Die gewaltsame, von Myanmar durchgeführte Kampagne zur Vertreibung von etwa eine Million muslimischer Rohingya, die nun in Flüchtlingslagern in Bangladesch leben, jährte sich am 25. August zum fünften Mal.

von Samina Akhter

Über die vergangenen fünf Jahre hat die Zahl der Rohingya-Flüchtlinge sogar zugenommen, weil durchschnittlich jedes Jahr um die 30.000 Kinder in den Lagern geboren werden. Infolgedessen hat die Flüchtlingsbevölkerung mittlerweile die Zahl von 1,2 Millionen Personen überschritten. Diese Zahl beruht auf der letzten Schätzung der Vereinten Nationen, die kürzlich auf dem neununddreißigsten Treffen der zuständigen bangladeschischen Nationalen Task Force veröffentlicht wurde.

Dieser Massenexodus war das Ergebnis schrecklicher Attacken des myanmarischen Militärs gegen die Rohingya, die am 5. August 2017 begonnen hatten und 750.000 Rohingya zur Flucht über die Grenze zwangen [Anm. d. Ü.: In Bangladesch befanden sich bereits vor 2017 zahlreiche Rohingya-Flüchtlinge, was die Gesamtzahl von 1,2 Million Personen erklärt].

In ihrer Rede vor der UN-Vollversammlung im Juni drängte die UN-Botschafterin Bangladeschs – Rabab Fatima – die Vereinten Nationen dazu, ihre Bemühungen auszuweiten, die zwangsvertriebenen Rohingya nach Myanmar zurückkehren zu lassen.

Darüber hinaus forderte die Botschafterin, dass der UN-Sondergesandte sich einsetzen solle, die Umsetzung der zwischen Myanmar und Bangladesch getroffenen Rückkehrvereinbarungen für Rohingya-Flüchtlinge voranzutreiben.

Wir [Anm. d. Ü.: die Engagierten des Bangladeschischen Frauenrats] haben den Eindruck, dass sich Bangladeschs UN-Botschafterin in ihrer Rede klar ausgedrückt hat. Es sind beinahe fünf Jahre vergangen. Es handelt sich mit beinahe eine Million vertriebener Rohingya um eine der schlimmsten von Menschen verursachten humanitären Katastrophen der modernen Geschichte. Und die Zusage, dass sie sicher zurückkehren werden, ist immer noch unerfüllt.

Im November 2019 hatte Gambia stellvertretend für die Organisation für Islamische Zusammenarbeit, der 57 Länder angehören, einen ersten Strafantrag gegen Myanmar beim Internationalen Gerichtshof (IGH) gestellt, in dem dem Land Verstöße gegen die UN-Völkermordkonvention vorgeworfen werden.

Das Gericht entschied im Januar 2020 einstimmig, dass Myanmar verpflichtet sei, Notfallmaßnahmen zu treffen, die die Rohingya vor Gewalt schützen und Belege für einen möglichen Völkermord sicherstellen.

Unabhängig davon ordnete der IGH eine Untersuchung mutmaßlicher Verbrechen an, zu denen es bereits im November 2019 gekommen sei. Am 22. Juli entschied dann der IGH, dass Gambias Vorwurf des Völkermords gegen Myanmar trotz erster Einwände Myanmars weiter nachgegangen werde. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bringe, laut Expert:innen und Menschenrechtsaktivist:innen, neue Möglichkeiten für die internationale Gemeinschaft mit sich, das myanmarische Militär unter Druck zu setzen, um so den Rohingya Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen. Mit einer endgültigen Entscheidung ist jedoch erst in einigen Jahren zu rechnen.

Ebenso sind wir darüber besorgt, dass die russische Invasion der Ukraine die weltweite Aufmerksamkeit weg von den Rohingya zu den ukrainischen Flüchtlingen verschoben hat, die nun in zahlreichen Ländern Europas Aufnahme suchen. Die Angelegenheit der Rohingya sollte angesichts eines andauernden Krieges und einer sich rasch verändernden Weltordnung zumindest in den Hintergrund treten.

Uns ist es wichtig herauszustellen, dass der Schlüssel zur Bewältigung der Rohingya-Flüchtlingskrise in Myanmar liegt. Die herrschende Militärjunta muss ihre Anstrengungen verstärken, den Flüchtlingen eine freiwillige und würdevolle Rückkehr zu ermöglichen.

Bangladesch hat mehr als genug getan, um mehr als eine Million Rohingya-Flüchtlinge trotz enormer Kosten für seine Wirtschaft, Umwelt und Sicherheit zu beherbergen. Nun ist es an den Vereinten Nationen die Situation zu beurteilen und zu handeln. Alleine die Bemühungen Bangladeschs werden nicht ausreichen, um die Situation langfristig zu befriedigen.

