Zudem gibt es in der Region strategisch wichtige Rohstoffe und Möglichkeiten zur Produktion von Wasserstoff. Damit Wirtschaftslobbys und EU-Kommission zufolge diese Länder künftig eine Schlüsselrolle für den Klimaschutz in der EU einnehmen. Letztgenannte listet den Mercosur-Deal als eines ihrer prioritären Vorhaben im grünen Industrieplan. Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva auf der anderen Seite würde ein nachhaltigeres Wirtschaftsentwicklungsmodell anstreben, bei dem auch der Schutz des Amazonas Thema ist. Damit wären – so die Freihändler – endlich auch die vorgebrachten Bedenken der Kritiker beseitigt.

Brasilien und Argentinien vorerst skeptisch

Ob die südamerikanische Seite das auch so sieht, wird sich zeigen. Argentiniens Präsident Alberto Fernández hat bereits im Dezember letzten Jahres in den Medien verlautbart, dass das Abkommen neu verhandelt werden soll, da es nicht ausgewogen sei. Insbesondere würde der Handelspakt die Autoindustrie in Brasilien und Argentinien gefährden. Ähnlich hat sich kürzlich ein brasilianischer Spitzendiplomat geäußert. Dieser zeigte sich wenig erfreut über die jüngsten Ideen der EU-Kommission in Bezug auf eine gemeinsame Zusatzerklärung zum Abkommen, die beispielsweise das Pariser Abkommen zum Klimaschutz im Mercosur-Pakt stärker verankern will. Neue Verpflichtungen würden nach Ansicht Brasiliens Neuverhandlungen brauchen. Das will die Kommission nicht.

Breite Front in der Zivilgesellschaft will andere Handelspolitik

Soziale Bewegungen, zivilgesellschaftliche Organisationen, Gewerkschaften und Bauernverbände auf beiden Seiten des Atlantiks haben gemeinsam bislang erfolgreich dafür gekämpft, das Handelsabkommen zu verhindern. Die Gewerkschaftsbewegungen in der EU und in den Mercosur-Ländern haben das Abkommen geschlossen abgelehnt, weil es einseitig den Interessen weniger exportorientierter Konzerne dient. Die Bestimmungen zur Einhaltung grundlegender Arbeits- und Umweltstandards sind völlig zahnlos ausformuliert worden. Das ist fatal: Brasilien zählt zu den 10 schlimmsten Ländern der Welt für erwerbstätige Menschen und schützt grundlegende Gewerkschaftsrechte nicht, wie das Recht auf Vereinigungsfreiheit. Zudem fehlen Schutzinstrumente für den industriellen Sektor in den Mercosur-Staaten, für regionale Wertschöpfungsketten, die über viele Jahre mühsam im gesamten Mercosur aufgebaut wurden, und nicht zuletzt für kleine und mittlere Unternehmen. Daher sehen die Gewerkschaften die Gefahr, dass das Abkommen zu Beschäftigungsverlusten, prekärer Arbeit sowie schlechteren Lohn- und Arbeitsbedingungen führt.

Gift jedenfalls ist der Mercosur-Deal für Klima und Umwelt. Denn durch das Abkommen wird nicht nur die Zerstörung des Regenwaldes, sondern auch der Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft befeuert. Brasilien erlaubt den Einsatz von hochgiftigen Pestiziden, die in der EU verboten sind. Das schädigt die Umwelt, aber auch die Gesundheit der Arbeitnehmer:innen und der Bevölkerung in umliegenden Siedlungen massiv. Aus diesem Grund haben kürzlich mehr als 200 Organisationen in der EU eine Alternative zum Mercosur-Abkommen verlangt. Ziel darf nicht länger eine Steigerung des ungezügelten und unkontrollierten Handels und der Profite für einige wenige, sondern muss ein gutes Leben für alle sein.

Splitting des Abkommens – oder: Wie man demokratische Teilhabe umgeht

Um das EU-Mercosur-Abkommen trotz aller Bedenken doch zum Abschluss bringen zu können, hat sich die EU-Kommission nun einiges überlegt. Das EU-Mercosur-Abkommen geht als Assoziierungsabkommen über ein klassisches Freihandelsabkommen hinaus, weil es auch einen politischen Teil enthält. Während der Handelsteil Themen wie Zölle, Importquoten und nicht-tarifäre Handelshemmnisse zum Inhalt hat, regelt das politische Rahmenabkommen die Zusammenarbeit der Staaten in allgemein politischen und institutionellen Fragen. Der springende Punkt dabei ist: Assoziierungsabkommen müssen als „gemischte Abkommen“ einstimmig von allen Mitgliedstaaten ratifiziert werden. Das wiederum bedeutet, dass in jedem Mitgliedstaat die nationalen Parlamente als demokratisch legitimierte Vertreter der Bevölkerung dem Abkommen ihre Zustimmung erteilen müssen. Das österreichische Parlament etwa lehnt das EU-Mercosur-Abkommen klar ab und hat dies auch explizit in einer bindenden Stellungnahme festgehalten. Daher ist die österreichische Bundesregierung verpflichtet, das österreichische Nein zu Mercosur bei allen Abstimmungen zum Ausdruck zu bringen. Ebenso ablehnend geäußert haben sich etwa die Parlamente in den Niederlanden und Wallonien, Belgien. Damit kann das Abkommen verhindert werden.

