Umweltpolitiker üben scharfe Kritik am klimapolitischen Programm der deutschen EU-Ratspräsidentschaft.

Umweltpolitiker üben scharfe Kritik an den klimapolitischen Zielsetzungen der bevorstehenden deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Hatte Berlin ursprünglich in Aussicht gestellt, sich während seines am 1. Juli beginnenden EU-Vorsitzes nicht zuletzt dem Kampf gegen den Klimawandel zu widmen, so enthält ein aktueller Programmentwurf, der an die Medien lanciert wurde, vor allem Worthülsen. Von Bedeutung sind lediglich Vorhaben zum Aufbau einer EU-Wasserstoffwirtschaft; Berlin setzt bei der Dekarbonisierung der deutschen Schwerindustrie in hohem Maße auf Wasserstoff, obwohl dessen Produktion in hohem Maß umweltschädlich ist. Dabei nutzt die Bundesregierung ihre EU-Ratspräsidentschaft zum wiederholten Mal, um ihre nationale Agenda auf EU-Ebene zu realisieren. Ansonsten wird Berlin, wie aus der internen Korrespondenz des deutschen EU-Botschafters hervorgeht, vor allem den kurzfristigen Kampf gegen die Coronakrise ins Zentrum des deutschen Ratsvorsitzes stellen. Dabei geht es auch um die Abwehr der Forderung nach der Einführung von „Coronabonds“.

Hochtrabende Rhetorik, wenig Gehalt

Die Bundesregierung hatte unter dem Druck der breiten Klimaproteste im vergangenen Jahr immer wieder öffentlich erklärt, den Klimaschutz zu einer politischen Priorität machen zu wollen. Vor dem Hintergrund der im Juli 2020 turnusgemäß beginnenden deutschen Ratspräsidentschaft kündigte sie an, auch auf EU-Ebene den ökologischen Umbau voranzutreiben. Dies sollte durch einen Green New Deal, ein breites Förder- und Investitionsprogramm zum raschen Aufbau regenerativer Energieerzeugung, geleistet werden. Ein erster Programmentwurf, der Medien zugespielt wurde, lässt nun freilich Zweifel an der Ernsthaftigkeit der klimapolitischen Deklarationen Berlins aufkommen: Rund zehn Wochen vor dem Beginn der deutschen EU-Ratspräsidentschaft habe die Bundesregierung in dem Papier hauptsächlich vage klimapolitische „Worthülsen“ platziert, die jegliche konkreten zeitlichen oder inhaltlichen Verpflichtungen vermieden, heißt es.[1] Berlin bekundet in dem Dokument, es wolle den von der EU-Kommission forcierten Green New Deal „umfassend begleiten“ und etliche diesbezügliche Initiativen dem Europäischen Rat „vorlegen“. Oppositionspolitiker aus den Reihen von Bündnis 90/Die Grünen hingegen kritisierten die Pläne umgehend als mangelhaft: Die Bundesregierung warte mit einer „hochtrabenden Rhetorik“ auf, die überdies nur mit wenigen, „vollkommen unzulänglichen Zielen“ unterlegt sei.

