Sri Lanka schuldet 81% seiner Auslandsschulden den US-amerikanischen und europäischen Finanzinstitutionen sowie den westlichen Verbündeten Japan und Indien. China ist mit 10% beteiligt. Doch die Medien schieben die Krise auf eine imaginäre „chinesische Schuldenfalle“.
Von Benjamin Norton (Multipolarista)
Sri Lanka, das sich in einer tiefen Wirtschaftskrise befindet und bankrott ist, wird seit Monaten von großen Protesten erschüttert, die jetzt zur Flucht des Präsidenten und zum Rücktritt der Regierung führten.
Zahlreiche westliche Politiker und Medien machen eine vermeintliche chinesische „Schuldenfalle“ für diesen Aufstand verantwortlich und greifen damit eine irreführende Darstellung auf, die von führenden Wissenschaftlern gründlich widerlegt worden ist. In Wirklichkeit ist der überwiegende Teil der Auslandsschulden des südasiatischen Landes dem Westen geschuldet.
Sri Lanka hat seit jeher mit der westlichen Schuldenlast zu kämpfen und hat 16 „wirtschaftliche Stabilisierungsprogramme“ mit dem von Washington dominierten Internationalen Währungsfonds (IWF) durchlaufen. Diese Strukturanpassungsprogramme haben eindeutig nicht funktioniert, zumal Sri Lankas Wirtschaft seit der Unabhängigkeit von der britischen Kolonialherrschaft im Jahr 1948 viele Jahrzehnte lang vom IWF verwaltet wurde.
Im Jahr 2021 befanden sich sage und schreibe 81% der Auslandsschulden Sri Lankas im Besitz von US-amerikanischen und europäischen Finanzinstitutionen sowie von Verbündeten des Westens, Japan und Indien. Dies verblasst im Vergleich zu den nur 10 %, die Peking geschuldet werden.
Offiziellen Statistiken des Ministry of External Resources von Sri Lanka zufolge befand sich Ende April 2021 die Mehrzahl der Auslandsschulden des Landes im Besitz westlicher Geierfonds und Banken, die mit 47% fast die Hälfte davon hielten.
Die wichtigsten Inhaber der Staatsschulden Sri Lankas in Form von internationalen Staatsanleihen (ISB) sind die folgenden Unternehmen:
- BlackRock (USA)
- Ashmore Group (Großbritannien)
- Allianz (Deutschland)
- UBS (Schweiz)
- HSBC (Großbritannien)
- JPMorgan Chase (USA)
- Prudential (USA)
Die Asiatische Entwicklungsbank (Asian Development Bank, ADB) und die Weltbank, die beide von den Vereinigten Staaten dominiert werden, besitzen 13% bzw. 9% der Auslandsschulden Sri Lankas. Die Hegemonie Washingtons über die Weltbank ist allgemein bekannt, und die US-Regierung ist der einzige Aktionär der Weltbankgruppe mit Vetorecht.
Weniger bekannt ist, dass auch die Asiatische Entwicklungsbank (ADB) größtenteils ein Instrument der Soft Power der USA ist. Die neokonservative, in Washington ansässige Denkfabrik Center for Strategic and International Studies (CSIS), die von westlichen Regierungen finanziert wird, bezeichnete die ADB treffend als „strategischen Aktivposten für die Vereinigten Staaten“ und als entscheidenden Herausforderer der viel neueren, von China geführten Asian Infrastructure Investment Bank.
„Die Vereinigten Staaten versuchen durch ihre Mitgliedschaft in der ADB und mit ihrer Indo-Pazifik-Strategie, mit China als bevorzugten Sicherheits- und Wirtschaftspartner in der Region zu konkurrieren“, erklärte das CSIS.
Ein weiteres Land, das erheblichen Einfluss auf die ADB hat, ist Japan, das ebenfalls 10% der Auslandsschulden Sri Lankas besitzt. Weitere 2% der Auslandsschulden Sri Lankas entfielen im April 2021 auf Indien, wobei diese Zahl seither stetig gestiegen ist. Anfang 2022 war Indien sogar der wichtigste Kreditgeber für Sri Lanka, wobei Neu-Delhi zwischen Januar und April 550% mehr Kredite als Peking gewährte. Sowohl Japan als auch Indien sind wichtige westliche Verbündete und Mitglieder von Washingtons Anti-China-Militärbündnis in der Region, der Quad.
