Die vor einem Jahr getroffene Entscheidung der japanischen Regierung, ab Frühjahr 2023 radioaktives Wasser aus den Lagertanks des Kernkraftwerks Fukushima Daiichi in den Pazifik zu leiten, gerät zunehmend unter Druck, insbesondere angesichts der Tatsache, dass dies nicht nur illegal, sondern auch moralisch verwerflich ist und eine verachtenswerte Missachtung des Lebenselixiers Ozean darstellt.

In der Zwischenzeit wendet die japanische Regierung in einem verblüffenden, verzweifelten Manöver, die Bürger:innen von ihrem wahren Wert zu überzeugen, Taktiken der Gedankenkontrolle, die an Aldous Huxleys Brave New World (Chatto & Windus, 1932) erinnern. Darin werden die schädlichen Auswirkungen beschrieben, die die Ausbreitung und Entwicklung einer kapitalistischen Ideologie auf eine Gesellschaft haben kann.

Zum Beispiel: Die japanischen Bürger:innen sind empört über eine neue Politik der Regierung, die Kinder einer Gehirnwäsche unterzieht, indem sie Flugblätter an Grundschüler verteilt, in denen behauptet wird, das „verdünnte, nuklear verseuchte Wasser von TEPCO sei sicher“.

„Die Regierung hat im Dezember insgesamt 2,3 Millionen Broschüren direkt an Grund-, Mittel- und Oberschulen im ganzen Land verschickt, um einen Imageschaden durch die geplante Wassereinleitung zu verhindern. Die Schulmitarbeiter sagen, dass die Broschüren den Kindern einseitig die Ansichten der Zentralregierung aufzwingen.“ (Quelle: Booklets Touting Fukushima Plant Water Discharge Angers Schools, The Asahi Shimbun, March 7, 2022)

„Eine Bewohnerin von Fukushima mit dem Nachnamen Kataoka sagte der Global Times am Mittwoch, dass der Schritt der japanischen Regierung eine Art von Gedankenkontrolle sei, und dass sie ihn entschieden ablehne. (Quelle: Japanese Groups Voice Growing Opposition, Organize Rallies Over Govt’s Nuclear-Contaminated Water Dumping Plan Decided One Year Before, Global Times, April 13, 2022)

Die japanischen Bürger wehren sich: Vier verschiedene Bürgerorganisationen aus den Präfekturen Fukushima und Miyagi haben am 30. März 2022 eine von 180.000 Menschen unterzeichnete Petition an das Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie und an die Tokyo Electric Power Company geschickt, in der sie sich gegen den Plan der Regierung aussprechen.

Darüber hinaus haben japanische Umweltschutzgruppen landesweite Kundgebungen in Tokio und Fukushima organisiert und erklärt, dass sie so lange auf die Straße gehen werden, bis die Regierung ihre Entscheidung widerruft: „Sobald das nuklear verseuchte Wasser ins Meer geleitet wird, sind die Folgen unumkehrbar. Es geht nicht nur um Fukushima. Das Meer verbindet die ganze Welt. Wir hoffen, dass wir keine giftigen Stoffe ins Meer einleiten“, sagte der Demonstrant Ayumu Aoyanagi. „Ich bin wütend. Sie haben die öffentliche Meinung völlig ignoriert. Ich hoffe, dass die Menschen verstehen, dass die Gefahr vielleicht nicht unmittelbar sichtbar wrid, aber in Zukunft definitiv unsere Gesundheit beeinträchtigen wird“, sagte eine andere Demonstrantin namens Makiyo Takahashi.“ (Quelle: Fukushima Residents Oppose Government Dumping Radioactive Water Into Ocean, CGTN News, April 14, 2022)

Zhao Lijian vom chinesischen Außenministerium behauptet, die japanische Regierung habe sich gegenüber jeglichem Widerstand taub gestellt, da sie keine überzeugenden Beweise für die Legitimität des Ableitungsprogramms, keine zuverlässigen Daten über das kontaminierte Wasser und die Wirksamkeit der Reinigungsgeräte sowie keine überzeugenden Beweise für die Auswirkungen auf die Umwelt vorgelegt habe. (Quelle: Japan verstößt schwer gegen völkerrechtliche Verpflichtungen, indem es weiterhin nuklear verseuchtes Wasser in den Ozean ableitet, People’s Daily Online, 15. April 2022)