Klimaschädliche Klimapolitik

Die einzigen klimapolitischen Ziele, die sich in dem Entwurf der Bundesregierung für die deutsche Ratspräsidentschaft finden, ohne bereits im Arbeitsprogramm der EU-Kommission enthalten zu sein, sehen den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft vor. Der langjährige Klimaaktivist und ehemalige Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen Hans-Josef Fell stuft dies als ein „Puschen der Energiewirtschaft“ ein; dabei seien die Berliner Wasserstoffpläne „mindestens so klimawirksam wie Kohle oder Erdöl“.[2] Der Hintergrund: Berlin strebt es an, die deutsche Schwerindustrie durch den Einsatz von Wasserstoff zu dekarbonisieren, und will während seiner Ratspräsidentschaft die „nötigen Märkte und Infrastrukturen“ für eine Wasserstoffwirtschaft in der EU aufbauen; Bundeswirtschaftsminister Peter Altmeier erklärte im Februar, Deutschland solle zur „Nummer Eins in der Welt“ bei Wasserstofftechnologien aufsteigen. Einen Großteil der künftigen Nachfrage nach Wasserstoff will Berlin dabei durch Importe aus dem Süden decken.[3] Dazu sollen Energiepartnerschaften mit Ländern wie Marokko geschlossen werden, wo die energieintensive Produktion von Wasserstoff unter Zuhilfenahme von Sonnenenergie realisiert werden soll. Schon jetzt ist allerdings klar, dass diese von der Industrie favorisierte Lösung damit kalkuliert, bei der Gewinnung von Wasserstoff zusätzlich fossile Energieträger unter massiven Energieverlusten zu verfeuern. Man müsse „realistisch sein“, erklärte etwa EU-Kommissionsvizepräsident Franz Timmermans im vergangenen November: CO2-freier Wasserstoff sei keine Allzwecklösung.

Der Bremsklotz der EU

Berlin weist die Kritik an seinen dürftigen umweltpolitischen Planungen kühl zurück. Seitens des Umweltbundesministeriums hieß es lapidar, man wolle die diesbezüglichen Fortschritte der aktuellen kroatischen EU-Ratspräsidentschaft abwarten, um dann realistische Ziele formulieren zu können. Die Bundesregierung hält damit faktisch an ihrer Rolle als klimapolitischer Bremsklotz der EU [4] fest – und nutzt ihre Ratspräsidentschaft vor allem dazu, ihre nationale Agenda auch auf dem Feld der Energiepolitik zu realisieren. Dabei hat sich die EU-Kommission noch Anfang April für „grüne“ Investitionen als einen gangbaren Weg aus dem gegenwärtigen Krisenschub ausgesprochen.[5] Die Union kämpfe gegenwärtig zwar hart gegen das Covid-19-Virus; doch dürften dabei nicht die „langfristigen Nachhaltigkeitsziele, einschließlich der Klimaneutralität Europas bis 2050“, aus den Augen verloren werden, erklärte der Vizepräsident der EU-Kommission, Valdis Dombrovskis, am 8. April anlässlich der Debatte über eine EU-Strategie für ein „nachhaltiges Finanzwesen“. Dabei will Brüssel Mittel für den ökologischen Umbau der Wirtschaft mobilisieren und „Klima- und Umweltrisiken vollständig in das Finanzsystem integrieren“. Die Schaffung einer „nachhaltigen und widerstandsfähigeren Wirtschaft“ müsse im Fokus der ökonomischen „Erholungsphase“ nach der Bewältigung der Pandemie stehen, äußerte Dombrovskis. Die EU müsse auf „eine grüne Konjunkturbelebung hinzuarbeiten“, hatte Timmermans schon im März erklärt.

Deutsche „Kommunikationsprobleme“

Mitte April forderten nun auch etliche EU-Umweltminister und das EU-Parlament, der Green New Deal müsse von „zentraler Bedeutung“ bei der ökonomischen Erholung nach der Pandemie sein.[6] Er biete einen Fahrplan für eine „Reaktion auf diese Wirtschaftskrise“, der zugleich beitragen könne, „Europa in eine nachhaltige und klimaneutrale Wirtschaft“ umzuwandeln. Die EU solle „Versuchungen kurzfristiger Lösungen als Antwort auf die gegenwärtige Krise widerstehen“, hieß es in einer Erklärung der Umweltminister; andernfalls bleibe „die EU für Jahrzehnte in einer Wirtschaft auf Basis fossiler Brennstoffe“ gefangen. Die EU müsse ihre Investitionstätigkeit in den Bereichen „nachhaltige Mobilität, erneuerbare Energien, Gebäuderenovierung, Forschung und Innovation, Wiederherstellung der Artenvielfalt und Kreislaufwirtschaft“ erhöhen. Der Aufruf wurde von Ministern aus Dänemark, Finnland, Italien, Lettland, Luxemburg, den Niederlanden, Österreich, Portugal, Schweden und Spanien unterzeichnet. Frankeich folgte zwei Tage später. Bundesumweltministerin Svenja Schulze erklärte erst auf Nachfrage, wieso ihre Unterschrift fehle, es habe ein „Kommunikationsproblem“ gegeben; sie sicherte zu, Berlin werde die Unterzeichnung nachholen. Kurz darauf rief das EU-Parlament die „Green Recovery Alliance“ ins Leben, bei der EU-Abgeordnete, Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften, Think Tanks und Nichtregierungsorganisationen sich zur Förderung nachhaltiger „Transformationspläne“ verpflichten, um so den Kampf gegen den Klimawandel und den Verlust der Biodiversität zu einem zentralen Thema der EU-Wirtschaftspolitik zu machen.

