Bei der Betrachtung der gegenwärtigen Nominierung von Kandidaten für das Kanzleramt fällt eines auf: Ein Großteil der Medien hat sich mit der Friedhofsruhe der Merkel-Ära arrangiert.

Da wird zelebriert, wenn die Grünen im Hinterzimmer eine Kandidatin küren und sich echauffiert, dass CDU und CSU darüber streiten, wer es denn machen soll.

Vielleicht hilft ein kleiner Verweis auf die Vergangenheit. Denn da gab es immer heftigen Streit darüber, mit wem man ins Rennen gehen will. Das war nach Konrad Adenauer so, nach Helmut Kohl, das war in der SPD so zwischen Willy Brandt und Helmut Schmidt, Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine, von Rudolf Scharping gar nicht zu reden.

Personalisierung

Innerparteilicher Streit galt immer als notwendig, um die Chancen auf gute Wahlergebnisse auszutarieren. Dass das nun als skandalös empfunden wird, ist ein Indiz für den Niedergang von politischen Auseinandersetzungen.

Was allerdings befremden sollte, ist die exklusive Personalisierung der Diskussion, sofern sie überhaupt stattfindet. Es scheint so, als hätten mediale Formate, die nach Superstars suchen, die Sphäre der Politik für sich reklamiert. Da geht es um Körpergrößen, Geschlecht und Rhetorik, aber nicht um politische Ziele. Und dort liegt ein Problem.

Es ist müßig und führt zu gehörigem Überdruss, daran erinnern zu müssen, dass Politik auch ein Streit ist über Ziele und Wege, dass, wenn es auch nur mit einem Funken Realitätssinn zugeht, die programmatische Ausrichtung von Parteien das Maß ist, über das gestritten werden muss, wenn es um die Beurteilung von Optionen geht. Eine solche Diskussion findet in den führenden Medien nicht mehr statt. Und genau da liegt das Problem.

Identitäten und Befindlichkeiten

Die einstmals so oft zitierte Formulierung, was denn “die Menschen im Land” eigentlich bewegt, welche Fragen sie sich stellen, welche Perspektiven sie gerne hätten, für die sich Politik einsetzt, ist ersetzt worden durch Identitäten und Befindlichkeiten. Damit, und das ist die bittere Erkenntnis, lässt sich keine konstruktive Politik gestalten.

So, wie von der gegenwärtigen Kanzlerin vorexerziert, vom Parlament schmollend geduldet und von vielen Medien als gute Vorgehensweise honoriert, werden die politisch wichtigen Entscheidungen außerhalb der dafür vorgesehenen Formate getroffen und dann umgesetzt.

Und jeder, der eine größere Öffentlichkeit reklamiert, hat schnell das Signum des Staatsfeindes am Revers. Das ist ein Szenario, das George Orwell in seinem Roman 1984 bereits vor 70 Jahren dystopisch beschrieben hat. Daran ändert auch nicht das Twitter-Geschwätz aus den nicht öffentlichen Sitzungen, das profilgierige Mitläufer der demokratischen Vernichtung absondern.

Wie wäre es, wenn die Themen die “draußen im Lande“ so drücken zum Maßstab für das genommen würden, wenn es um die Wahl einer zukünftigen Regierung geht? Wie soll das Leben mit und gegebenenfalls nach Corona aussehen? Was ist zu tun, um einem Land, das industriell geprägt ist, eine wirtschaftliche Zukunft zu geben? Wie sollen die Versicherungssysteme, deren Mittel wiederholt zweckentfremdet wurden, in Zukunft finanziert werden? Wie positioniert sich das Land in einer Welt, deren alte Ordnung nicht mehr existiert? Welche politischen Veränderungen sind angezeigt, wenn die Struktur des alten Staates durch Zentralisierung und Geheimpolitik vernichtet worden ist? Und, vielleicht die Gretchenfrage, wird die Zukunft durch Leistung oder Identität bestimmt?

Die Liste essenzieller politischer Fragen ist unendlich, mal sind sie sehr praktisch, mal fundamental, der vermeintliche politische Diskurs, so wie er präsentiert wird, ist auf Nasen und Outfits reduziert. “Draußen im Lande” spricht sich immer mehr herum, dass da etwas nicht stimmen kann.

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