Kolumbien, im äußersten Nordwesten des südamerikanischen Kontinents gelegen, hat in diesen Tagen, wie so oft in seiner Geschichte, eine harte Prüfung zu bestehen. Wie die meisten Länder auf unserem Planeten hat das Coronavirus das Land erreicht. Aber die wirkliche Bedrohung macht sich an einer ganz anderen Stelle bemerkbar.

Der informelle Sektor

Im Verhältnis zur Einwohnerzahl (47 Millionen) gibt es noch wenige Infektionsfälle (3792) in Kolumbien [1]. Die Krise, die dem Land allerdings bevorsteht, ist in erster Linie sozialer Natur. Sie könnte durch die Auswirkungen der Maßnahmen, die zur Eindämmung der Pandemie getroffen wurden, um ein Vielfaches verstärkt werden.

Kolumbien 2020: Arbeiten im informellen Sektor. 004 (Foto: Jairo Gomez)

Straßenverkauf in Kolumbien vor der Ausgangssperre. (Foto: Jairo Gomez)

Laut der New York Times leben 47 Prozent der kolumbianischen Bevölkerung von der Schattenwirtschaft (Straßenverkauf, Schwarzarbeit, Nachbarschaftshilfe usw.). Das bedeutet, dass die im informellen Bereich tätigen Menschen von dem Leben, was sie am Tag einnehmen. Diese Quelle ist versiegt, denn auch die Regierung von Präsident Iván Duque hat wegen der Pandemie eine Ausgangssperre verhängt.

Das mag gesundheitspolitisch nachvollziehbar sein, sozialpolitisch ist es eine Katastrophe. Staatliche Hilfe gibt es nicht. All jene, die im informellen Sektor ihr Dasein fristen und von denen die meisten noch nicht einmal ein Girokonto haben, sind jetzt auf die Solidarität anderer angewiesen. Bleibt diese aus, wird es eng für die nun einkommenslosen Schichten.

Das soziale Pulverfass

Besonders betroffen sind diejenigen, die in Großstädten wie Bogotá, Medellín, Cali oder Cartagena leben. Anders als die Landbevölkerung, die Grundnahrungsmittel wie Kartoffeln oder Mais und Gemüse für den Eigenbedarf anbauen, können sie sich nicht mit dem Nötigsten selbst versorgen. Sie leben in Slums am Rand der Städte und sind jetzt in ihren zumeisten kleinen Wohnungen eingepfercht.

Kolumbien 2020: Arbeiten im informellen Sektor. 003 (Foto: Jairo Gomez)

Arbeiten im informellen Sektor. (Foto: Jairo Gomez)

Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis dieses soziale Pulverfass explodiert. Vor allem, wenn man den aktuellsten Erlass von Präsident Duque berücksichtigt: Die Ausgangssperre wurde bis zum 11. Mai verlängert. Wer soll das ohne Einkommen durchhalten? Revolten, die durch Hunger ausgelöst werden, sind in Kolumbien keine Utopie.

Das soziale Ungleichgewicht innerhalb der kolumbianischen Gesellschaft war schon vor der Pandemie extrem ausgeprägt. Im Fahrwasser der Pandemiebekämpfung werden jetzt die scharfen Konturen des neoliberalen Systems deutlich. Die Ausgangssperre zerstört die ohnehin dünne ökonomische Basis der verarmten Massen.

Der Griff in die Rentenkasse

Man kann sich des Eindrucks kaum erwehren, dass insbesondere in Ländern des globalen Südens die Pandemie lediglich als Mittel zum Zweck dient. Wie schon erwähnt, gab es in Kolumbien schon lange vor dem Auftauchen des Virus eklatante soziale Missstände und eine krasse Spaltung zwischen Arm und Reich. Nun kommt die Pandemie und deren Kosten werden nach unten abgewälzt.

Kolumbien 2020: Arbeiten im informellen Sektor. 002 (Foto: Jairo Gomez)

Irgendwie durchkommen als Perspektive. (Foto: Jairo Gomez)

Diesmal sind es die Rentenfonds, in die gegriffen wird, um Banken und Konzerne zu stützen. Die Werkzeuge liefert nicht das Virus, sondern das System: es sind vor allem Willkür, Inkompetenz und Korruption. Die Ärmsten der Armen überlässt man einfach ihrem Schicksal.

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Quellen und Anmerkungen

[1] World Health Organization (WHO): Coronavirus disease (COVID-2019) situation reports (21. April 2020). Auf https://www.who.int/docs/default-source/coronaviruse/situation-reports/20200421-sitrep-92-covid-19.pdf?sfvrsn=38e6b06d_6

Der Originalartikel kann hier besucht werden