Heuer jährt sich zum 20. Mal das Erscheinen von „Gamma 4“, dem letzten von Ronnie Montrose produzierten Album, dessen Release er miterleben durfte. Nicht nur deshalb lohnt eine Rückschau auf das vielschichtige Œuvre dieser so widersprüchlichen Persönlichkeit. Ronald Douglas Montrose wurde 1947 geboren und begann seine musikalische Karriere Ende der 1960er Jahre in der San Francisco Bay area als Session-Musiker und mit seiner Band Sawbuck. Einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wird Ronnie Montrose durch die Mitwirkung an den beiden Van-Morrison-Alben „Tupelo Honey“ und „Saint Dominic’s Preview“. Die beiden Musiker mag eine gewisse Aversion gegen das Music-Business verbunden haben. Songs wie „Wild Night“ oder „Listen to the Lion“, beide im Sommer 1971 entstanden, lassen aber in jedem Fall das einzigartige Feeling erkennen, das Ronnie Montrose aus den sechs Gitarrensaiten zu zaubern vermochte. Er positionierte sich damit im Grenzbereich aus Folk, Blues und Rock – und er wird die folgenden vier Jahrzehnte ständig zwischen diesen Genres pendeln. Ronnie Montrose wird dafür von vielen verehrt und geliebt werden doch letztlich unter anderem auch daran scheitern, sich nie ausschließlich in eine Schublade pressen zu lassen.

1972 wird Ronnie Montrose für kurze Zeit Mitglied der Band von Edgar Winter. Das Album „They Only Come out at Night“ mit den Trademark-Songs „Frankenstein“, „Free Ride“ und dem Geheimtipp „Autumn“ ist das Ergebnis. Patti Smith schreibt darüber 1973 in einer Album-Rezension im Magazin „Creem“: „Ronnie Montrose is the true demon…“ und weiter „He’ll play forever. The kid is no da vinci. he’s no jack of all trades. he’s complete GUITAR“.

1973 erscheint dann das Debut-Album der Band „Montrose“ mit den Hits „Rock the Nation“ und „Bad Motor Scooter“ – von der Musikpresse als „Amerikas Antwort auf Led Zeppelin gefeiert! Die Formation mit Ronnie Montrose, Sänger Sammy Hagar, Bassist Bill Church („the electric Church!“) und Drummer Denny Carmassi zählt ebenso wie die Band Grand Funk Railroad zu den Wegbereitern des Heavy Metal in den USA. Der Montrose-Sound ist geprägt von brachialen Gitarrenriffs und Ronnies unglaublichem Ton mit einem bis dato nicht gehörten Sustain. Eine tighte Rhythm-Section und ein Sänger mit energiegeladener Bühnenshow tragen das ihre zum Kult-Status von Montrose bei. Doch in jedem Genie schlummern Dämonen. Ronnies Attitude als Bandleader, der niemand neben sich duldet, wird zuallererst Sammy Hagar zum Verhängnis, der nach dem zweiten Album „Paper Money“ und einer erfolgreichen Welt-Tournee 1974 (als support für The Who) gefeuert wird. Sein Nachfolger Bob James vermag die Lücke wohl zu füllen, und die Musik changiert nun mehr zwischen Hard-Rock und Balladen mit häufigem Einsatz akustischer Gitarren. Als Beispiele seien hier die so gegensätzlichen Titel „Black Train“ und „Music Man“ genannt. 1976 aber ist nach dem Album „Jump on it“ Schluss mit der Band Montrose, während Ex-Sideman Sammy Hagar zum Weltstar aufsteigt…

Mit dem Solo-Album „Open Fire“ beschreitet Ronnie Montrose 1978 neue Wege, erkundet Jazz-Rock und Fusion-Gefilde und gründet schließlich die Formation Gamma, die Anfang der 1980er Jahre Amerikas Antwort auf die New Wave of British Heavy Metal (NWOBHM) darstellt, wenn auch in sehr spezieller Weise: die Musik von Gamma zeichnet sich durch teilweise sehr dominante Keyboards und Tempowechsel aus. Die Alben „Gamma 2“ und „3“ und Songtitel wie „Meanstreak“ und „Mobile Devotion“ seien hier als Meilensteine genannt.

