Zwei Wochen dauerte es, bis alle Stimmen ausgezählt waren und das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen am 7. Februar in Ecuador offiziell bekannt gegeben wurde. Der linke Andrés Arauz und der neoliberale Guillermo Lasso ziehen in die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen in Ecuador ein. Die Stichwahl ist für den 11. April angesetzt. Doch das Wahlergebnis ist nicht so eindeutig. Betrugsvorwürfe aus den Reihen des Drittplatzierten Yaku Pérez wurden laut und das politische Klima bleibt angespannt.

Wer als erster der 16 Kandidat*innen in die Stichwahl um die Präsidentschaft einziehen würde, stand schnell fest. Andrés Arauz holte 32,72 Prozent der Stimmen. Der 36-Jährige trat für die Einheit für die Hoffnung (UNES) an und hatte unter Ex-Präsident Rafael Correa (2007-2017) erste Posten in der Politik übernommen.
Um den zweiten Platz lieferten sich Yaku Pérez von der Partei Pachakutik, dem politischen Arm der indigenen Dachorganisation CONAIE und der neoliberale Guillermo Lasso von der Partei CREO bis zuletzt ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Schlussendlich kam Lasso auf 19,74 Prozent der Stimmen, Pérez erhielt 19,38 Prozent. Überraschend stark war nicht nur Pérez, sondern auch Xavier Hervas von der demokratischen Linken (ID), der circa 16 Prozent der Wähler*innenstimmen erreichte und damit den vierten Platz belegte.
Das Wahlergebnis ist eine klare Absage an die neoliberale Politik des scheidenden Präsidenten Lenín Moreno und ein Erfolg für Ecuadors Linke sowie die indigene Bewegung, die im Herbst 2019 die Proteste gegen Morenos neoliberales Reformpaket anführte. Die indigene Partei Pachakutik wird zweitstärkste Kraft im Parlament und erzielt damit das beste Ergebnis seit ihrer Gründung 1995. Die Partei Morenos hingegen, das Bündnis für das Land (AP), erhielt nur 2,7 Prozent der Stimmen und wird in der kommenden Legislaturperiode nicht mehr in der Nationalversammlung vertreten sein. Die stärkste Kraft wird das 2020 neu gegründete Bündnis UNES, mit 32,2 Prozent der Stimmen. Die ID verbessert sich von knapp 3,7 auf 11,9 Prozent und wird drittstärkste Kraft. CREO wird mit unter 9,65 Prozent der Stimmen nur fünftstärkste Kraft und ordnet sich hinter der sozial-christlichen Partei (PSC) ein.

Das Ergebnis eröffnet neue Möglichkeiten für politische Debatten

Das Ergebnis eröffnet neue Möglichkeiten für politische Debatten, jenseits der Kontroverse um die staatsinterventionistische Politik Rafael Correas auf der einen und der neoliberalen Reformpolitik auf der anderen Seite. Die Herausforderung für Andrés Arauz wird darin bestehen, diese Debatten so zu führen, dass er auch die Stimmen der Correa-Gegner*innen aus dem linken Spektrum für sich zu gewinnen vermag.
Andrés Arauz ist mit 36 Jahren der jüngste der Spitzenkandidaten. Von 2015 bis 2017 war er als Minister für Wissen und menschliches Talent Teil der Regierung Rafael Correas, der ursprünglich selbst für die Vizepräsidentschaft an Arauz’ Seite kandidieren wollte. Dies wurde ihm allerdings verwehrt, da Correa im April 2020 wegen Korruptionsvorwürfen zu acht Jahren Haft verurteilt wurde. Correa lebt seit dem Ende seiner Präsidentschaft 2017 im belgischen Exil, der Heimat seiner Frau. Trotzdem war der Ex-Präsident im Wahlkampf von Arauz omnipräsent. So zierte er riesige Wahlplakate, auf denen er zur Wahl von Arauz aufrief, um die „Zukunft wiederherzustellen“. Das Programm von Arauz knüpft daher an die soziale Reformpolitik von Correa an. So plant er einen umfassenden Ausbau des Gesundheitswesens sowie Direktzahlungen an Familien, die unter der aktuellen Wirtschaftskrise besonders leiden.

