Die dänische TV-Korrespondentin in Moskau berichtet seit 2014 von den Fronten. Jetzt entzog ihr die Ukraine die Akkreditierung.

Pascal Derungs für die Online-Zeitung INFOsperber

Die dänische Auslandsreporterin und Chronistin des Ukrainekriegs, Matilde Kimer, die seit Beginn der russischen Aggression im Jahr 2014 für das dänische Fernsehen von den Fronten des Konflikts berichtet, enthüllte im Dezember 2022, dass der ukrainische Geheimdienst ihr die Arbeitserlaubnis entzogen habe. Sie erhalte diese nur dann zurück,  wenn sie zustimme, dass die Spionagebehörde ihre Berichterstattung steuere. Das berichten das unabhängige US-Online-Magazin «The Intercept» und die deutsche «taz». Laut Kimer, einer preisgekrönten Moskau-Korrespondentin des dänischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks DR, hat ihr ein Offizier des ukrainischen Sicherheitsdienstes (SBU) diesen Vorschlag während eines Treffens in Kiew im Dezember unterbreitet. Dabei seien auch zwei Diplomaten der dänischen Botschaft gewesen.

Geheimdiensttaktik: Einschüchtern und manipulieren

Die Diplomaten hatten das Treffen vermittelt, um Kimer dabei zu helfen herauszufinden, warum die Ukraine ihr im August plötzlich die Akkreditierung entzogen hatte, kurz nachdem sie eine Reportagereise zu den Frontlinien um Mykolajiw, einem strategisch wichtigen Schwarzmeerhafen, unternommen hatte, wo eine ukrainische Gegenoffensive im Gange war. Anscheinend hatten lokale Beamte dort die Social-Media-Konten der dänischen Journalistin durchforstet und Anstoss genommen an den vielen Berichten und Bildern aus Russland.

Da Kimer seit über einem Jahrzehnt in Moskau lebte, sind ihre Instagram- und Facebook-Seiten voll mit Bildern und Videoclips, die sie bei der Berichterstattung über alles Mögliche zeigen, von offiziellen Ansprachen des russischen Präsidenten Wladimir Putin und der Fussballweltmeisterschaft 2018 in Russland bis hin zum täglichen Leben in den von Russland besetzten Gebieten der Ukraine, darunter Donezk und die Krim.

Das reichte den ukrainischen Militärbehörden offensichtlich, um Kimer als russische Sympathisantin zu verdächtigen.

Wer nicht «positiv» berichtet, macht sich verdächtig

Auch in Russland war Kimer bereits in Ungnade gefallen. Am 1. August teilten ihr die russischen Behörden mit, dass sie abgeschoben werde und in den nächsten zehn Jahren nicht einmal mehr versuchen solle, nach Russland einzureisen. Offensichtlich war dies eine Vergeltungsmassnahme für ihre unerschrockene Berichterstattung über die brutale russische Invasion in der Ukraine.

Drei Wochen später teilte ihr auch das ukrainische Militär per E-Mail mit, dass ihr Presseausweis, mit dem sie dort arbeiten durfte, ohne Angabe von Gründen «auf Ersuchen des ukrainischen Sicherheitsdienstes» annulliert worden sei. Kimer verbrachte die nächsten drei Monate damit, eine Erklärung dafür zu finden, warum die Ukraine ihr plötzlich die Berichterstattung untersagte. Schliesslich bat ihr Chef, Niels Kvale, Auslandsredakteur von DR, das dänische Aussenministerium um Hilfe, und Kimer wurde in die SBU-Zentrale in Kiew eingeladen.

Die «Freund-Feind-Logik» verunmöglicht Unabhängigkeit

Bei dem Treffen habe ein Offizier des ukrainischen Sicherheitsdienstes SBU klar gemacht, dass der ukrainische Geheimdienst vor allem die Fotos aus ihren Social-Media-Profilen als «illegale sowjetische Propaganda» betrachte. Die Tatsache, dass Kimer mehr als einmal aus dem besetzten Donezk berichten durfte, zeige, dass sie das Wohlwollen der Separatistenfunktionäre geniesse, was ebenfalls verdächtig sei. Der Geheimdienstoffizier meinte, dass Kimers Abschiebung aus Russland im August Teil eines verdeckten russischen Plans war, um ihr eine Tarngeschichte zu geben, damit sie weiterhin «russische Erzählungen» über den Krieg verbreiten könne.

Journalismus im Dilemma: Propaganda oder Arbeitsverbot

Auf die Frage, wie sie den Geheimdienst davon überzeugen könne, dass sie keine russische Propagandistin sei, schlug der Beamte vor, dass Kimer zustimmen müsse, eine Reihe «guter Geschichten» über den Krieg zu produzieren, basierend ausschliesslich auf Videos und Fotos, die der SBU zur Verfügung stellen werde. Doch darauf gingen die dänische Journalistin und ihre Begleiter nicht ein.

«Einer der Gründe, warum wir uns entschlossen haben, diese Geschichte zu erzählen, ist, dass wir dies als einen Angriff auf unsere Unabhängigkeit und die Pressefreiheit empfinden», sagte Niels Kvale, Auslandschef des dänischen Rundfunks. Der ukrainische Geheimdienst und das Büro von Präsident Wolodimir Selenski haben auf eine Anfrage um Stellungnahme nicht geantwortet.

Matilde Kimer, die allein in diesem Jahr mehr als 230 Fernseh- und Radioreportagen über die russische Invasion in der Ukraine produzierte, ist auch Autorin eines Buches mit dem Titel «The War Inside» (Der Krieg im Innern), das auf ihren Berichten aus der Ukraine basiert, beginnend mit der Protestbewegung auf dem Kiewer Hauptplatz, die 2014 den prorussischen Präsidenten Viktor Janukowitsch stürzte, und den ersten Jahren des erbitterten, verdeckten Krieges in der Ostukraine unter der Führung Putins.

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