Letzte Woche wurde ich auf die Aktion 16 Tage gegen Gewalt an Frauen aufmerksam, die jährlich vom 26. November bis 10. Dezember stattfindet und nahm die Initiative als perfekten Anlass, dieses sehr lehrreiche und ausgezeichnete Buch über Femizide in Österreich zu lesen.

Schon alleine der Titel „Heimat bis du toter Töchter“ ist für Österreicher sehr aufrüttelnd und provokant, da in der österreichischen Bundeshymne die Zeile „Heimat bist du großer Söhne“ bis 2011 galt, in der die Frauen immer mitgemeint wurden. Österreichische Frauen fanden bedauerlicherweise auch in anderen Strophen nie eine Erwähnung. Erst ab 2012 wurden die Töchter in die offizielle Bundeshymne gesetzlich aufgenommen, wenngleich noch immer von vielen misogynen Menschen die nicht mehr gültige patriarchale Fassung der Hymne gesungen wird, obwohl das nicht mehr erlaubt ist. Jetzt kommen die Töchter endlich in einem Vers vor, nämlich als Mordopfer.

Ein wesentlicher Grund, warum auch für die deutsche Leserschaft ein Blick über die Grenze nach Österreich so wichtig ist, ist der Umstand, dass bei Tötungen (Mord und Totschlag) in der Alpenrepublik seit dem Jahr 2016 in absoluten Zahlen mehr Frauen sterben als Männer. Österreichische Männer haben also im EU-Vergleich ein sehr geringes Risiko, einem Kapitalverbrechen zum Opfer zu fallen, österreichische Frauen hingegen leben am gefährlichsten Ort in Europa. 2017 war dies europaweit nur in Österreich der Fall, ab 2018 gemeinsam mit Malta, Lettland und der Schweiz (Quelle). Die Zahlen sind weiter dramatisch, im Jahr 2020 waren von 43 Mordopfern bereits 31 Frauen (Quelle), wobei die absolute Femizidrate in Folge von Corona sogar im Vergleich zu den Vorjahren sank, da die Täter die Frauen zu Hause unter absoluter Kontrolle halten konnten und die eingeleiteten Trennungen infolge der Pandemie sanken. In fast allen Fällen ist ein Femizid die Ursache für solche Verbrechen. Eine detaillierte und strukturierte Fehleranalyse dieser Entwicklung ist also absolut notwendig, und wenn andere Länder der Umsetzung der Istanbulkonvention (Gewalt gegen Frauen) weiter so schludern, werden sie sich auch sehr schnell in die Riege der Frauenmörderländer einreihen, genauso wie Österreich.

Die Autorin Yvonne Widler hat hier eine extrem gute Mischung abgeliefert. Sie präsentiert aktuelle, sehr grausame Femizid-Fälle, die durch die Medien gegangen sind (die Auswahl der österreichischen Verbrechen ist aber für die deutsche Leserschaft irrelevant, denn die Fälle und auch die Eskalationsstufen der Gewaltphasen ähneln sich derart, dass sogar ein empirisch haltbares Prognosemodell entwickelt werden konnte.) Diese Femizide werden von renommierten Psychologen wie Reinhard Haller, Rosmanith und Bissuti analysiert, garniert von empirischer Soziologie und Gesellschaftsforschung von Birgit Haller und erweitert durch die Medienanalyse der Autorin. Diese Kombination sorgt für Spannung (was für ein Wort bei den grausamen Fällen, ist aber so) und gleichzeitiger Beleuchtung aller relevanten Hintergründe. Warum hier auch eine Medienanalyse vonnöten ist, wird auch schnell klar, denn die Boulevardpresse hat auch ihren Anteil an der Verharmlosung von Femiziden, indem sie die Morde als Beziehungsdrama verniedlicht, der Frau immer eine Mitschuld an der Tat gibt, indem sie das Verbrechen als Streit framed und alles ausschließlich auch der Tätersicht präsentiert. Das Opfer kann sich ja nicht mehr äußern, und die Meinungen der Verwandten des Opfers werden auch nicht sensibel dargestellt.

Erschreckend war auch die Fallanalyse der Sigrid Maurer, Politikerin der Grünen, die von einem Bierwirt gestalkt und bedroht wurde, dies öffentlich machte und in erster Instanz dann auch noch wegen übler Nachrede verurteilt wurde. Gut, sie hat letztendlich gewonnen, aber der Bierwirt wurde nie zur Verantwortung gezogen, was dann eine Folgetat auslöste, denn ein Jahr später brachte er seine Lebensgefährtin um. Es hätte auch Sigrid Maurer anstatt der Partnerin treffen können.

