Seit diesem Jahr ist die Klimabewegung in Deutschland um eine neue Organisation und Aktionsform bereichert worden. Sie ist in aller Munde.
Natürlich ist von der „Letzten Generation“ die Rede. Ihre Unterstützer:innen begannen sich auf Strassen und an Gemälden festzukleben. Ihre ursprünglichen zwei Forderungen: sofortige Durchsetzung eines Tempolimits von 100 km/h und allgemeine Durchsetzung eines 9-Euro-Tickets.
In den letzten Wochen begann eine Kampagne, insbesondere getragen von der rechten und konservativen Presse sowie von Politiker:innen der AfD und CDU, die die „Letzte Generation“ und ihre Aktionsformen als Klimaterrorismus denunzierten. NRWs Innenminister Reul und andere Gleichgesinnte in Politik und Staat stellten sie einer kriminellen Vereinigung gleich. Unter diesem Verdacht können mit den Paragraphen 129 a und b Organisationen und Vereinigungen in Deutschland mit massiver Repression und Überwachung überzogen werden. Effektiv heben sie den sogenannten Rechtsstaat in Bezug auf die Betroffenen auf.
Hausdurchsuchungen
Nun entschied sich die Staatsanwaltschaft in Neuruppin, Untersuchungen unter diesem Paragraphen aufzunehmen. Das dortige Amtsgericht billigte Hausdurchsuchungen und mit grosser Sicherheit auch Überwachung, Abhörungen und die Aufhebung des Postgeheimnisses durch die Polizei gegenüber realen oder angenommenen Mitgliedern der „Letzten Generation“. Heute, am 13.12., durchsuchte die Polizei mit zum Teil dutzenden Beamt:innen die Wohnungen von mindestens 11 Personen. In einem der „Neue Internationale“ bekannten Fall aus Berlin wurde ein Aktivist in Stahlhandschellen abgeführt.
Wir lehnen diese Repression ab. Unsere volle Solidarität gilt den Festgenommenen und der „Letzten Generation“ insgesamt. Wir fordern die sofortige Freilassung aller Festgenommenen, die Einstellung aller Verfahren und Rücknahme aller mit dem Paragraphen 129 verbundenen Schritte. Die vom Staat ergriffenen Massnahmen kommen tatsächlich einer Aushebelung demokratischer Rechte gleich.
Es gilt aber an dieser Stelle weiterzugehen in der Kritik und Analyse. Der immer wieder aufgebrachte Vorwurf oder die „Fragestellung“ angeblicher Expert:innen der vergangenen Wochen war, ob und inwiefern die „Letzte Generation“ eine neue „Klima-RAF“ sei. Diese Frage so zu stellen, stellt bereits eine Form des Geschichtsrevisionismus dar. Die „Letzte Generation“ war in keinerlei Aktivitäten verwickelt, die jener der RAF gleichkämen.
Reaktionäres Narrativ
Viel entscheidender ist aber, was diese Expert:innen und die bürgerliche Presse, die dieses Narrativ fördert, verschweigen. Ab den 1968ern gab es eine wachsende und für antikapitalistische Ideen offene Jugendbewegung in Deutschland. Diese fand sich allerdings zwischen Hammer und Amboss wieder. Der Hammer waren insbesondere Politiker:innen der CDU, der FDP, aber auch der SPD sowie der Staatsapparat. Der Amboss war im wahrsten Sinne eine unbewegliche Arbeiter:innenbewegung. Die Gewerkschaften unter Führung der SPD verweigerten sich weitestgehend der Solidarität mit der Studierendenbewegung und verschlossen ihre Türen gegenüber den aktiven und motivierten Jugendlichen, die gemeinsam mit den Arbeiter:innen gegen das Kapital kämpfen wollten.
Begleitet wurde diese Entwicklung von einer massiven Hetzkampagne, insbesondere durch die Springerpresse. Diese war massgeblich mit dafür verantwortlich, dass sich Rechte ermutigt fühlten, den Studentenführer Rudi Dutschke anzuschiessen und Polizisten ohne Konsequenzen den Studenten Benno Ohnesorg erschiessen konnten. Etliche weitere wurden durch die Berichterstattung in den persönlichen Ruin getrieben.
Wer einen Blick in Zeitungen wie die Welt, BILD oder auch „seriöse“ Publikationen wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung wirft, wird feststellen, dass diese eben nicht nur den oben beschriebenen Staatsterror gegenüber der „Letzten Generation“ befürworten und erbeten, sondern in ihren Kommentarspalten auch den diskursiven Nährboden für rechten Terror gegenüber der Klimabewegung legen.
Es war eine solche politische Atmosphäre, die in den 1970er Jahren einige verzweifelte Revolutionär:innen in den Linksterrorismus trieb. Unabhängig davon, dass dies nicht die Strategie von uns Kommunist:innen ist, muss dieser Umstand anerkannt werden, um die Möglichkeiten für die heutige Entwicklung zu bewerten.
