Gemeinsam Lernen aus anhaltenden Konflikten ist eine Herausforderungen für gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an Konfliktlösung und die Verteidigung von Rechten

Die Frauen in der Region sind sich der Kontinuität und Komplexität der „politischen Konfrontationen“ voll bewusst, wie sie zuletzt wieder zwischen Armenien und Aserbaidschan und dem nicht anerkannten Gebiet Berg-Karabach ausgebrochen sind. Sie sehen zuallererst einmal das vielfache menschliche Leid der Zivilgesellschaft, der Frauen und Kinder, die Gewalt und militärischer Zerstörung ausgesetzt sind, die gezwungen sind, ihre Heimat für eine ungewisse Zukunft zu verlassen und als Vertriebene unter schwierigen humanitären Bedingungen zu überleben und die zahlreichen Verlusten an lieben Menschen, Hoffnungen und Freiheiten zu verkraften.

Frauen engagieren sich seit vielen Jahren für Frieden in der gesamten Region. Sie sind Frühwarnaktivistinnen in Aufklärungskampagnen gegen Fake News und politische Gefährder, die Hass, Misstrauen und Abgrenzung predigen und populistischen und nationalistischen Meinungen Nahrung geben. Sie organisieren bei fast unüberwindlichen logistischen und emotionalen Hemmnissen internationale und grenzüberschreitende Zusammenarbeit zur (humanitären) Hilfe gegen sich ausbreitende Armut. Sie mobilisieren auch gegen Korruption und Übergriffe autoritärer Machtpolitik. Sie eint der Wunsch nach Überwindung nationalistischer Spannungen und ethnischer Spaltung der Menschen oder zumindest zu lernen, damit zu leben und am Aufbau demokratischer Strukturen unter sinnvoller Beteiligung von Frauen und der Jugend aufzubauen.

Das lässt sich an vielen Beispielen zeigen: Es gibt zahlreiche Umweltprojekte, die nicht nur den Klimawandel ernst nehmen, sondern auch ein neues transnationales Selbstverständnis schulen. Frauen unserer Partnerorganisation „Democracy today Armenia“ blicken auf 25 Engagement für Frieden und Menschenrechte zurück. Junge Aktivist*innen und Jugendgruppen in Armenien, Berg-Karabach und der gesamten Kaukasus-Region (einschließlich Georgien, Tschetschenien, Ossetien) wurden geschult, Gräben zu überbrücken, „den/die jeweils Anderen“ kennen zu lernen, ohne oder mit weniger Angst zu leben, sich in zivile und kulturelle Aktivitäten einzubringen, vom Naturschutz bis zur Entwicklung von Friedensnarrativen.

Die armenischen Frauen trugen 2018 wesentlich zum Erfolg der Samtenen Revolution bei, die zum Ende einer autokratischen und korrupten Regierung und zu demokratischen Reformen führte. Sie sind stolz darauf, wie sich ein Konsens in der Bevölkerung entwickelt, der auch im Umgang mit der Covid-19-Pandemie Erfolge zeigte.

Seit Ausbruch des Krieges haben sich – wie immer in Kriegszeiten – die Erzählung und die gesellschaftliche Debatte verändert. Militarisierung des öffentlichen Diskurses, Ängste, alte und neue Traumata verwandelten sich in nationalistische Rhetorik, erlaubten offene Gewalt auf den Straßen und ein Teufelskreis setzte sich in Gang, dessen Dynamik kaum zu stoppen ist.

Frauen wechselten von sekundären Rollen wie Kleider sammeln und nähen, backen, Kleider verteilen, als medizinisches Personal und Helferinnen arbeiten zu der Rolle der Schützerin ihrer Familien und auch der Unabhängigkeit. Viele Frauen erklärten, dass sie mit ihren Söhnen und Ehemännern, Brüdern gingen, nicht um einem militärischen Ruf zu folgen, sondern um ihre demokratischen Errungenschaften, ihre Rechte und ihre Existenz als Nation zu schützen.