Außerdem „trägt dieses Wasser zu dem bereits atomar verschmutzten Meer bei. Dies bedroht das Leben und den Lebensunterhalt der Inselbewohner, die stark von den Meeresressourcen abhängig sind. Dazu gehören sowohl die Küstenfischerei als auch pelagische Fische wie Thunfisch. Erstere sorgt für den täglichen Lebensunterhalt und die Nahrungsmittelsicherheit, letzterer für dringend benötigte Devisen durch Fischereilizenzen für die Flotten der Fischfangnationen in fernen Gewässern“, erklärte Vijay Naidu, außerordentlicher Professor an der Fakultät für Rechts- und Sozialwissenschaften an der Universität des Südpazifiks in Fidschi, gegenüber Al Jazeera. (Quelle: ‚Keine Müllhalde‘: Pacific Condemns Fukushima Water Plan, Al Jazeera, Feb. 14, 2022)

Das wichtigste radioaktive Isotop, das freigesetzt werden soll, „ist Tritium, eine normale Verunreinigung aus den Abwässern, dem Kühlwasser aus dem normalen Reaktorbetrieb, aber dies ist das Äquivalent von mehreren Jahrhunderten normaler Produktion von Tritium, das in diesem Wasser ist, also ist es eine sehr große Menge“, so Tilman Ruff, Nobelpreisträger und außerordentlicher Professor am Institut für globale Gesundheit an der Universität von Melbourne in Australien, Ebd.

Japan behauptet jedoch, das radioaktive Wasser sei sicher: „Natürlich ist das Risiko umso größer, je höher die Strahlenbelastung ist, aber es gibt keinen Wert, unterhalb dessen es keine Auswirkungen gibt“, so Ruff. „Das ist inzwischen ziemlich eindeutig bewiesen, denn in den letzten zehn Jahren gab es beeindruckende, sehr umfangreiche Studien mit einer großen Zahl von Menschen, die niedrigen Strahlungsdosen ausgesetzt waren. Und zwar in einer Höhe, die nur einen Bruchteil der normalen Hintergrundstrahlung aus dem Gestein oder der kosmischen Strahlung ausmacht. Selbst bei diesen sehr niedrigen Dosen sind schädliche Auswirkungen nachgewiesen worden“, ebd.

Chang Yen-chiang, Direktor des Forschungsinstituts für das Gelbe Meer und das Bohai-Meer an der Dalian Maritime University, fordert die internationale Gemeinschaft auf, die Einleitung zu stoppen, indem sie zunächst den Internationalen Gerichtshof um ein Gutachten über die Rechtswidrigkeit des japanischen Verklappungsplans bittet, gefolgt von Anträgen auf Unterbrechung des Prozesses durch China, Südkorea, Russland, Nordkorea und die pazifischen Inselstaaten in der UN-Generalversammlung.

Japan, als Unterzeichner: (1) des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen, (2) des Übereinkommens über die frühzeitige Benachrichtigung bei nuklearen Unfällen, (3) des Übereinkommens über nukleare Sicherheit, (4) des Gemeinsamen Übereinkommens über die Sicherheit der Behandlung abgebrannter Brennelemente und (5) des Übereinkommens über die Sicherheit der Behandlung radioaktiver Abfälle hat eindeutig und wissentlich gegen seine völkerrechtlichen Verpflichtungen verstoßen.

Laut dem von TEPCO veröffentlichten Plan für die Entsorgung von nuklear verseuchtem Wasser aus dem Kernkraftwerk Fukushima Daiichi wird das Land bald mit den offiziellen Vorbereitungen für die Freigabe des verseuchten Wassers beginnen und plant, im Frühjahr 2023 mit der langfristigen Einleitung von radioaktivem Wasser in den Pazifischen Ozean zu beginnen.

In einem Artikel der People’s Daily Online vom 15. April 2022 heißt es jedoch: „Daten von TEPCO haben gezeigt, dass das kontaminierte Wasser aus dem Atomunfall von Fukushima auch nach einer zweiten Behandlung noch viele Arten von Radionukliden mit einer langen Halbwertszeit enthält.“

Shaun Burnie, leitender Atomexperte bei Greenpeace Ostasien, behauptet, dass die Ableitung des giftigen Wassers die Gefahr birgt, dass weitere nukleare Trümmer in den Pazifischen Ozean gelangen, obwohl die Ableitung nicht die einzige Option ist, da „die japanische Regierung einmal zugegeben hat, dass es in der Nähe des Kernkraftwerks Fukushima Daiichi und in den Gebieten um die Präfektur Fukushima genug Platz gibt, um weitere Lagereinrichtungen für das Wasser zu bauen.“ (Global Times)

Das Bürgerkomitee für Atomenergie empfiehlt eine ordnungsgemäße Lagerung an Land in Japan, ähnlich der Lagerung, die das Land für seine nationalen Öl- und Petroleumreserven anwendet. „Das Argument, das sie vorbringen, ist, dass, wenn dieses Wasser nicht für einen unbestimmten Zeitraum gelagert wird, sondern für einen Zeitraum von 50-60 Jahren, das Tritium bis dahin auf einen winzigen Bruchteil des heutigen Wertes abgeklungen sein wird und kaum noch ein Problem darstellt.“ (Al Jazeera)