Die Geschichte muss sich aber nicht immer und immer wieder gleich entwickeln. Sie kann es tatsächlich auch nicht, denn sie ist zum Besseren und Schlechteren von den Tätigkeiten der gesellschaftlich handelnden Menschen bestimmt, wird immer wieder von Zeitgenoss:innen neu geschaffen.
Neue Situation
Auch heute, im Jahr 2022, sind die zwei relevanten Hindernisse, mit denen sich bereits die demokratische und antikapitalistische Student:innenbewegung der 1968er konfrontiert sah, der metaphorische Hammer und Amboss, nach wie vor präsent. Gleichzeitig gibt es auch äussere Bedingungen, die sich massgeblich unterscheiden. Es gibt eine tiefgreifende wirtschaftliche Krise. Es gibt eine zunehmende imperialistische Konkurrenz zwischen den USA, China, Russland und europäischen Industriestaaten wie Deutschland. Diese sind mittlerweile mit kriegerischen Auseinandersetzungen wie in der Ukraine verbunden. Und es gibt eine immer offensichtlicher werdende Klima- und Umweltkatastrophe.
Diese Faktoren werden nicht nur von Aktiven in der Klimabewegung zunehmend gesehen und diskutiert. Sie werden auch von der Arbeiter:innenklasse in Deutschland wahrgenommen. Es gibt eine wirkliche Möglichkeit, diese beiden Bewegungen zu einer Kraft zu verbinden, die echten Systemwechsel, also antikapitalistische Politik und Aktion ermöglicht. Dafür ist es aber unvermeidlich, die Politik der SPD und der Gewerkschaftsbürokratie in Frage zu stellen, die die Arbeiter:innenbewegung im Dornröschenschlaf gegen ihre eigenen Ausbeuter:innen hält und eine wirkliche Verbindung wie den Einsatz des effektivsten Kampfmittels, nämlich des politischen Streiks, mit aller Kraft blockiert.
Das wissen und fürchten letztlich auch die bürgerlichen Politiker:innen und das Kapital. Das ist der eigentliche Grund für die massive Hetzkampagne. Hier arbeiten die Herrschenden erneut an einer sich selbsterfüllenden Prophezeiung. Kleine, von der Masse isolierte Gruppen lassen sich viel leichter stigmatisieren, auch oder gerade, wenn sie zu Verzweiflungstaten im Stile des individuellen Terrorismus greifen sollten. Was sie wirklich fürchten und verhindern wollen, ist eine antisystemische Verbindung zwischen Jugend und Arbeiter:innen.
Wir hingegen stehen an der Seite der Aktivist:innen der „Letzten Generation“, um diese geschichtliche Entwicklungsmöglichkeit zu eröffnen.
Ein Postskriptum sei noch angebracht. Die Bezeichnung Klimaterrorist stellt den kümmerlichen Charakter der herrschenden deutschen Ideologie zum Besten, die die Dinge immer wieder aufs Neue von den Füssen auf den Kopf stellt. So wie jene, die in Deutschland ihre Arbeit zum Verkauf anbieten, im öffentlichen Diskurs Arbeitnehmer:innen genannt werden, werden nun jene, die das Klima schützen wollen, als Klimaterrorist:innen diffamiert.
Die Wahrheit ist aber: Es ist der deutsche Imperialismus, es sind deutsche Banken, deutsche Unternehmen und die deutsche kapitalistische Gesellschaft, die die natürlichen Lebensgrundlagen zu zerstören drohen. Die arme, halbkoloniale Welt spürt dies bereits massiv. Wenn etwas Klimaterrorismus verkörpert, dann doch wohl, dass Länder wie Deutschland pro Kopf 15 Mal mehr zum globalen Ausstoss von Treibhausgasen beitragen als z.B. Pakistan. Gleichzeitig sind es letztere, die am stärksten betroffen sind. In Pakistan wurden 33 Millionen Menschen im Juni diesen Jahres aufgrund historischer Fluten zu Inlandsflüchtlingen. Währenddessen steigen die Nahrungsmittelpreise durch die Schuldendiktate u.a. des Internationalen Währungsfonds, in dem Deutschland drittgrösster Akteur ist, ins Unermessliche. Während nach wie vor Millionen Menschen allein in Pakistan obdachlos bei Wintereinbruch in Zelten ausharren, stiess Deutschland in diesem Jahr erneut eine Rekordmenge an Treibhausgasen aus. Wenn jemand sich des Klimaterrorismus schuldig macht, dann jene Politiker:innen, die von sich und ihren eigenen Schandtaten ablenken, indem sie jene Aktivist:innen denunzieren, die versuchen, sich dem Untergang der Zivilisation, wie wir sie kennen, entgegenzustemmen.
Georg Ismael
arbeiterinnenmacht.de