Zusammen besitzen die westlichen Firmen und ihre Verbündeten Japan und Indien 81 % der Auslandsschulden Sri Lankas – mehr als drei Viertel der internationalen Verpflichtungen des Landes. Im Unterschied dazu besitzt China nur ein Zehntel der Auslandsschulden Sri Lankas.
Die überwältigende Rolle des Westens bei der Verschuldung Sri Lankas wird aus einer Grafik deutlich, die vom Department of External Resources des Landes veröffentlicht wurde und die Auslandsverpflichtungen nach Währungen aufschlüsselt:
Ende 2019 lauteten weniger als 5 % der Auslandsschulden Sri Lankas auf die chinesische Währung Yuan (CNY). Andererseits waren fast zwei Drittel, nämlich 64,6 %, in US-Dollar geschuldet, weitere 14,4 % in Sonderziehungsrechten (SZR) des IWF und mehr als 10 % in japanischen Yen (JPY).
Die westlichen Medien, die über die Wirtschaftskrise in Sri Lanka berichten, ignorieren diese Tatsachen jedoch und erwecken den starken und zutiefst irreführenden Eindruck, dass das Chaos zu einem großen Teil auf das Konto Pekings geht.
Die Wirtschaftskrise in Sri Lanka wird durch neoliberale Politik, Inflation, Korruption und die Covid-19-Pandemie verursacht
Im Juli dieses Jahres sah sich die Regierung Sri Lankas zum Rücktritt gezwungen, nachdem Hunderttausende von Demonstranten öffentliche Gebäude gestürmt, einige in Brand gesetzt und auch die Häuser der führenden Politiker des Landes besetzt hatten.
Auslöser der Proteste waren die in die Höhe schießende Inflation, die grassierende Korruption und der weit verbreitete Mangel an Treibstoff, Lebensmitteln und Medikamenten, der darauf zurückzuführen ist, dass das Land nicht in der Lage ist, seine Importe zu bezahlen.
Im Mai geriet Sri Lanka mit seinen Schulden in Verzug. Im Juni versuchte das Land, ein weiteres Strukturanpassungsprogramm mit dem von den USA dominierten Internationalen Währungsfonds (IWF) auszuhandeln. Dies wäre die 17. IWF-Rettungsaktion für Sri Lanka gewesen, aber die Gespräche endeten ohne eine Einigung.
Im Juli gab der Ministerpräsident Sri Lankas, Ranil Wickremesinghe, öffentlich zu, dass seine Regierung „bankrott“ sei.
Der Präsident Sri Lankas, Gotabaya Rajapaksa, der einen großen Teil seines Lebens in den Vereinigten Staaten verbracht hat, trat 2019 sein Amt an und führte sofort eine Reihe neoliberaler wirtschaftspolitischer Maßnahmen ein, zu denen auch Steuersenkungen für Unternehmen gehörten.
Diese neoliberale Politik führte zu einem Rückgang der Staatseinnahmen. Und die prekäre wirtschaftliche Lage wurde durch die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie noch verschärft.
Angesichts einer außer Kontrolle geratenen Inflationsrate von 39,1% im Mai vollzog die Regierung Sri Lankas eine Kehrtwende und erhöhte plötzlich wieder die Steuern, was die Unzufriedenheit der Bevölkerung weiter steigerte, die sich im Juli in einer sozialen Explosion entlud.
Medien machen fälschlicherweise China für den Zahlungsausfall Sri Lankas verantwortlich
Obwohl 81% der Auslandsschulden Sri Lankas von westlichen Finanzinstitutionen, Japan und Indien gehalten werden, versuchten die großen Konzernmedien, China für den Bankrott des Landes und die darauf folgenden Proteste verantwortlich zu machen.
Das Wall Street Journal zeigte mit dem Finger auf Peking in einem zutiefst irreführenden Artikel mit dem Titel „China’s Lending Comes Under Fire as Sri Lankan Debt Crisis Deepens„. Die Zeitung merkte an, dass die Krise „Indien ein Fenster öffnet, um sich gegen den chinesischen Einfluss in der Region des Indischen Ozeans zu wehren“.
Der US-Mediengigant Associated Press versuchte ebenfalls, China zum Sündenbock zu machen – „China wird zum Unruhestifter in der Schuldenkrise Sri Lankas“ [4] -, und seine irreführende Meldung wurde von Medien auf der ganzen Welt, von ABC News bis zu Al Arabiya aus Saudi-Arabien, übernommen.
Viele Medien in Indien, darunter der New Indian Express, Business Standard, India Today, The Print, sowie das japanische Medienkonglomerat Nikkei, veröffentlichten ähnlich irreführende Berichte.