Frauen, die sich trotz des öffentlichen Drucks weiter für Frieden und Gewaltlosigkeit einsetzten, wurden teilweise als Verräterinnen betrachtet – auch das ein bekanntes Muster. Das demokratische Regime zitterte und viele internationale Partner, Staaten und multilaterale Institutionen hielten sich weitgehend aus Vermittlung im Konflikt heraus – nicht einmal gegen dokumentierten Einsatz von Söldnern und Streubomben, wurde groß Protest eingelegt: Keine explizite Vermittlung der MINSK-Gruppe oder des UN-Generalsekretärs zum Bruch des Waffenstillstands in Covid-Zeiten. Nach einigen Tagen russisch vermittelten Waffenstillstands beruhigt sich zwar die Lage langsam, aber der Zustand ist fragil. Es gibt zahlreiche Flüchtlinge, die Hilfe brauchen, dokumentierte Kriegsverbrechen und Zerstörungen von Häusern, Kulturdenkmälern und Infrastruktur. Erst langsam kommen erste Überlegen zu Folgemaßnahmen und erste Ideen für Dialoge zur langfristigen Aufarbeitung des eingefrorenen und wieder aufgetauten Konflikts in Gang. All dies macht das tägliche Leben sehr schwierig.

Friedensaktivist*innen im gesamten Kaukasus und auf allen Seiten der Konfliktlinien in der Region waren seit langem an Friedensprozessen engagiert – nicht nur an formalen. Sie wurden – wie immer zumindest in eingefrorenen Konflikten – von internationalen Akteur*innen stark vernachlässigt. Sie sind es aber, die lokale Erfahrungen mit internationalen Expert*innen für Friedensförderung und Menschenrechtsverteidigung zusammenbrachten und bringen. Sie sind es, die in die Ausbildung junger Friedensaktivist*innen investieren. Meine persönlichen Erfahrungen der letzten 3 Jahre mit den jährlichen Frauenfriedenskonferenzen in Verbindung mit einer Auszeichnung für junge Frauen, die von Democracy Today Armenia organisiert werden, sind ein wunderbares Beispiel für die Inspiration, wie aus der Verknüpfung lokaler und globaler Expertise, aus dem Austausch von Wissen Emotionen und Sensibilität entstehen. Der Austausch gibt Kraft und Stimme, um neue Perspektiven in internationale und multilaterale Institutionen wie OSZE, ODIHR, einzubringen und mit dem Europarat, der EU und den Vereinten Nationen in Verbindung zu treten. Durch die jeweils beteiligten Netzwerke (wie CSP[1], WILPF[2] u.a.) ist eine direkte Einflussnahme auf nationale Agenden der Friedenskonsolidierung gegeben.

Es ist eigentlich ein Allgemeinplatz, dass Friedensprozesse die Stimmen derjenigen einbeziehen müssen, deren tägliches Leben von Konflikten und Kriegsverbrechen betroffen ist, um die wirklichen Bedürfnisse sichtbar zu machen und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Zivilgesellschaft und z.B. die Arbeitsgruppe der CSP[3] wird hier aktiv, denn es geht um einen multi-dimensionalen Ansatz, um die Umsetzung der UNSCR1325 und nachhaltige Entwicklung wie sie in den 2030 Zielen festgelegt sind.

Es ist nun eine große Herausforderung in Solidarität mit den Frauen aus der gesamten Region und über Konfliktregionen Kontaktnetzte aufrecht zu erhalten und wieder aufzubauen, damit Voraussetzungen langfristig geschaffen werden, eine Rückkehr zu eingefrorenen Konflikten mit dem ständigen Risiko eines erneuten Ausbruchs zu vermeiden. Ein erster Schritt ist mit Frauen im Krieg zu diskutieren, tiefer über ihre Motive, Erfahrungen und Gefühle zu sprechen, um ein kriegszerrüttetes Dilemma zu verstehen, zu bewerten und aus ihm herauszuhelfen. Respekt gegenüber verschiedenen Narrativen ist dazu eine Grundvoraussetzung. Und dazu braucht es internationale Unterstützung.

Gruppen der engagierten Zivilgesellschaft dürfen nicht zulassen, dass sie sich durch nationale Interessen und/oder internationale Interessen spalten lassen – insbesondere nicht unter militärischem Druck. In den Nachbarländern, in Georgien, in Aserbaidschan, in der Türkei, in Russland, aber auch in der EU unterstützen Frauen einen intersektionalen Dialog und vertrauensbildende Maßnahmen in Verbindung mit Abrüstung und Entmilitarisierung.

Frauen sind eine ernstzunehmende Ressource für Friedensbildung und menschenrechtlich orientierte Sorgearbeit und ihr Beitrag darf nicht weiter übersehen werden.


[1] www.civicsolidarity.org
[2] www.wilpf.org
[3] https://www.civicsolidarity.org/member/1451/working-group-women-and-gender-realities-osce-region