Am 29. Juni dieses Jahres 2022 reiste Präsident Alberto Fernández in die Provinz Jujuy, um Milagro Sala zu besuchen, die nach einer schweren Venenthrombose im Krankenhaus liegt. Als der Präsident das letzte Mal mit Milagro Sala zusammentraf, war er noch nicht Präsident. Das war am 31. Dezember 2016, als er die soziale Leiterin besuchte. Bei dieser Gelegenheit hatte Fernández angesichts ihrer willkürlichen Inhaftierung seine Solidarität mit ihr bekundet.

Von Miguel Julio Rodríguez Villafañe

Fernández erklärte bei dem neuen Besuch, dass er immer die unrechtmäßige Inhaftierung von Milagro Sala sowie die Unregelmäßigkeiten bei den Prozessen, die stattgefunden haben, angesprochen habe und fügte hinzu, dass er sie besuche, weil „es menschlich gesehen eine Katastrophe ist, was sie mit Milagro machen“. Seine Möglichkeiten, sie freizulassen, seien limitiert, aber er werde alles in seiner Macht stehende tun, damit der Fall gelöst wird, denn “es ist eine absolute Ungerechtigkeit“.

Der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte (IACHR) wiederum hat am 23. November 2017 im Rahmen des „Antrags auf vorläufige Maßnahmen in Bezug auf Argentinien. Fall Milagro Sala“ und in Ausübung der ihm durch Artikel 63 Absatz 2 der Amerikanischen Konvention übertragenen Befugnisse beschlossen: „1. den Staat Argentinien aufzufordern, unverzüglich die notwendigen und wirksamen Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um das Leben, die persönliche Integrität und die Gesundheit von Frau Milagro Sala zu gewährleisten. Insbesondere muss der Staat die Untersuchungshaft von Frau Sala durch die alternative Maßnahme des Hausarrests ersetzen, der an ihrem Wohnsitz oder an dem Ort, an dem sie sich gewöhnlich aufhält, zu vollziehen ist, oder durch eine andere alternative Maßnahme zur Untersuchungshaft, die ihre Rechte weniger einschränkt als der Hausarrest, in Übereinstimmung mit den Bestimmungen von Erwägungsgrund 33“. Diese Entscheidung wurde vom Obersten Gerichtshof von Argentinien (CSJN) ratifiziert. Ihre Notlage wurde dadurch jedoch nicht gemildert.

Milagro befindet sich seit fast sieben Jahren in Untersuchungshaft, was das Dreifache der gesetzlich festgelegten Höchstdauer ist. In der Zwischenzeit verfolgt die Justiz in Jujuy die Verfahren gegen sie und ihre Familie weiter. Beim CSJN seinerseits ist das Hauptverfahren gegen Sala seit mehr als zwei Jahren anhängig.

Der Präsident sagte, dass gegen die soziale Leiterin Milagro Sala „eindeutiges ein System der Verfolgung eingerichtet wurde“ und fügte hinzu: „Ich hoffe, dass die Gerichte von Jujuy meine Kritik so gut wie möglich aufnehmen. Ich bitte sie eindringlich, ihr Vorgehen zu überdenken, es ist kein gutes Beispiel für das Land. Das Gleiche gilt für den Obersten Gerichtshof, der mit Dringlichkeit die Dinge entscheidet, die seine Interessen betreffen, bitte behandeln Sie die von Milagro Sala eingereichten Beschwerde mit der gleichen Dringlichkeit“.

In der Zwischenzeit hat der Gouverneur der Provinz Jujuy, Gerardo Morales, die Erklärungen des Präsidenten nicht nur nicht zur Kenntnis genommen, sondern sich darauf beschränkt, ihm zudem vorzuwerfen, dass dieser nicht in die Provinz gekommen sei und dass er in Wirklichkeit wolle, dass Milagro gesund wird und in ein gewöhnliches Gefängnis kommt, ohne Hausarrest. Damit ignoriert er, was der CSJN in Übereinstimmung mit den Hinweisen des IACHR-Gerichtshofs zwingend angeordnet hat, und übt eindeutig Druck auf die Justiz von Jujuy aus.