Am interessantesten war die anschließende politische Fehleranalyse, warum sich Österreich von einem Musterland des Frauenschutzes allmählich zu einer Frauenmörderrepublik entwickelt hat. 2017 hat die rechtskonservative Regierung unter Sebastian Kurz und H.C. Strache von der FPÖ einfach Gelder für die Gewaltprävention gestrichen und die Fallkonferenzen abgeschafft. Diese MARC-Fallkonferenzen sind eines der wichtigsten Instrumente, um das Gefährdungspotenzial des Mannes auszuloten. Die Polizei hat nämlich kaum Informationen, denn viele Delikte aus der Vergangenheit wurden ja nicht angezeigt. Deshalb setzen sich in solchen Konferenzen Gewaltschutzeinrichtungen, mit denen die Frauen sich auch informell ausgesprochen haben, die Polizei und die Staatsanwaltschaft zusammen, um Informationen auszutauschen. Zum Beispiel ist normale Gewalt per se noch kein Alarmzeichen für einen Femizid, wenn aber Stalking oder Würgen dazukommt, besteht höchste Gefahr. Das wurde empirisch bewiesen. In Wien kommen so gut wie nie MARC-Konferenzen zustande, denn nun entscheidet die Polizei, die am wenigsten von der Gewalt mitbekommt, ob eine Konferenz abgehalten wird. Bei diesem Themenkomplex kommen auch ausführlich SpezialistInnen und Praktiker von Frauenhäusern und Gewaltschutzeinrichtungen in Wien und in der Steiermark zu Wort.

Zudem ist zumindest in Wien – die Femizidhochburg Österreichs – für die dortige Polizei eine engmaschige Kontrolle von echten Gefährdern nach der Eskalationstabelle zu viel Arbeit. Während Corona haben sie sogar hilfesuchende Frauen abgewiesen, da sie vollauf damit beschäftigt waren, Jugendliche wegen Mindestabständen und Maskenpflicht in Parkanlagen zu perlustrieren. Sehr oft haben sich Frauen verzweifelt an die Polizei gewandt, wurden nicht ernstgenommen und waren ein paar Tage später tot. Dabei gäbe es eine einfache und relativ kostengünstige Variante, die Frauen zu schützen und die Gefährder zu kontrollieren. Spanien arbeitet schon länger erfolgreich mit Armbändern, die Alarm geben, wenn der Mann das gesetzlich angeordnete Annäherungsverbot zu seiner (Ex-)Partnerin nicht einhält.

Ach ja, die Aussage, warum trennt sich eine Frau nicht von so einem Mann, ist völlig daneben, denn erst wenn sich die Frau trennt, ist sie in höchster Gefahr, das zeigt auch die Statistik eindeutig. Zudem wissen Frauen in Österreich teilweise auch gar nicht wohin, denn auch die Finanzierung von Frauenhäusern wurde seit 2017 unter der rechtskonservativen Koalition derart zusammengestrichen, dass viele hilfesuchende Frauen aus Platzmangel abgewiesen werden mussten. Auch hier gab es einige Fälle, in denen die Frauen ein paar Tage später von ihren Ex-Partnern ermordet wurden.

Ein weiteres wichtiges Kapitel ist auch die Täterjustiz, das Opfer kann sich ja nicht mehr wehren, trauernde Verwandte werden zudem von den Anwälten der Mörder und Totschläger fertiggemacht, um ein paar Jahre weniger herauszuschlagen und den Opfern die Mitschuld zu geben. Auch die Medien, vor allem der Boulevard gehen nicht gerade zimperlich mit den Angehörigen um.

Die meisten Täter, und das ist in Österreich in den letzten Jahren auch neu, planen die Femizide wochenlang und minutiös. Hier findet kaum zufällig eine Gewalteskalation statt, sondern die Frau muss von langer Hand geplant ausgelöscht und vernichtet werden.

Das war überhaupt das beste an diesem Buch, der Rundumblick der Analyse der Situation: echte aktuelle Fälle, psychologische Täterprofile, Gewaltschutzinstitutionen und wie die mangelnde Finanzierung zur derartigen Situation beigetragen hat, politische, kapitale Fehler, die zur dieser Gewalteskalation geführt haben, Rollenbilder und Verharmlosung der Taten als Kavaliersdelikt in Gesellschaft und Medien, Täterjustiz, der respektlose Umgang mit Opfern, die mangelnde Schulung der Polizei, der mangelnde Wille zur Zusammenarbeit, Gewaltprävention bei Buben, Opfertherapeuten und viele andere Spezialisten geben hier einen Einblick in die tägliche Praxis und analysieren, wie es in Österreich zu dieser verheerenden Situation kommen konnte.

Fazit: Absolut lesenswert, unbedingt auch für die deutsche Leserschaft beziehungsweise Gesellschaft und auch für alle in anderen Ländern, denn wenn die österreichischen Fehler wiederholt werden und das Thema Gewaltschutz für Frauen nicht ernsthaft angegangen wird, ist man schneller als man glaubt in derselben Situation. Also seid nicht wie Österreich und lernt aus Fehlern anderer. Ach ja, eine Triggerwarnung muss ich auch noch aussprechen, die realen Fälle werden zwar sachlich, aber doch sehr detailliert beschrieben. Die recherchierten Verbrechen sind teilweise grausamer, harter Tobak, aber so ist die Realität und wir müssen hier leider alle genau hinschauen, auch wenn es wehtut.

Rezension von  

Heimat bist du toter Töchter von Daniela Dröscher ist im Verlag Kremayr und Scheriau als Hardcover erschienen. Nähere Infos zum Buch über einen Klick auf das Cover im Beitrag oder auf der Verlagsseite.

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