Gleichzeitig ist die Strafverfolgung aller Verstöße und Verbrechen in Myanmar entscheidend. Folglich wollen wir den UN-Sicherheitsrat ausdrücklich auf die Notfallmaßnahmen des Internationalen Gerichtshofes hinweisen, die Gambia stellvertretend für die Organisation für Islamische Zusammenarbeit erwirkt hat.

Die internationale Gemeinschaft, besonders die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen, besitzen eine enorme humanitäre Verantwortung und Verpflichtung den Rohingya-Flüchtlingen gegenüber.

Die Weltgemeinschaft muss aus ihrem Dornröschenschlaf erwachen und verstehen, dass die menschengemachte Krise nicht von Bangladesch, sondern durch Myanmars interne Turbulenzen verursacht wurde, deren Folgen aber Bangladesch unfairerweise zu tragen hat.

Trotz einer Reihe an UN-Resolutionen hat Myanmar bisher kaum Interesse daran gezeigt, die Flüchtlinge in Würde und mit vollen staatsbürgerlichen Rechten heimkehren zu lassen.

Neben den UN-Mitgliedern müssen auch regionale Mächte sowie Myanmars Wirtschaftspartner (wie China, Indien, Japan, Indonesien, Deutschland, der Verband Südostasiatischer Nationen und die Organisation für Islamische Zusammenarbeit) ihren Druck auf das Land erhöhen, um diese humanitäre Krise nachhaltig zu lösen.

Falls die internationale Gemeinschaft es nicht schafft, diese humanitäre Krise zu bewältigen, muss sie sich nicht zuletzt dazu verpflichten, die mehr als eine Million gegenwärtige in Bangladesch untergebrachten Flüchtlinge in ihre Obhut zu nehmen, wie sie es in der Vergangenheit bereits mit anderen Flüchtlingen getan hat.

Wir verlangen sofortige Maßnahmen, um jetzt echte Fortschritte bei der Schaffung der Bedingungen für eine sichere, freiwillige, würdevolle und nachhaltige Rückkehr der Flüchtlinge nach Myanmar zu machen. Dabei ist es unerlässlich, sich der tieferliegenden Ursachen für die systematische Diskriminierung, Entrechtlichung und gruppenbezogene Gewalt in Myanmar anzunehmen.

Darüber hinaus rufen wir die Weltgemeinschaft dazu auf, sich sowohl mit den Rohingya-Flüchtlingen als auch mit der Regierung und den Menschen von Bangladesch, die sie freundlicherweise aufgenommen haben, weiterhin solidarisch zu zeigen. Die Vereinten Nationen sind dazu verpflichtet, auch in Zukunft aktiv Hilfe zu leisten. Das Leiden der Rohingya darf kein Spielball der Politik werden.

Zu einer Zeit, in der die finanziellen Hilfen für die Rohingya zurückgehen und die internationale Gemeinschaft sich anscheinend immer weniger in der Lage zeigt, die Sicherheit aller zu gewährleisten, bleibt es geboten, dass die internationale Gemeinschaft die sichere und würdevolle Rückkehr der Rohingya durch internationale Mechanismen in die Wege leitet.

Als die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, diesen Monat zuletzt unser Land besuchte, verwies Bangladeschs Premierministerin Scheich Hasina Wajed Frau Bachelet zurecht darauf hin, dass die Rohingya-Flüchtlinge letztendlich nach Myanmar zurückkehren müssten.

Es sind nun beinahe fünf Jahre vergangen, dass Myanmars Militär seine letzte genozidale Kampagne gegen die Rohingya durchgeführt hat, die eine Million von ihnen zur Flucht ins sichere Bangladesch zwang. Für ein Land wie unseres, das über begrenzte Mittel verfügt, ist es wahrlich eine gewaltige Herausforderung gewesen, eine derart große Zahl von Flüchtlingen zu beherbergen.

Daher drängen wir am fünften Jahrestag der Krise die Welt dazu, endlich etwas zu tun für die Rohingya-Flüchtlinge. Sie dürfen keine Flüchtlinge bleiben. Sie haben das Recht in ihrem Heimatland, Myanmar, in Würde zu leben. Solange sie nicht zu ihrem Recht gekommen sind, haben wir als gewissenhafte Menschen eine Verantwortung zu erfüllen.

Die Übersetzung wurde aus dem Englischen von Daniel Jerke vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!


Samina Akhter ist freischaffende Autorin in Dhaka/Bangladesch und engagiert sich für Frauen- und Menschenrechte beim „Bangladeschischen Frauenrat“ (Bangladesh Mahila Parishad).