Das Propagandamagazin der US-Regierung, Voice of America, das eng mit der CIA verbunden ist, bediente sich im April in einem Artikel mit dem Titel „China’s Global Image Under Strain as Sri Lanka Faces Debt Trap“ derselben irreführenden Taktik.
VOA beschuldigte Peking, „eine Art ‚Schuldenfalle-Diplomatie‘ zu betreiben, die darauf abzielt, wirtschaftlich schwache Länder in die Knie zu zwingen, die auf die Unterstützung Chinas angewiesen sind.“
China’s Global Image Under Strain as Sri Lanka Faces Debt Traphttps://t.co/gqWbe5PGdz
— Voice of America (@VOANews) April 26, 2022
In den sozialen Medien war das westliche Propagandanarrativ zu den Protesten im Juli in Sri Lanka noch weiter von der Realität entfernt. Ein Veteran der Central Intelligence Agency (CIA), der Defense Intelligence Agency (DIA) und der National Security Agency (NSA), Derek J. Grossman, stellte die Unruhen als einen Aufstand gegen China dar.
„Chinas Chance, eines Tages Sri Lanka zu kontrollieren, hat sich wahrscheinlich gerade geschlossen“, twitterte er am 9. Juli, als die Regierung ihren Rücktritt ankündigte.
Nachdem er für die US-Spionagebehörden gearbeitet hatte, ist Grossman heute Analyst bei der wichtigsten Denkfabrik des Pentagon, der RAND Corporation, wo er eine aggressiv gegen Peking gerichtete Linie vertritt.
China’s window of opportunity to one day control Sri Lanka probably just closed. pic.twitter.com/WOLIb3SUTf
— Derek J. Grossman (@DerekJGrossman) July 9, 2022
BBC gibt widerwillig zu, dass die Darstellung der „chinesischen Schuldenfalle“ in Sri Lanka falsch ist
China hat mehrere große Infrastrukturprojekte in Sri Lanka finanziert, darunter den Bau eines internationalen Flughafens, von Krankenhäusern, eines Kongresszentrums, eines Sportstadions und – besonders umstritten – eines Hafens in der südlichen Küstenstadt Hambantota.
Die britische BBC schickte einen Reporter nach Sri Lanka, um diesen Vorwürfen über angebliche „chinesische Schuldenfallen“ nachzugehen. Nachdem er mit Einheimischen gesprochen hatte, kam er jedoch nur widerwillig zu dem Schluss, dass diese Behauptung falsch ist.
„Die Wahrheit ist, dass viele unabhängige Experten sagen, dass wir uns vor dem Narrativ der chinesischen Schuldenfalle hüten sollten, und wir haben hier in Sri Lanka eine Menge Beweise gefunden, die dem widersprechen“, räumte BBC-Moderator Ben Chu ein.
Er erklärte: „Der Hafen von Hambantota wurde von Sri Lanka initiiert, nicht von den Chinesen. Und er kann derzeit nicht von chinesischen Kriegsschiffen genutzt werden, und es gibt sogar einige ziemlich große Hindernisse, die das verhindern.
„Viele der Projekte, die wir gesehen haben, fühlen sich eher wie weiße Elefanten an, als dass sie zu den globalen strategischen Zielen Chinas gehören“, so Chu weiter.
In our latest film from Sri Lanka, which faces financial collapse as the global Big Squeeze bites, Ben Chu examines the effect that Chinese loans and investment are having on the country:#Newsnight https://t.co/GBFZ1ItP0G
— BBC Newsnight (@BBCNewsnight) June 22, 2022
Das britische Staatsfernsehen interviewte den Direktor der Wirtschaftskommission der Hafenstadt Colombo, Saliya Wickramasuriya, der betonte: „Die chinesische Regierung ist nicht an der Festlegung der Regeln und Vorschriften beteiligt, so dass die Regierung von Sri Lanka die Kontrolle hat und es dem Wunsch der Regierung von Sri Lanka überlassen bleibt, die Stadt, die Entwicklung der Stadt, so zu gestalten, wie sie es möchte.“
„Es ist richtig, dass die Entwicklung der Infrastruktur durch chinesische Investitionen, manchmal auch durch die Aufnahme von chinesischen Krediten, einen Aufschwung erfahren hat, aber das sind Dinge, die wir eigentlich schon seit langer, langer Zeit brauchen“, fügte Wickramasuriya hinzu.
Chu stellte klar: „Wichtig ist, dass die Chinesen hier keine Schulden, sondern Eigenkapital besitzen.“
„Ist die Schuldenfalle doch nicht so schlimm, wie es scheint?“, fragte er.
