Frauen, die selbst sexuelle Gewalt erlebt haben, wollen den Bundesrat und das Parlament davon überzeugen, dass Sex ohne Zustimmung künftig auch gesetzlich als Vergewaltigung gilt.

«Frauen, die Geschlechtsverkehr gegen ihren Willen erlebten, werden im aktuellen Gesetzesentwurf nicht ernstgenommen. Wir erwarten, dass Betroffene bei der Ausarbeitung des neuen Sexualstrafrechts von der Politik angehört werden», fordert Morena Diaz. Sie hatte eine erlebte Vergewaltigung 2020 publik gemacht und damit viele andere Frauen dazu ermutigt, ihre Geschichten ebenfalls zu erzählen und das erlebte Unrecht anzuprangern.

Realität sexueller Gewalt wird verkannt

«Oft fallen Betroffene einer Vergewaltigung während der Tat in eine Schockstarre oder in einen Lähmungszustand – folglich können sie sich gar nicht physisch wehren. Dieses sogenannte Freezing ist eine normale Reaktion auf Gewalt und wird von Fachleuten auch so anerkannt», sagt Morena Diaz: «Laut dem aktuellen Gesetzesentwurf sollen solche Fälle aber höchstens in die Kategorie eines ‘sexuellen Übergriffs’ fallen und nicht als Vergewaltigung gelten. Das ist ein Hohn für die Betroffenen. Es ignoriert ausserdem wissenschaftliche Erkenntnisse und die Realität sexueller Gewalt».

Cindy Kronenberg, ein weiteres Mitglied der Betroffenengruppe und Präsidentin des Vereins vergewaltigt.ch, sagt: «Da das geltende Gesetz Gewalt, Bedrohung oder psychischen Druck für den Tatbestand Vergewaltigung voraussetzt, wird vom Opfer implizit erwartet, dass es sich zur Wehr setzt. Viele Betroffene, die sich im Moment des Übergriffs nicht wehren konnten, fühlen sich von Polizei oder Justiz im Stich gelassen oder gar für die Tat mitverantwortlich gemacht. Jetzt wollen wir die politischen Entscheidungsträger*innen erreichen, damit endlich per Gesetz festgehalten wird: Sex ohne Zustimmung ist eine Vergewaltigung».

Sonia Grimm setzt sich in der französischen Schweiz seit einigen Jahren dafür ein, dass Betroffene aus dem Kreislauf häuslicher Gewalt ausbrechen können. Sie hält fest: «Viele Vergewaltigungen geschehen in der Ehe und werden noch viel zu oft von den Betroffenen verschwiegen. Das Gesetz muss ein Signal senden: ‘Egal wo, wie und von wem: Geschlechtsverkehr ohne Zustimmung ist immer eine Vergewaltigung und wird nicht toleriert’.»

Gesellschaftliches Umdenken

«Ich möchte endlich über ‘Consent’ reden, nicht mehr nur über die Gewalt, die ich erlebt habe», sagt Jorinde Wiese, die sich als Aktivistin in den sozialen Medien zu dem Thema positioniert und in der SRF-Dokumentation «Vergewaltigt − aber kein Opfer» porträtiert wurde. «Wir müssen ein gesellschaftliches Umdenken bewirken. Viele Menschen haben Victim Blaming und Vergewaltigungsmythen so tief verinnerlicht, dass sie immer noch die Schuld beim Opfer suchen. Dabei schämen sich die betroffenen Personen oft so sehr, dass sie jahrelang schweigen und den Fehler bei sich selbst suchen. Die Schuld und die Scham, sie gehört uns nicht. Ich will ein Ende der Gewalt.»

Durch Austausch mit Entscheidungsträger*innen und Sensibilisierungsaktionen in der Öffentlichkeit möchte die Betroffenengruppe ein Umdenken in der Politik und Gesellschaft erreichen. Sie kritisieren den aktuellen Gesetzesentwurf, weil darin nicht-einvernehmliche vaginale, anale und orale Penetrationen als «sexueller Übergriff» und nicht als «Vergewaltigung» definiert werden und bedeutend mildere Strafen vorgesehen sind.

«Sexuelle Gewalt kann mit oder ohne Nötigung stattfinden», sagt Cindy Kronenberg: «In beiden Fällen handelt es sich um eine traumatische Erfahrung mit schweren Konsequenzen für die Betroffenen. Es ist falsch zu behaupten, dass die Abwesenheit von Nötigung weniger gravierend ist.»

Um wirklich Gerechtigkeit für die Opfer sexueller Gewalt zu schaffen, fordert Amnesty International das Parlament auf, alle Formen von nicht-einvernehmlichem Geschlechtsverkehr als Vergewaltigung zu definieren. Die Straftatbestände Art. 189 (sexuelle Nötigung) und Art. 190 (Vergewaltigung) sollten entsprechend angepasst werden.

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