Ein wunderschöner sonniger Sonntag in den Zeiten von Corona. Trotz Ausgangsbeschränkungen lockt das Frühlingswetter. Warum in der Bude hocken? Es gibt nichts Gesünderes als draußen zu sein, an der frischen Luft, das tut den Lungen und der Seele gut, und beides gilt es zu pflegen, jetzt erst recht.

Bewegungs- und Versammlungsfreiheit sind Grundrechte, die allerdings vorübergehend aufgrund einer infektionsrechtlichen Verordnung eingeschränkt sind. Auch vorher galten diese Grundrechte nicht für alle, sondern vollumfänglich nur für diejenigen mit deutschem Pass oder mit sicherem Aufenthaltsstatus. Im Verhältnis zur Unsicherheit von Menschen, die in Flüchtlingsunterkünften von Abschiebung bedroht sind oder illegalisiert leben müssen, lassen die derzeitigen Beschränkungen für manch andere noch einen relativ komfortablen Alltag zu. Stärker betroffen sind diejenigen, die in beengten Verhältnissen leben, ohne Balkon oder Sonne, und diejenigen, die von sozialen, finanziellen oder psychischen Einschränkungen betroffen sind.

In der Corona-Krise zeigen sich menschenrechtliche Ungleichgewichte in besonderem Maße. Demokratische Rechte werden eingeschränkt, Schutzmaßnahmen erschweren Alltag und politische Betätigungen, während Beschäftigte im Gesundheitswesen und in anderen plötzlich als systemrelevant geltenden Arbeitsbereichen oft nicht ausreichend oder überhaupt nicht geschützt werden. Besonders hart trifft es Obdachlose und Geflüchtete, die in Sammelunterkünften eng zusammen wohnen müssen. Die Menschen in den überfüllten Flüchtlingslagern an den euopäischen Außengrenzen sind vollkommen ungeschützt. Aufgrund von Enge und fehlendem Wasser ist es unmöglich, auch nur einen Bruchteil der Schutzmaßnahmen einzuhalten, die hier empfohlen werden. Die europäische und die bundesdeutsche Politik scheint diesen Menschen kein Lebensrecht zuzugestehen. Wenn nicht schnell etwas geschieht, dann droht ein massenhaftes Sterben vor aller Augen.

Massenhaft gestorben wird schon seit den frühen 90er Jahren im Mittelmeer, noch unsichtbarer in der Sahara. Unter dem Titel „Todesursache: Flucht“ veröffentlichte der Berliner Hirnkost-Verlag 2018 eine „unvollständige Liste“ von 35.500 Toten, die innerhalb von 25 Jahren auf der Flucht nach Europa im Mittelmeer ertrunken, in der Sahara verdurstet, in Lagern verhungert und in Lastwagen erstickt sind, die auf der Flucht erschossen oder bei der Abschiebung getötet wurden, oder die sich selbst das Leben nahmen. Wenn Corona im Lager Moria auf Lesbos, oder in den anderen Lagern auf griechischen Inseln ausbricht, wo mehr als 42.000 Menschen untergebracht sind, dann wird Europas Schande deutlicher als je zuvor sichtbar werden.

Am Sonntag vor einer Woche veranstaltete die Initiative Seebrücke eine mehr als zweistündige Online-Demonstration, an der sich viele Solidaritätsgruppen beteiligten. Zum Schluss wurde Beethovens „Ode an die Freude“, die Europahymne, in Moll gesungen, im Gedenken an die Menschenrechtsverletzungen an den europäischen Aussengrenzen. Für den 5. April gab es bundesweite Aufrufe, im Rahmen des derzeit Möglichen gegen diese unmenschlichen Lager und für die Aufnahme der geflüchteten Menschen in anderen europäischen Ländern auf die Straße zu gehen.

So machten sich an vielen Stellen im Berliner Stadtgebiet Aktivist*innen auf, verbanden die zulässige Bewegung an der frischen Luft damit, sichtbare Zeichen des Protestes und der Solidarität zu hinterlassen. Viele haben demonstrativ Schuhe hingestellt oder Fussabdrücke hinterlassen, beispielsweise im Tiergarten, vor dem Reichstagsgebäude und vor dem Bundeskanzleramt. Slogans wurden mit Kreide auf die Straße geschrieben und Schilder an Bäume gehängt mit der Anklage „Grenzen töten“ und den Aufforderungen: „Stop killing refugees!“, „Griechische Geflüchteten-Lager sofort evakuieren“ und „Berlin hat Platz“. Am Brandenburger Tor berichteten Aktivist*innen von Platzverweisen. Dort wurden die Symbole der Solidarität sogleich von Sicherheitskräften abgeräumt. An anderen Orten blieben sie etwas länger sichtbar. Es war ein kreativer Protest von Einzelnen und Zweiergruppen, die sich sahen und erkannten: Ja, auch ihr seid unterwegs mit dem Anliegen, das alle eint: „Solidarität kennt keine Grenzen“ und „Leave No One Behind“.

Trotz aller Skepsis gegenüber Online-Petitionen und change.org: Bitte unterschreibt diese hier: #LeaveNoOneBehind: Jetzt die Corona-Katastrophe verhindern – auch an den Außengrenzen!

Dieser Beitrag von Elisabeth Voss erschien auf ihrem Blog und in der Freitag Community 

Fotos von © Elisabeth Voss