Ein aktueller Bericht von Amnesty International zur weltweiten Anwendung der Todesstrafe für 2021 zeigt eine besorgniserregende Zunahme von Hinrichtungen und Todesurteilen. Insgesamt sind 579 Menschen hingerichtet worden – 20 Prozent mehr als im Vorjahr. Eine Bilanz des Grauens.

Von Helmut Ortner

Erhängen, Enthaupten, Giftinjektion oder Erschießen: mindestens 579 Menschen in 18 Ländern wurden nach Angaben von Amnesty International im Jahr 2021 auf diese Weise hingerichtet. Das ist ein Anstieg um 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr, als 483 Exekutionen registriert wurden. Knapp ein Viertel der 2021 hingerichteten Personen waren Frauen. „Nach dem niedrigsten Stand von Hinrichtungen im Corona-Jahr 2020 wurden 2021 wieder deutlich mehr Menschen durch Staaten hingerichtet. Verantwortlich dafür ist weiter die kleine Gruppe unbelehrbarer Staaten, die an diesen grausamen und unmenschlichen Tötungen festhält, unter anderem Iran und Saudi-Arabien, die staatliche Exekutionen im letzten Jahr stark ausgeweitet haben“, sagt Markus N. Beeko, Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland. Dieser Trend setze sich auch in den ersten Monaten des Jahres 2022 fort.

Die Länder mit den höchsten bekannt gewordenen Hinrichtungszahlen sind nach Amnesty-Angaben China, Iran, Ägypten, Saudi-Arabien und Syrien. Allerdings sind in der Statistik zahlreiche Todesurteile nicht berücksichtigt, von denen Amnesty International annimmt, dass sie verhängt und vollstreckt wurden. Was die aktuellen Zahlen betrifft, sind für den größten Teil des Anstiegs der Iran verantwortlich. Dort stieg die Zahl der Hinrichtungen von mindestens 246 im Jahr 2020 auf mindestens 314 im Jahr 2021 – ein Anstieg von 28 Prozent.

Auch in Saudi-Arabien verdoppelte sich die Zahl der Hinrichtungen von 27 im Jahr 2020 auf 65 im Jahr 2021. Die Regierung von Mohammed bin Salman geht mit aller Härte gegen politische und religiöse Meinungsäußerungen vor, mindestens 3.000 politisch Inhaftierte sitzen derzeit in Saudi-Arabien nach Schätzungen von Amnesty International in Gefängnissen des Landes. Todesurteile werden weiterhin vollstreckt. Allein an einem einzigen Tag waren im März diesen Jahres 81 Menschen exekutiert worden. Ein barbarischer Rekord.

Neben der steigenden Hinrichtungszahl in Saudi-Arabien waren auch in folgenden Staaten erheblich mehr Exekutionen zu beobachten: Somalia (von 11 stieg die Zahl auf 21), Südsudan (von 2 auf 9) und Jemen (von 5 auf 14). In Belarus (1), Japan (3) und den Vereinigten Arabischen Emiraten (1) wurden nach Hinrichtungsstopps im Vorjahr erneut Todesurteile vollstreckt. Die Zahlen sind bis auf jene aus Japan Mindestangaben, die Dunkelziffer dürfte höher liegen.

Und wie in den Jahren zuvor, fehlen in dieser Bilanz des Grauens die Angaben aus China, Nordkorea und Vietnam, wo vermutliche tausende Todesurteile vollstreckt wurden. Die Regierungen dieser drei Staaten halten Angaben zur Todesstrafe unter Verschluss und behandeln sie als Staatsgeheimnis. Eine unabhängige und genaue Überprüfung ist unmöglich. Doch Amnesty International geht davon aus, dass in China nach wie vor weltweit die meisten Hinrichtungen stattfinden. Menschenrechts-Beobachter gehen von Tausenden aus.

Stark gestiegen ist auch die Zahl der ausgesprochenen Todesurteile. Weltweit wurden beinahe 40 Prozent mehr Todesurteile verhängt als 2020. In 56 Staaten verurteilten Gerichte mindestens 2.052 Menschen zum Tode. Der Anstieg war besonders markant in Bangladesch (von 113 auf 181), Indien (von 77 auf 144) und Pakistan (von 49 auf 129), außerdem in Ägypten (von 264 auf 356), der Demokratischen Republik Kongo (von 20 auf 81), dem Irak (von 27 auf 91), Jemen (von 269 auf 298), Myanmar (von 1 auf 86) und Vietnam (von 54 auf 119). Dabei handelt es sich bis auf Indien um Mindestzahlen.

Amnesty International schätzt, dass die Todesstrafe in zahlreichen Staaten als Instrument der staatlichen Repression gegen Minderheiten und Demonstrierende eingesetzt wurde. So stellte etwa die Militärregierung in Myanmar unter dem herrschenden Kriegsrecht Zivilpersonen vor Militärgerichte, wo sie in Eilverfahren zum Tode verurteilt wurden und keine Rechtsmittel einlegen konnten. Ägyptische Behörden verurteilten viele Menschen in unfairen Gerichtsverfahren vor Staatssicherheitsgerichten zum Tode und griffen auch auf Folter und Massenhinrichtungen zurück. Im Iran – so stellt Amnesty fest – wurden überdurchschnittlich viele Todesurteile gegen Angehörige ethnischer Minderheiten ausgesprochen, u. a. wegen vage formulierter Anklagepunkte wie »Feindschaft zu Gott«.

Doch es gibt in dieser globalen Schreckens-Bilanz auch positive Anzeichen. Einige Staaten schafften die Todesstrafe ab, wie etwa Sierra Leone, Kasachstan und Papua-Neuguinea. Die malaysische Regierung kündigte an, im dritten Quartal 2022 geplante Rechtsreformen zur Todesstrafe zu vorzulegen. In der Zentralafrikanischen Republik und in Ghana wurden rechtliche Prozesse zur Abschaffung der Todesstrafe eingeleitet.

Auch in den die USA, wo während der Trump-Jahre wieder zahlreiche Hinrichtungen stattfanden, gibt es positive Entwicklungen. So schaffte der Bundesstaat Virginia 2021 als 23. Staat (und als erster Südstaat) die Todesstrafe ab. Im Bundesstaat Ohio wurden das dritte Jahr in Folge alle geplanten Hinrichtungen verschoben oder ausgesetzt. Zudem gab die neue US-Regierung im Juli bekannt, dass sie alle Hinrichtungen auf Bundesebene (die unter Trump gerade in seinem letzten Amts-Wochen vollstreckt worden waren) bis auf weiteres aussetzen würde.

Quelle: Amnesty International: Todesstrafe weltweit 2021
https://www.amnesty.de/sites/default/files/2022-05/Amnesty-Bericht-Todesstrafe-weltweit-2021-auf-Englisch.pdf


Buchhinweis: Helmut Ortner, OHNE GNADE – Eine Geschichte der Todesstrafe, Mit einem Nachwort von Bundesrichter a.D. Thomas Fischer, Nomen Verlag, 228 Seiten, 22 Euro

OHNE GNADE – Eine Geschichte der Todesstrafe