Ronnie Montrose wird 1987 die Band Montrose für kurze Zeit wiederbeleben: das neue Line-up umfasst nun neben ex-Gamma-Bassist Glenn Letsch den Sänger Johnny Edwards (später Foreigner) und Drummer James Kottak (später Kingdom Come, Guns and Roses, Scorpions). Einmal mehr ist Ronnie Montrose also als Talenteschmied tätig…

Ronnie Montrose veröffentlicht in der zweiten Hälfte der 80er Jahre sowie in den 90er Jahren vorwiegend instrumentale Solo-Alben, die allerdings nur von seiner Fan-Gemeinde wahrgenommen werden. Das letzte Solo-Werk „Bearings“ aus dem Jahr 1999 kehrt mit Stücken wie „Three Wishes“ und „Soul Repair“ noch einmal eindrucksvoll zur schlichten Schönheit der frühen Arbeiten mit Van Morrison zurück, das gesamte Album ist getragen von akustischen Instrumenten denen viel Raum gegeben wird.

Das im Jahr 2000 veröffentlichte Album „Gamma 4“ schließlich kann als Zusammenfassung des Lebenswerks von Ronnie Montrose gesehen werden. Es finden sich darauf straighte Rocker („Bad Reputation“) ebenso wie Songs, die für US-Radiostationen kompatibel sind („Love Will Find You“). Mein Favorit ist „Prayers“, ein akustischer Song mit sozialkritischem Text, der mit einfachen Worten die Lebensrealität im Schatten des Neoliberalismus an der Jahrtausendwende skizziert – Übelmeinende mögen hier von „naiver Kunst“ sprechen, doch nie waren Ronnie Montrose und Sänger Davey Pattison authentischer als hier.

Ein neues Projekt, das Album „10×10“ – zehn Songs mit zehn verschiedenen Sängern – wird 2003 gestartet aber erst posthum 2017 fertiggestellt und veröffentlicht. Die Nullerjahre sind für Ronnie Montrose geprägt von einer kurzlebigen Live-Reunion der Original-Montrose-Band (2005) und einer Krebserkrankung, die Ronnie Montrose zwar überwunden glaubt, aber 2012 neuerlich diagnostiziert wird.

Diese niederschmetternde Nachricht und die lebenslange Bürde, zu glauben, nie gut genug zu sein, veranlassen ihn schlussendlich zum Weg in den Freitod.

Am 03. März 2012 verliert die Welt einen der einflussreichsten Gitarristen, der in einem Atemzug mit Jeff Beck oder Eddie Van Halen genannt wird. Die Musiker von Van Halen sind nur ein Beispiel für die zahllosen namhaften Bands, die Montrose als großen Einfluss nennen oder Stücke von ihm covern.

Mit Ronnie Montrose verliert Amerika auch eines seiner Aushängeschilder – denn was die Musik von Ronnie Montrose auszeichnet, ist neben des innewohnenden „Heavy“-Elements immer auch ab und an eine gewisse Leichtigkeit, die so typisch für die oft zitierte Freiheit im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ steht. Wenn es sie denn je wirklich gab, dann wohl nur wegen der Musikerinnen und Musiker die daran glaubten.

Leo K.

 

P.S.: Ronnie Montrose plante kurz vor seinem Tod noch eine Konzert-Tournee. Ich schrieb ihm damals eine e-mail, ob denn wohl auch ein Termin in Europa oder gar Österreich möglich wäre. Seine Antwort aus dem Jahr 2011 werde ich immer in Ehren halten: „Leo, thank you for your nice note! I’m going to be trying hard with my agent to get over to Europe, stay in touch on my website! Peace, Ronnie“