Am darauffolgenden Tag erklärte der Präsident: „Seit langem bringe ich meine Besorgnis über die Vorgänge in der Justiz und insbesondere im Fall von Milagro Sala zum Ausdruck, über die Art und Weise, wie sie inhaftiert wurde, über die Art und Weise des Verfahrens und die Verfolgungsmanöver“. Er fügte mit Nachdruck hinzu, dass „die argentinische Justiz verantwortlich ist. Ich bitte diejenigen, die mich auffordern, Milagro zu begnadigen, die Verfassung zu lesen. Sie können von mir nicht verlangen, etwas zu tun, das der Verfassung widerspricht“. Er schloss mit den Worten, dass „keine Gesellschaft ohne einen Rechtsstaat, der die Menschenrechte achtet, gut funktioniert. Die Verlängerung der Sicherungsverwahrung ist eine Verletzung der Menschenrechte. An den Obersten Gerichtshof, der sich mit Fragen, die seine Interessen betreffen, ebenso dringend befassen muss wie der Justizrat oder die Richter der Föderalen Kammer, richte ich die Bitte, die Behandlung des Urteils, das in Form einer Beschwerde an Sie herangetragen wurde und das irgendwo im Gericht ruht, mit Dringlichkeit zu behandeln und es zu lösen.“

Nun, ist es eine Sache, Milagro nicht zu begnadigen, und eine andere, die Amerikanische Menschenrechtskonvention (Pakt von San José de Costa Rica), die in Argentinien Verfassungsrang hat (Art. 75, Abs. 22), nicht durchzusetzen.

In Artikel 28 dieses Übereinkommens heißt es: „Im Falle eines Vertragsstaats, der als Bundesstaat konstituiert ist, erfüllt die nationale Regierung dieses Vertragsstaats alle Bestimmungen dieses Übereinkommens in Bezug auf die Angelegenheiten, für die sie die gesetzgeberische und gerichtliche Zuständigkeit ausübt“. Weiter heißt es: „Hinsichtlich der Bestimmungen über Angelegenheiten, die in den Zuständigkeitsbereich der Gliederungen der Föderation fallen, trifft die nationale Regierung in Übereinstimmung mit ihrer Verfassung und ihren Gesetzen unverzüglich die geeigneten Maßnahmen, um die zuständigen Behörden dieser Gliederungen in die Lage zu versetzen, geeignete Maßnahmen zur Durchführung dieses Übereinkommens zu treffen“.

Artikel 7 des Paktes wiederum besagt: „Niemand darf willkürlich festgenommen oder in Haft gehalten werden… Wer festgenommen wird, hat das Recht auf ein Verfahren innerhalb einer angemessenen Frist oder auf Freilassung, ohne dass dadurch die Fortsetzung des Verfahrens beeinträchtigt wird…“.

Der Nationalstaat ist für die Einhaltung der oben genannten Bestimmungen verantwortlich, wie in Art. 28 festgelegt, und wenn der Präsident selbst weiß, dass die Menschenrechte in dem betreffenden Fall nicht geachtet werden, dann hat er als Vertreter des Nationalstaates die Verantwortung, den Pakt in einem föderalen Land durch ein verfassungsmäßiges und konventionelles Mandat durchzusetzen. Daher muss er den Nationalstaat anweisen, in den Fällen aufzutreten und die entsprechenden Vorschläge in Übereinstimmung mit dem Pakt zu unterbreiten und sogar „per Saltum“ vor dem CSJN zu intervenieren, damit Milagros Sala ein für alle Mal Recht und Gerechtigkeit widerfährt. Und wenn der CSJN seine Rolle nicht so wahrnimmt, wie er sollte, ist ein entsprechender Antrag auf Amtsenthebung gegen die Mitglieder dieses Gerichts zu stellen.

Die nationale Exekutive kann sich nicht darauf beschränken, moralische Ermahnungen an eine Justiz zu richten, die schon seit langem nicht mehr zuhört. Andernfalls wird es weiterhin eine inakzeptable Unterlassung geben.

 

Miguel Julio Rodríguez Villafañe ist Verfassungsrechtler aus Córdoba sowie Journalist und Meinungskolumnist.

Übersetzung vom deutschen Komitee für die Freiheit von Milago Sala