Mindestens 55.000 Muttersauen und Ferkel sind vor zehn Tagen in der Mastanlage in Alt Tellin in Mecklenburg-Vorpommern verbrannt. Die Tragödie war vorprogrammiert: trotz völlig unzureichendem Brandschutzkonzept, Widerstand der Anwohner und einer Klage, die bereits 2012 eingereicht wurde und seit 2017 verhandelt wird, aber immer noch nicht abgeschlossen ist, durfte die Anlage jahrelang in Betrieb bleiben. Es soll eine der größten Anlagen dieser Art in Europa sein.

Nach Angaben von Tierschützern vor Ort gab es über die Jahre hunderte von Verstößen gegen Tierschutz- und Umweltauflagen, wobei die Betreiber – deren genaue Identität unbekannt ist – die verhängten Bußgelder wohl einfach bezahlten und weitermachten wie zuvor. Offiziell wird die Anlage, die vom Agrarindustriellen Adrianus Straathof erbaut wurde, der aber verurteilt wurde und ein Berufsverbot erhielt, zur Zeit von der schweizerischen Terra Grundwerte AG betrieben.

Eine riesige toxische Rauchwolke zog in den Tagen nach dem 30. März über Mecklenburg-Vorpommern hinweg. Die wenigen Tiere, die es nach draußen schafften, erlebten für einen kurzen Moment zum ersten Mal ihrem Leben Tageslicht, frische Luft und natürlichen Boden, bevor sie abtransportiert wurden.

Wir publizieren im Folgenden die Pressemitteilung unseres Partners PROVIEH e.V. sowie darunter weiterführende Links zum Thema und zu Videos des Brandes mit Statements von Gemeindevertretern und Sprechern von Tier- und Umweltschutzorganisationen, die sich seit Jahren für die Schließung der Anlage eingesetzt hatten. Seit 2015 fanden wöchentlich Mahnwachen vor der Megastallanlage statt, der inzwischen auch zwei Biogasanlagen angeschlossen sind, um den riesigen Mengen an Gülle Herr zu werden.

Bis zum heutigen Tag sind mindestens weitere vier Klagen gegen große Mastanlagen allein in Mecklenburg-Vorpommern anhängig. Besonders pikant: Schon 2008 hatte sich Agrar- und Umweltminister Till Backhaus für mehr Schweine-Haltung im Land stark gemacht. Im sogenannten „Schweineleitfaden“ seines Ministeriums ließ er den Standort Mecklenburg-Vorpommern anpreisen: „Für Investitionswillige steht ein Netzwerk kompetenter Personen zur Verfügung“ (Quelle: NDR, siehe unten). Es stellt sich die Frage, wie es trotz Kompetenz und jahrelangem Alarmglocken-Läuten trotzdem zu dem Unglück kommen konnte.

Pressemitteilung von PROVIEH vom 31.03.2021:

Berlin, 31.03.2021: Ein Großbrand hat gestern alle 18 Ställe der Schweinezuchtanlage in Alt Tellin zerstört. Dabei wurden insgesamt fast 60.000 Schweine getötet. In der Anlage wurden knapp 10.000 Muttersauen gehalten sowie bis zu 50.000 Ferkel. Die Anlage gehörte damit zu den größten Anlagen ihrer Art in Europa. Der aktuelle Brand zeigt erneut dringenden Handlungsbedarf – beim Thema Brandschutz, aber auch ganz grundsätzlich. Solche Großanlagen müssen zukünftig vom Gesetzgeber verhindert werden. PROVIEH fordert ein Umdenken in der Politik, damit Tragödien wie diese endlich der Vergangenheit angehören.

Im Falle eines Brandes ist die Rettung aller Schweine bei Haltungsanlagen dieser Größenordnung nicht mehr möglich. Je größer die Anlage, desto schwieriger ist das Problem des Brandschutzes zu lösen. Hierzu Nicole Langebeck, PROVIEH-Fachreferentin für Schweine: „In diesem Fall war aufgrund der Fixierung der Muttersauen in Kastenständen und sogenannten “Ferkelschutzkörben” sowohl eine Rettung als auch eine Flucht der Sauen und Ferkel so gut wie unmöglich. Zudem laufen Schweine in Panik überall hin, nur nicht unbedingt gezielt ins Freie – selbst wenn Türen geöffnet werden und sie nicht fixiert wären.”