„In der zweiten Runde wird er mehr Eigenständigkeit zeigen müssen.“

Pablo Ospina Peralta, der am Institut für ecuadorianische Studien an der Universität Andina Simón Bolívar in Quito unterrichtet, erklärte gegenüber LN, dass es schwierig zu sagen sei, inwiefern sich Arauz von Correa emanzipieren könnte und seine eigene politische Agenda etablieren würde. „Die Intoleranz, die Rafael Correa in den ersten Wochen der Regierung Lenín Morenos an den Tag legte, lange bevor es zu einem programmatischen Wechsel kam, deutet darauf hin, dass es sehr schwierig ist, seine (Correas, Anm. d. Red.) Loyalitätsstandards zu erfüllen. Ein Bruch ist nicht undenkbar. Der Unterschied zum Sieg von Lenín Moreno ist, dass praktisch alle Stimmen für Arauz auf Rafael Correa zurückzuführen sind.“ Aus Sicht von Ospina muss Arauz für die Stichwahl seine Strategie ändern: „Arauz kommt ohne eigene Kraft an; ohne die geringste Autonomie. In der zweiten Runde wird er mehr Eigenständigkeit zeigen müssen, wenn er gewinnen will. Aber die interne Macht liegt ganz in den Händen des ehemaligen Präsidenten.“ Für Ospina wirft das auch Fragen auf: „Aufgrund dieser widersprüchlichen Überlegungen ist es nicht vorhersehbar, welche Richtung oder welche Unabhängigkeit eine eventuelle Regierung von Andrés Arauz haben könnte.“
Im Gegensatz zu Andrés Arauz ist Guillermo Lasso ein alter Bekannter. Lasso kandidiert bereits zum dritten Mal für das Präsidentschaftsamt und verlor zuletzt 2017 gegen Lenín Moreno, damals erhielt Lasso noch 28 Prozent der Stimmen in der ersten Runde. Der ehemalige Geschäftsführer der Bank von Guayaquil wirbt mit Steuersenkungen und günstigen Bedingungen für ausländische Investor*innen, um die Wirtschaftsleistung anzukurbeln. Gekoppelt mit den Einnahmen aus Rohstoffexporten sollen Millionen neue Jobs geschaffen werden. Es ist genau diese Art von Politik, für die auch Moreno steht und gegen die Tausende von Ecuadorianer*innen im Oktober 2019 auf die Straße gingen. Lasso mag für einen Teil der Bevölkerung eine wählbare Alternative zu der stets polarisierenden Strömung des Correismus darstellen. Die Gräben zwischen arm und reich dürfte Lassos Politik hingegen noch vertiefen.

Yaku Pérez klagt gegen das Wahlergebnis

Die Kampagne von Yaku Pérez versprach Alternativen zum extraktivistischen Wirtschaftsmodell. Er legte in der Kampagne einen Fokus auf das Konzept des plurinationalen Staates, das seit 2008 in der ecuadorianischen Verfassung festgeschrieben ist, sowie auf der Einführung einer Vermögenssteuer. Unter anderem aufgrund seiner öffentlichen Unterstützung für den Putsch gegen Evo Morales im Herbst 2019 in Bolivien, wird Pérez von manchen Beobachter*innen aus dem linken Spektrum als Wolf im Schafspelz bezeichnet. Pérez zweifelt das Ergebnis der Wahl weiter an. Am 23. Februar reichte er Klage gegen den CNE beim Wahlgerichtshof (TCE) ein. Er präsentierte dabei 16.000 Wahlprotokolle, die seine Behauptung des Betruges beweisen sollen. Jedes dieser Protokolle stehe dabei für jeweils 300 beanstandete Stimmzettel. Zuletzt wurde eine Forderung der obersten Kontrollbehörde und der Generalstaatsanwaltschaft Ecuadors nach einem computergestützten Audit der Wahldaten abgelehnt. In einem offenen Brief warnte die Gruppe der internationalen Progressiven um den US-amerikanischen Linksintellektuellen Noam Chomsky vor einem Staatsstreich gegen die Demokratie durch die Regierung Morenos, um Arauz als Präsidenten zu verhindern.
Die Anhänger*innen von Yaku Pérez gehen zwar weiter für mehr Transparenz auf die Straße, Karen Toro, die als Fotografin in Quito arbeitet, sagte jedoch gegenüber LN: „Es wurden kleinere Proteste auf nationaler Ebene einberufen, um auf friedliche Weise Transparenz im Wahlprozess zu fordern, aber persönlich denke ich, dass die indigene Bewegung sehr vorsichtig sein wird, dass die Proteste nicht so wie im Oktobers 2019 eskalieren, weil sie (die Bewegung, Anm. d. Red.) sich politisch um sich selbst kümmern muss.“
Über Pérez sagte Toro, dass er nicht der stärkste indigene Anführer sei, jedoch einer, der mehr Repräsentation aus anderen Sektoren generieren könnte, die nicht ausschließlich indigen sind, darunter soziale Bewegungen, Umweltschützer, Studenten und andere Linke, die nicht mit dem Correa-Projekt einverstanden sind.
Für Pachakutik gilt es nun, interne Differenzen zu überwinden und klare Positionen zu formulieren, um aus den Wahlen vom 7. Februar als gestärkter politischer Akteur hervorzugehen.
Ospina gibt sich in dieser Hinsicht optimistisch: „Historisch gesehen haben es CONAIE und Pachakutik immer geschafft, ihre internen Spannungen und ideologischen Differenzen zu bewältigen. Sie haben dies am erfolgreichsten an kritischen Punkten getan. Das Schwierigste war es, im politischen Tagesgeschäft schnell und passend Entscheidungen zu treffen. Auch die Kandidatur von Yaku Pérez führte zu Spannungen und Unstimmigkeiten, aber am Ende unterstützten der Großteil der Basis und der Organisationen den indigenen Kandidaten begeistert und stimmten für ihn.“
Yaku Pérez hat bisher klar gemacht, dass er weder Arauz noch Lasso in der Stichwahl unterstützen würde. Lasso kann nicht mit indigener Unterstützung rechnen. Auch Marlon Santi, der nationale Koordinator von Pachakutik, stellte im Interview mit der Zeitung El Universo klar, dass man keinen Kandidaten unterstützen werde, „der durch Betrug weitergekommen ist.“ Für Arauz erhöht das die Chancen.

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