Berlins „Corona-Präsidentschaft“

Der Fokus der deutschen Ratspräsidentschaft liegt hingegen auf der kurzfristigen Kriseneindämmung. Vertrauliche Korrespondenz des deutschen EU-Botschafters, die deutschen Medien zugespielt wurde, spricht von „massiven Auswirkungen“ der Pandemie auf die deutsche Ratspräsidentschaft, die „nicht mehr in der geplanten Art und Weise“ stattfinden könne.[7] Die Themen, die den deutschen Ratsvorsitz prägten, müssten sich gegenüber den ursprünglichen Planungen erheblich ändern. Es gehe nun vornehmlich darum, die „Handlungsfähigkeit der europäischen Institutionen“ aufrechtzuerhalten und sich im direkten „Krisenmanagement“ zu üben. Der Exit aus der Pandemiebekämpfung und die Frage des „Wiederaufbaus“ rückten ins Zentrum der Politik; letztlich stehe die „Aufrechterhaltung der EU-Integration an sich“ in Frage, heißt es angesichts der rasch eskalierenden Auseinandersetzungen um die EU-Krisenpolitik in dem Brandbrief aus Brüssel. Themen, die bislang im Mittelpunkt standen – etwa der Kampf gegen den Klimawandel -, werden hingegen nach Ansicht des deutschen EU-Diplomaten „zwangsläufig überlagert und in den Hintergrund treten“. Außenmister Heiko Maas kündigte bereits an, den deutschen Ratsvorsitz zu einer „Corona-Präsidentschaft“ zu machen.[8] Dabei scheint Berlin entschlossen, seine Ratspräsidentschaft auch als zusätzlichen Hebel in den Auseinandersetzungen mit der südlichen Peripherie der Eurozone zu nutzen, die weiterhin auf der Einführung gemeinsamer europäischer Anleihen, sogenannter Eurobonds oder „Coronabonds“, beharrt [9]: Es geht darum, die ökonomisch wie machtpolitisch höchst einträgliche europäische Integration [10] möglichst preisgünstig aufrechtzuerhalten – solange sie nicht, bedingt etwa durch die Umweltpolitik oder die Covid-19-Pandemie, unliebsame Kosten verursacht.

 

[1], [2] Florence Schulz: Deutsche Ratspräsidentschaft: Leere Formulierungen zum Green Deal. euractiv.de 15.04.2020.

[3] Florence Schulz: Deutschlands erste Wasserstoffstrategie steht. euractiv.de 01.02.2020.

[4] Tomasz Konicz: Klimapolitischer Schwindel für Fortgeschrittene. heise.de/tp 04.11.2018.

[5] Frédéric Simon: Kommission: Grüne Investitionen als Weg aus der Coronavirus-Krise. euractiv.de 09.04.2020.

[6] Frédéric Simon: Umweltministerien und EU-Parlamentsinitiative fordern grünen Wiederaufbau. euractiv.de 14.04.2020.

[7] Peter Müller: Deutscher EU-Botschafter schreibt Brandbrief ans Kanzleramt. spiegel.de 07.04.2020.

[8] Maas kündigt für EU deutsche „Corona-Präsidentschaft“ an. faz.net 12.04.2020.

[9] S. dazu Wer die Regeln setzt und Germany First.

[10] S. dazu Germany First (III).

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