Schon 2019 war der Betrieb wegen eines technischen Defektes in den Schlagzeilen. Aufgrund einer defekten Lüftungsanlage verendeten damals mehr als 1.000 Schweine. Gestern stand nun die Anlage in Flammen und es bestätigten sich alle Befürchtungen: Ein wirksames, auf die Rettung der Tiere ausgerichtetes Brandschutzkonzept ist für Anlagen dieser Größe nicht realistisch umsetzbar. Viele tausend Tiere sind qualvoll verbrannt oder in den Rauchgasen erstickt. Und selbst für die Tiere, die es ins Freie geschafft haben, war diese Rettung bloß der Weg in die Nottötung.

Dieser Fall zeigt noch einmal die tiefgreifenden Probleme solcher Tierfabriken, bei denen Umwelt, Gesundheit und Tierwohl der Wirtschaftlichkeit zum Opfer fallen. Anlagen dieser Größenordnung dürfen nicht mehr genehmigt werden!

Hintergrund

Die Anlage wurde im Jahr 2010 von dem niederländischen Investor Adrijanus Straathof gebaut und in Betrieb genommen. Jedoch bekam Straathof 2016 ein endgültiges Tierhaltungsverbot in Deutschland auferlegt, da er in mehreren seiner Anlagen erheblich und mehrfach gegen tierschutzrechtliche Bestimmungen verstoßen hatte. Im Nachgang wurden alle Anlagen an die LFD Holding, später an die Terra Grundwerte AG verkauft, bei der unklar ist, in wessen Eigentum sich diese befindet. Auch die Anlage Alt Tellin stand vielfach in der Kritik und hat vielfältige Proteste hervorgerufen, an denen auch PROVIEH beteiligt war. Zudem ist bis heute eine Klage gegen die Betriebsgenehmigung nicht endgültig entschieden, die 2012 vom BUND und der Bürgerinitiative „Rettet das Landleben am Tollensetal“ eingereicht worden war. Die Klage richtet sich sowohl gegen die in Alt Tellin umfangreich im Einsatz befindlichen Kastenstände als auch gegen unzureichende Brandschutzkonzept. Auch wenn zumindest die Nutzung von Kastenständen in Zukunft durch die geänderten Haltungsvorgaben der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung massiv eingeschränkt wird, zeigte sich am aktuellen Fall, dass die Probleme in den Mega-Ställen noch viel größer sind und die massive Kritik mehr als berechtigt ist.

Original-Pressemitteilung

Links zu weiterführenden Artikeln und Hintergrundinformationen:

BUND fordert Aus für Schweinezucht in Alt Tellin (NDR, 07.04.0201)

Hintergrundinformationen zu Europas größer Schweinzuchtanlage in Alt Tellin (BUND Friends of the Earth Germany, PDF, Stand 2018)

Infoseite zur Massentierhaltung von Straathof / LFG-Holding / Terra Grundwerte AG

Adrianus Straathof – der Schweinebaron (Animal Rights Watch, Mai 2013)

Kommentar aus dem Newsletter AGRAR-HINWEISE von Eckehard Niemann vom 07.04.2021:

„Was für ein Skandal: Ein Konzern betreibt die größte Schweinefabrik Europas und viele weitere Mega-Schweine-Anlagen – und keiner kennt die Verantwortlichen oder fordert die Offenlegung der Eigentümer-Verhältnisse. Deshalb steht jetzt auch die Forderung an die Politik: Klärt und veröffentlicht endlich, wer hinter „Terra“ steckt! Straathof selbst? Schlachtkonzerne? Internationale Agrarindustrie-Konzerne?“  (eckehard.niemann@freenet.de)

Videos Youtube-Kanal Karsten Behr vom 30.03.2021 vor Ort in Mecklenburg-Vorpommern:

Stallbrand Alt Tellin 1 (Titelfoto)

Stallbrand Alt Tellin 2 (siehe Video unten)

Stallbrand Alt Tellin 3

Statement Kerstin Lenz, Deutscher Tierschutzbund

Statement Hannah Schlesinger, Organisatorin Mahnwache

Statement Günter Hegewald, Gemeindevertreter Alt Tellin

Statement Corinna Cwielag, BUND Mecklenburg-Vorpommern

Am 15. April findet die Demo „Nie wieder Alt Tellin“ um 8 Uhr vor dem Schweriner Landtag statt, die vom Deutschen Tierschutzbund und dem BUND Mecklenburg-Vorpommern organisiert wird.