Obwohl die USA den Verklappungsplan kühn befürworten, haben die Nördlichen Marianen, ein US-Territorium mit mehr als 50.000 Einwohnern, Japans Plan für „inakzeptabel“ erklärt. Im Dezember 2021 verabschiedete das US-Territorium eine gemeinsame Resolution, in der es sich gegen jede Nation ausspricht, die nukleare Abfälle im Pazifik entsorgt, und darauf hinweist, dass die einzige akzeptable Option die langfristige Lagerung und Aufbereitung unter Verwendung der besten verfügbaren Technologie ist.

In allen ähnlichen Fällen haben historische Ereignisse die Angewohnheit, in der Zeit hin und her zu schwingen und mitten in neuen Kontroversen zu landen. Wenn es zum Beispiel um die Radioaktivität im Pazifik geht, sind die Erinnerungen lang.

Mehr als 300 atmosphärische und Unterwasser-Atomtests der USA, des Vereinigten Königreichs und Frankreichs in den 1940er Jahren, vor allem in der Republik der Marshallinseln und in Französisch-Polynesien, haben vielerorts unbewohnbares Land und langfristige Gesundheitsschäden in der Region hinterlassen. Japans Verklappungspläne wecken quälende Erinnerungen.

„Satyendra Prasad, der Vorsitzende der Botschafter des Pazifik-Insel-Forums bei den Vereinten Nationen, erinnerte die Welt im September letzten Jahres daran, dass der Pazifik „immer noch mit dem Erbe der Atomtests zu kämpfen hat, von der grenzüberschreitenden Verseuchung von Häusern und Lebensräumen bis hin zu einer höheren Zahl von Geburtsfehlern und Krebserkrankungen.“ (Al Jazeera)

In der Zwischenzeit, und insbesondere in den letzten Jahrzehnten, hält sich Japan zunehmend und furchtlos an das übergeordnete Thema, das in Aldous Huxleys Brave New World zum Ausdruck kommt, nämlich „die Gefahren staatlicher Kontrolle“, und setzt es in die Praxis um, während sich der Vater des Liberalismus John Locke (1632-1704) wenig überraschend im Grab dreht.

Im Dezember 2013 verabschiedete Japan beispielsweise das Gesetz zum Schutz von Staatsgeheimnisse (Protection of Specially Designated Secrets Act), nach dem Informant:innen im öffentlichen Dienst mit bis zu zehn Jahren Gefängnis und Journalisten, die mit ihnen zusammenarbeiten, mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden können, wenn sie Staatsgeheimnisse verraten.

Dieses Gesetz hat eine entscheidende Wendung erfahren: Die Leitlinien ermächtigen die Leiter von 19 Ministerien und Behörden, subjektiv zu bestimmen, „welche Dokumente und Themen Staatsgeheimnisse sind“. Kurz gesagt, jede/jeder Staatsbeamte bestimmt mit einem subjektiven Urteil, wer ins Gefängnis kommt.

„Das Ergebnis ist, dass Beamte zwar die Klassifizierung eines Dokuments kennen, Journalisten aber nicht sicher sein können, was ein Staatsgeheimnis ist. Informierende Beamte und Journalist:innen könnten verhaftet werden, selbst wenn sie davon überzeugt sind, dass sie im Interesse der Öffentlichkeit handeln. (Quelle: Japan’s State Secrets Law, A Minefield for Journalist, Committee to Protect Journalists-NY, Nov. 4, 2014)

Da Japan sich anscheinend an die Vorgaben von Brave New World hält, ist es interessant zu wissen, dass Huxley dreißig Jahre nach der Veröffentlichung von Brave New World in Brave New World Revisited schrieb: „Wenn die erste Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts die Ära der technischen Ingenieur:innen war, so könnte die zweite Hälfte die Ära der sozialen Ingenieur:innen sein – und das einundzwanzigste Jahrhundert wird, so vermute ich, die Ära der Weltkontrolleur:innen, des wissenschaftlichen Kastensystems und der schönen neuen Welt sein.“ (Aldous Huxley, Brave New World Revisited, Harper & Brothers, 1958)

Huxley warnte davor, dass eine Ordnung vom Typ Brave New World die „letzte“ oder „ultimative“ Revolution sein könnte, wenn den Menschen ihre Freiheiten genommen werden, aber „sie werden ihre Knechtschaft genießen und sie daher niemals in Frage stellen, geschweige denn rebellieren.“

Wirklich?

Die Übersetzung aus dem Englichen wurde von Alina Kulik vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!