Diese unerwünschte Blockade will die EU-Kommission umgehen, indem das Abkommen in zwei Teile aufgeteilt wird (sogenanntes „Splitting“). Als exklusive EU-Kompetenz könnte der Handelsteil dann ohne Ratifizierung durch nationale Parlamente in Kraft treten. Das breitere politische Rahmenabkommen würde hingegen weiterhin der vollständigen Ratifizierung unterliegen und somit erst Jahre später, wenn überhaupt, in Kraft treten. Dieses undemokratische Vorgehen wird von Gewerkschaften, Arbeiterkammer und der Zivilgesellschaft heftig kritisiert. Der bestehende Widerstand gegenüber dem Abkommen und seiner Rolle bei Menschen- und Arbeitsrechtsverletzungen, Abholzung und Klimawandel soll so einfach ausgehebelt werden. Gegen ein Splitting spricht sich aber auch der Rat der Europäischen Union selbst aus. Die Überlegungen der EU-Kommission führen deutlich vor Augen, wie versucht wird, die Interessen weniger unter Missachtung demokratischer Prozesse durchzusetzen.

Ein „Zusatzinstrument“ als Beruhigungspille

Der Instrumentenkoffer der EU-Kommission zur Umsetzung der neoliberalen Freihandelsagenda hält indes noch mehr bereit: Ende März wurde eine Zusatzerklärung zum Abkommen geleakt, die von der EU-Kommission im Geheimen ausgearbeitet und bereits mit den Mercosur-Staaten besprochen wurde. Das Zusatzinstrument dient dazu, die Kritik am Abkommen zu entkräften, zur Abholzung des Regenwalds, zum Klimawandel und zur Verschlechterung von Arbeitsbedingungen beizutragen. Dazu bekräftigt die Zusatzerklärung im Wesentlichen, was bereits im Mercosur-Deal selbst in Bezug auf Nachhaltigkeit ausgeführt wird. Es wird auf internationale Abkommen wie das Pariser Klimaabkommen, das Abkommen über Biodiversität, die ILO-Kernarbeitsnormen und die UNO-Deklaration über die Rechte indigener Völker verwiesen.

Der große Haken daran: Das Zusatzinstrument versteht sich selbst bloß als eine gemeinsame Erklärung über die Interpretation der Nachhaltigkeitsbelange des Abkommens. Rechtlich handelt es sich dabei um eine Übereinkunft über die Auslegung eines Abkommens laut Artikel 31 der Wiener Vertragsrechtskonvention. Damit steht sie hierarchisch unter dem Abkommen und kann in keiner Weise in dieses eingreifen oder dieses gar abändern. Daran ändert auch die nun mantraartig wiederholte Aussage von Mercosur-Befürworter:innen nichts, die betonen, dass das Zusatzinstrument „rechtlich verbindlich“ sei. Denn letzten Endes gibt es keine Sanktionen, wenn es zu Verstößen kommt oder festgehaltene Ziele nicht umgesetzt werden. Damit bleibt die EU-Kommission sogar hinter ihren eigenen Zielsetzungen zurück, hat sie doch im Vorjahr mitgeteilt, Handelssanktionen bei Verstößen gegen Nachhaltigkeitsbestimmungen in künftigen Abkommen durchsetzen zu wollen.

Nein zu neoliberalem Freihandel und Profiten für einige wenige

Die bestehende Kritik am Abkommen bleibt damit unverändert aufrecht. Unter dem Motto „Autos gegen Fleisch“ würden von diesem Abkommen wenige profitieren, während Arbeitnehmer:innen und Umwelt die Kosten tragen müssen. Vor dem Hintergrund der sich immer weiter zuspitzenden Klimakrise muss auch die Klimaschädlichkeit des Handels insbesondere durch den internationalen Gütertransport thematisiert werden. Das EU-Mercosur-Abkommen ist damit die Antithese zu einer nachhaltigen EU-Handelspolitik. Es gilt, die Ratifizierung des Abkommens mit aller Kraft zu verhindern.

 

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