Der frühere linke Finanzminister wurde spitalreif geschlagen. Jetzt schildert er die Stimmung, die in Griechenland herrscht.

Urs Schnell für die Online-Zeitung INFOsperber

Yanis Varoufakis, von Januar bis anfangs Juli 2015 Finanzminister der linken Syriza-Regierung, wurde in einer Strasse von Athen brutal zusammengeschlagen. Der Ökonomieprofessor war bei einem Abendessen mit seiner Frau und Vertretern seiner europäischen Partei Mera25, als er von einer Gruppe von fünf jungen Menschen angegangen wurde. Bei einem anschliessenden Gespräch auf der Strasse schlugen die Täter brutal auf den griechischen Parlamentsabgeordneten ein und brachen ihm die Nase. Der Verletzte wurde hospitalisiert.

Jetzt nimmt Varoufakis bei einem griechischen TV-Sender zum Vorfall erstmals Stellung (deutsche Untertitel):

Das Fernsehgespräch mit Varoufakis gibt einen eindrücklichen Einblick in die Stimmung, die gegenwärtig in Griechenland herrscht. Das Land leidet unter einer Abhöraffäre und den Auswirkungen des grossen Zugsunglücks vom 1. März.

Die Abhöraffäre wurde letzten Herbst durch die regierungskritische Zeitung Documento bekannt gemacht. Hunderte von Menschen waren vom griechischen Geheimdienst bespitzelt worden, darunter Parlamentarier, Besitzer von namhaften Medienhäusern, Journalisten, aber auch Geschäftsleute. Zu den Bespitzelten soll auch der Pasok-Oppositionsführer und Europaabgeordnete Nikos Androulakis gehören. Griechenland wird gegenwärtig vom Konservativen Kyriakos Mitsotakis regiert.

Beim Zugsunglück zwischen Athen und Thessaloniki waren im März 57 Menschen getötet worden. Darauf gab es Proteste im ganzen Land. Das elektronische Leitsystem der Staatsbahn soll seit Jahren kaum mehr funktioniert haben.

Das überschuldete Griechenland leidet seit der Finanz- und anschliessenden Eurokrise ab 2009 unter misslichen wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen.

Differenzen über die Rettungsmassnahmen der Europäischen Union hatten Finanzminister Varoufakis anfangs Juli 2015 zum Rücktritt aus der linksradikalen Regierung unter Ministerpräsident Alexis Tsipras bewogen. Varoufakis begann darauf, eine eigene Partei aufzubauen, Mera25. Die Partei hat in der Zwischenzeit Ableger in Deutschland und Italien. Mera25 will nicht nur an den kommenden Wahlen in Griechenland teilnehmen, sondern 2024 auch an den Direktwahlen zum europäischen Parlament. Varoufakis: «Wir stehen an einem Scheidepunkt der Geschichte.»