Im Osten der Ukraine verlieren täglich 100 Menschen ihr Leben, 400 bis 500 werden täglich verletzt, so der ukrainische Präsident in einer Videoansprache. Die Menschen sterben, andere werden verwundet, wieder andere werden entführt – wie soll der Krieg in der Ukraine enden?

USA-Außenminister Blinken, NATO-Generalsekretär Stoltenberg und unsere Medien bestehen darauf: „Die Ukraine kann gewinnen.“ Die ukrainische Armee hat in der Tat beeindruckende Leistungen bei deutlich hervortretenden Schwächen des russischen Militärs erbracht. Dies erweckt Hoffnung bei allen, die der Ukraine einen Sieg wünschen. Nur: Kann irgendjemand wissen, ob die Hoffnung sich erfüllt?

Derzeit kommen die russischen Soldaten im Osten der Ukraine voran, das heißt: sie zerstören Städte, töten weitere Menschen – ob Soldaten oder ZivilistInnen. Die Überlebenden sind für ihr weiteres Leben körperlich und/oder seelisch gezeichnet. Auch die ukrainischen Soldaten töten, verwunden – es bleibt ihnen bei der Verteidigung ihres Landes, ihrer Landsleute, ihres eigenen Lebens nichts anderes übrig.

Ob sie siegen können, weiß keiner, und niemand kann berechnen, welche Opfer der Krieg bis zu einem Sieg noch fordern wird. Deswegen sind solche Vorhersagen problematisch. Noch problematischer ist allerdings die Forderung, jedeR PolitikerIn müsse nun behaupten: „Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen“, wie es Friedrich Merz von Kanzler Scholz gefordert hat. Er befindet sich in grüner Gesellschaft, denn Annalena Baerbock fand die gleichen Worte.

Diese Aussagen bis hin zu Forderungen sind Wünsche, die den Sieg des vermeintlich Guten über das Böse vorwegnehmen. Aber erstens ist die Ukraine nicht durchweg gut, und zweitens siegt das Gute ohnehin nur im Märchen.

Die Forderungen deutscher PolitikerInnen an die Ukraine, sie werde, sie müsse siegen, gehen überhaupt nicht darauf ein, was dieser Sieg beinhalten könnte. Und was er noch kosten wird. Dass die Opposition und die Medien sich auf Kanzler Scholz einschießen, der sich diesen Termini nicht anschließt, sondern – immerhin – fordert, die Ukraine müsse bestehen bleiben und dürfe nicht verlieren, ist ein Symptom für die Psychologie des Hühnerstalls im Politik- und Mediengeschäft: Ist einmal ein Angriffspunkt gefunden, wird begeistert gehackt. Nachdenken ist überflüssig, Unsicherheit eliminiert. Wie angenehm.

Die mantraartige Wiederholung der Solidarität aller NATO-Verbündeter, auf die sich der Kanzler, die Außenministerin und die EU-Kommissionspräsidentin beziehen, vernachlässigt komplett die Rolle, die die USA und die Nato bis zum Beginn dieses Konflikts 2014 gespielt haben. Angelo Barraca hat dazu einen eindrucksvollen Artikel verfasst, und er ist nicht der Einzige (s.a. Klaus von Dohnani). Sie geht außerdem an der instabilen Situation der USA vorbei, die durch innenpolitische Unsicherheit gekennzeichnet ist, ganz abgesehen davon, dass die USA nicht auf ewig mit Europa verbandelt sind – man denke nur an Trumps Abkehr von der Nato, die den USA und uns wieder blühen kann. Derzeit gibt es zunehmend Stimmen in den USA, die darauf hinweisen, dass es keine Garantie für den Sieg der Ukraine gibt, und dass die von PolitikerInnen pathetisch vorgetragenen Forderungen an die Ukraine gefährlich sind. Das betonte auch Ulrike Guérot in der gestrigen Sendung von Markus Lanz.

Der Krieg in der Ukraine ist entsetzlich genug. PolitikerInnen und Medien sollten es sich mit Prognosen und gängigen Forderungen nicht zu leicht machen, sondern ihre Energie darauf verwenden, Ideen für eine Beendigung des Grauens zu entwickeln.

Der Originalartikel kann hier besucht werden