Mainstream-US-Wissenschaftler entlarven den Mythos der „chinesischen Schuldenfalle
Auch westliche Akademiker haben die Behauptungen über „chinesische Schuldenfallen“ untersucht und sind zu dem Schluss gekommen, dass es sie nicht gibt.
Sogar eine Professorin der School of Advanced International Studies der Johns Hopkins University, die für ihre Drehtür zur US-Regierung und ihre engen Verbindungen zu Spionageagenturen berüchtigt ist, räumte ein, dass „die chinesische Schuldenfalle“ ein Mythos ist.
Im Jahr 2021 schrieb die Wissenschaftlerin Deborah Brautigam in der Zeitschrift „The Atlantic„, dem faktischen Sprachrohr des politischen Establishments in Washington, dass das Narrativ der Schuldenfalle „eine Lüge ist, und zwar eine mächtige“.
„Unsere Untersuchungen zeigen, dass chinesische Banken bereit sind, die Bedingungen bestehender Kredite umzustrukturieren, und dass sie noch nie einen Vermögenswert eines Landes beschlagnahmt haben, schon gar nicht den Hafen von Hambantota“, so Brautigam in dem Artikel, der von Meg Rithmire, einer Professorin an der entschieden antisozialistischen Harvard Business School, mitverfasst wurde.
The Chinese „debt-trap“ narrative is a false one which wrongfully portrays both Beijing and the developing countries it deals with, Deborah Brautigam and Meg Rithmire write: https://t.co/FagExsdeNT
— The Atlantic (@TheAtlantic) February 7, 2021
Brautigam veröffentlichte ihre Ergebnisse in einem Artikel mit dem Titel „Debt Relief with Chinese Characteristics“ (Schuldenerlass mit chinesischen Merkmalen), den sie zusammen mit ihren Forscherkollegen Kevin Acker und Yufan Huang im Jahr 2020 für die China Africa Research Initiative der Johns Hopkins Universität veröffentlichte. [8]
Sie untersuchten chinesische Kredite in Sri Lanka, Irak, Simbabwe, Äthiopien, Angola und der Republik Kongo und „fanden keine ‚Vermögensbeschlagnahmungen‘ und, trotz Vertragsklauseln, die ein Schiedsverfahren vorschreiben, keine Beweise für den Einsatz von Gerichten zur Durchsetzung von Zahlungen oder die Anwendung von Strafzinsen“.
Sie fanden heraus, dass Peking zwischen 2000 und 2019 mehr als 3,4 Milliarden Dollar gestrichen und rund 15 Milliarden Dollar an Schulden in Afrika umstrukturiert oder refinanziert hat. Mindestens 26 Einzelkredite an afrikanische Staaten wurden neu verhandelt.
Westliche Kritiker greifen Peking an und werfen der Regierung einen Mangel an Transparenz bei ihren Krediten vor. Brautigam erklärte, dass „chinesische Kreditgeber es vorziehen, Umstrukturierungen im Stillen und auf bilateraler Basis anzugehen und die Programme auf die jeweilige Situation zuzuschneiden“.
Die Forscher stellten fest, dass China bei der Vergabe von Krediten für Projekte den Schwerpunkt auf die ‚Entwicklungsnachhaltigkeit‘ (mit Blick auf den künftigen Beitrag des Projekts) und nicht auf die ‚Schuldentragfähigkeit‘ (mit Blick auf den aktuellen Zustand der Wirtschaft) legt“.
„Trotz der Befürchtungen von Kritikern, dass China die Vermögenswerte seiner Kreditnehmer beschlagnahmen könnte, sehen wir nicht, dass China versucht, Länder mit Schuldenproblemen auszunutzen“, heißt es weiter. „In den 16 Umstrukturierungsfällen, die wir untersucht haben, gab es keine ‚Vermögensbeschlagnahmungen'“, so die Wissenschaftler.
„Wir haben in Afrika noch keine Fälle gesehen, in denen chinesische Banken oder Unternehmen souveräne Regierungen verklagt oder die in chinesischen Kreditverträgen vorgesehene Option für ein internationales Schiedsverfahren genutzt haben.“
Erstveröffentlichung unter dem Titel „Real debt trap: Sri Lanka owes vast majority to West, not China“ am 11.07.2022 auf Multipolarista. Übersetzung ins Deutsche von kommunisten.de.
Der Artikel ist copyright geschützt und darf nur mit Einwilligung der Redaktion von Multipolarista übernommen werden.