In diesem Buch wird anhand von zwei österreichischen Politikerinnen mit Migrationsbiografie, Faika El-Nagashi und Mireille Ngosso, ausnehmend gut gezeigt, wie menschliche Politik nicht nur in der Theorie durch Konzepte und Programme funktioniert, sondern auch in der Praxis dargelegt, wie sich die beiden Frauen täglich für Integration, gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus für Frauenschutz und viele andere Anliegen einsetzen. Dieses Werk geht also sehr tief in die Praxis des politischen Lebens und Agierens und zeigt auch ehrlich und ungeschönt auf, mit welchen Sonnen- und Schattenseiten die beiden Politikerinnen auf dem politischen Parkett konfrontiert sind und mit welchen Kompromissen, sie sich in Koalitionen oft schwer bis gar nicht identifizieren konnten, beziehungsweise können.

Insofern ist dieses Buch auch der derzeitigen Situation in Deutschland geschuldet, in der sich Sozialisten und Die Grünen ebenso in einer Koalition mit einer rechtskonservativen Partei befinden, deshalb ist es somit nicht nur für die österreichische politische Landschaft und Realität relevant. Irgendwie ist dieses Werk einerseits eine sehr persönlich geschriebene Biografie, die zwei erfolgreiche Integrationsstrategien schildert und andererseits ein gutes, lehrreiches Handbuch für politische Praxis, das mir eigentlich bisher auf dem Buchmarkt ein bisschen gefehlt hat.

Im Kapitel Herkunft verorten sich die beiden Politikerinnen persönlich und mit ihren Werten. Sie beschreiben sehr gut das Leben zwischen mehreren Welten, von Zugehörigkeiten, Selbst- und Fremdbildern, von der Zerrissenheit, aber auch von den Chancen, die durch ihren multinationalen Hintergrund genutzt werden können. Rassimuserfahrungen, Probleme mit Homophobie und Anti-Islamismus werden ehrlich, aber sehr sachlich angesprochen.

Faika El-Nagashi hat einen ägyptischen Vater, sieht auch sehr ägyptisch aus, ist mit ihren Eltern ursprünglich aus dem kommunistischen Ungarn migriert, muslimischen Glaubens, lebt offen als lesbische Frau und ist Politikerin bei den Grünen.

Mireille Ngosso ist ein Flüchtlingskind aus dem Kongo, hat in London Medizin studiert, als Ärztin gearbeitet und ist nun Politikerin bei den österreichischen Sozialdemokraten.

Ich war überrascht, wie wertschätzend, ausgewogen und sachlich die beiden Autorinnen formulieren, obwohl sie natürlich neben vielem anderen auch genau über den alltäglichen Rassismus berichten. Nagashi fühlt sich erst als Teenager am Land in einem kleinen Dorf in Niederösterreich fremd, in Wien war die fremdenfeindliche Situation nicht so gravierend. Besonders entzückend: Mireille Ngosso merkt erstmals in London, wie sehr sie Österreicherin geworden ist – durch das Heimweh, das sie völlig überraschend überfällt. Beide Frauen definieren ihre Identität als komplex und Heimat an mehreren Orten möglich. Die vermeintlich ganz harmlose Frage „Wo kommst Du her?“ ist keine neutrale Frage, sondern eine Kontrollfrage und eine Bewertung der Ebenen von Zugehörigkeit. Über die daraus identifizierte „zu integrierende Gruppe“ wird anschließend von der autochthonen Gesellschaft entschieden und gerichtet, ob und wie gut sie die geforderte Pflichtübung Integration absolviert hat.

Im Kapitel Mut wird der genaue Werdegang der beiden Frauen zur Politikerin geschildert. Hier bekommt man auch einen guten Einblick in die tägliche Realpolitik von Sozialisten und Grünen, das ist nicht unspannend, auch wenn eben politische Arbeit von beiden positiver dargestellt wird, als ich es erlebe. Sie brechen halt eine Lanze für ihren Job und ihre Leidenschaft.

Im Kapitel Veränderung sprechen dann beide Frauen ziemlich detailliert über ihre politischen Anliegen und ihre Arbeit zu den Themen: Rassismus, Polizeigewalt und rassistisches Profiling, Islamismus, Integration, Asylpolitik, Gesundheitspolitik, Sozialpolitik, Femizid, Sexarbeiterinnen, Tierschutz. Hier war ich dann erstmal mit den Ausführungen der Politikerinnen nicht mehr ganz einverstanden, was aber selbstverständlich ist, denn an einzelnen politischen Positionen scheiden sich immer die Geister.

Wie für Nagashi war auch für mich der Jänner 2021 ein einschneidendes Datum, das für mich persönlich symbolisierte, dass ich die Grünen nie mehr wählen werde. Aus Parteiräson für eine feindliche Asylpolitik zu stimmen, ist kein Konsens in der Realpolitik, wie es viele Grüne dargestellt haben, sondern eine Wertekorruption in den Grundfesten. Gut, dass Nagashi hier nicht mitgemacht hat, leider war sie eine Minderheit in ihrer Partei, denn die Stimmenthaltung aller grünen Politiker wäre wichtig gewesen. Dieselbe Wertekorruption ist leider jetzt bei Tempo 100 auf Autobahnen in Zeiten der Energiekrise passiert. In solchen Grünen Kernanliegen auf Konsens und Kuschelkurs mit den Rechtskonservativen zu setzen, ist abartig und grundfalsch.

Ngosso vergisst bedauerlicherweise bei sehr vielen Formulierungen zu Frauenrechten, dass es Frauen als singuläre, schützenswerte Gruppe und mit eigenen, frauenspezifischen Anliegen überhaupt gibt. Mehr als fünfzig Prozent der Bevölkerung sind nun in Ngossos Diktion, der Hervorhebung der Queer Community, auch wieder einfach mit Männern mitgemeint und ihre spezifischen und notwendigen Bedürfnisse (wie Schutzräume, spezifische Förderungen, medizinische und sportliche Besonderheiten, und vieles andere mehr…)  gehen damit völlig im FLINTA – Getöse unter. Frau Nagashi kann davon übrigens zu diesem Thema ein Lied singen. Ausgerechnet sie, als eine der integrativsten Politikerinnen und gleichzeitig in mehreren Aspekten von Marginalisierung Betroffene, wurde auf Twitter als transphobe TERF gebrandmarkt und mit einem Shitstorm überzogen, weil sie sich als Frau und Lesbe definierte, deren Identität eben eigene Anliegen hat, die manchmal nicht mit der Trans- und Queer-Community einhergehen.

Weiters lehnt Ngosso das Skandinavische Modell, die Sexkunden zu bestrafen, einfach kategorisch als sinnlos ab, weil es angeblich die Sexarbeiterinnen nur in die Illegalität drängt. Da hätte ich schon gerne eine genauere Auseinandersetzung mit dem schwedischen Ansatz, den politischen Begleitmaßnahmen, den Erfolgen und Problemen als Referenz gehabt und nicht nur diese unsägliche Totschlagabwertung, denn dass die schwedische Politik überhaupt nicht weiß, was sie tut, kann man ja wirklich nicht behaupten. In den restlichen Ausführungen sind beide Autorinnen prinzipiell sehr wohltuend darauf bedacht, ihre Positionen auch mit Fakten zu untermauern, was in diesem Fall völlig ausgeblieben ist.

Im Kapitel Zukunft formulieren beide Politikerinnen in einigen Punkte kurz und knapp ihre Anliegen für die Zukunft und für eine gerechtere Welt.

Einiges hat mir besonders gut an diesem Buch gefallen. Zuerst einmal die übersichtliche Struktur und die Kapiteleinteilung. Das war eine große Herausforderung und Leistung, einen stringenten roten Faden in so unstrukturierte biografische Geschichten und politische Anliegen einzuarbeiten. Zweitens wurde bei all der Kritik an Diskriminierung wie Rassismus, Sexismus, etc. … nie vergessen, die richtige Tonalität zu wählen, weder ein weinerliches Opfergejammer, noch eine wütende Anklage wurden formuliert, sondern sachliche wertschätzende Information auf Augenhöhe, gespickt mit Daten und Fakten wurden vermittelt. Zudem habe ich die Informationen aus der politischen Praxis, das zivile Engagement der Politikerinnen und wie die beiden gemeinsam parteiübergreifend für eine gerechte, antirassistische, solidarische Wende in Politik und Gesellschaft kämpfen, sehr genossen. Am Ende ist noch zu erwähnen, dass der Verlag hier das schönste Cover ever gestaltet hat. Es ist fast wie von Friedensreich Hundertwasser entworfen, nur nicht so verspielt, sondern moderner.

Fazit: Lesenswert! Für politisch Interessierte in Österreich und Deutschland absolut relevant.

Für alle, die hier sind von Faika El-Nagashi und Mireille Ngosso ist im Verlag Kremayr und Scheriau als Hardcover erschienen. Nähere Infos zum Buch über einen Klick auf das Cover im Beitrag oder auf der Verlagsseite.

Rezension von

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