Vor dem Hintergrund der Bauernproteste hat Angela Merkel heute VertreterInnen der Ernährungsindustrie und des Lebensmittelhandels zu einem Treffen eingeladen. Wir publizieren dazu einen Beitrag von Eckehard Niemann.

 

Gedanken vor dem heutigen Handelskonzerne-Besuch bei der Kanzlerin

Wir hören inflationär viele Politiker-Worte à la „Die Preise für Lebensmittel sind zu niedrig.“ Aber kaum solche Worte: „Die Erzeugerpreise der Bauern sind zu niedrig.“

Aber: Selbst wenn Preise für Lebensmittel in den Supermärkten und Discounter höher werden würden, so würde das keineswegs automatisch zu besseren Erzeugerpreisen führen. Denn kaum ein Bauer verkauft seine Produkte an Aldi, Lidl, Edeka oder Rewe. Sondern an Molkerei-, Schlacht- oder Raiffeisen-Landhandelskonzerne.

Und wenn die Handelsketten denen mehr Geld zahlen würde, würden die diesen Mehrerlös mitnichten automatisch an die Bauern weitergeben. Im Gegenteil, dann hätten die Molkerei- oder Schlachthof-Manager noch mehr Spielraum, ihre Weltmarkt-Ideologien auszutoben und Milchpulver oder Fleisch auf den Weltmarkt unter Gestehungskosten zu verramschen.

Wenn also jetzt Politiker aller Parteien von höheren Preisen für Lebensmittel reden, dann zeigt das nur: Entweder sie haben keine Ahnung von obigen Strukturen – oder die Bauern sind ihnen ziemlich egal. Oder beides.

Ganz abgesehen davon, dass die meisten der genannten Mehrpreise oder Preiszuschlags-Beträge (selbst wenn sie bei den Bauern landen würden) die Mehrkosten für eine wirklich artgerechtere Tierhaltung oder umweltverträgliche Erzeugung auch nicht ansatzweise decken könnten. Also auch hier: Viel politische Selbstdarstellung und wenig ernsthafte Strategien.

Dabei gibt es durchaus solche ernsthaften Strategien, z.B. beim Wissenschaftlichen Beirat des Agrarministeriums (Gutachten Nutztierhaltung) oder bei der EU (Schweinehaltungs-Richtlinie) oder in anderen EU-Ländern:

Mit einer Festlegung, wie die Pflanzenerzeugung und Tierhaltung im Jahr 2030 aussehen soll – mit klar definierten Zwischenschritten und zusätzlichen Geldern für diesen Agrarwende-Umbau. Und das natürlich EU-weit und unter Beibehaltung des EU-Außenschutzes gegenüber dem Dumping-Weltmarkt – damit ausländische Billig-Angebote die deutschen Preise nicht unterbieten können. Und natürlich flächendeckend-ordnungsrechtlich bzw. durch Vorgaben der EU-Zahlungen abgesichert, in allen EU-Ländern bzw. zunächst zumindest in den Hauptproduktionsländern (DK, NL, D). Dann gibt es keine Billigware mehr, weil sie eben nicht mehr erzeugt werden darf und kann.

Und das ist ja auch der wichtigste Unterschied zu (freiwilligen oder verpflichtenden) Labeln, die ja nur einen kleinen Teil des Angebots ausmachen würden und stets unter dem Preisdruck konkurrierender Billig-„Normalproduktion“ stehen würden. Und die – wegen ihres geringen Marktanteils – keinen wirklichen Effekt auf den Abbau der ruinösen Überproduktion haben würden.

Ganz anders bei ordnungsrechtlichen Vorgaben für die gesamte Erzeugung. Da würden (deutlich) mehr Umweltschutz (vielfältigere Fruchtfolgen) und mehr Tierwohl (Flächenbindung, mehr Platz und Auslauf) automatisch dazu führen, dass die Überproduktionsmengen zurückgehen. Und weniger Angebot führt auf dem Markt automatisch zu höheren Preisen (Erzeuger-Preisen und in der Folge auch Lebensmittel-Preisen). Bei Agrarprodukten wegen der geringen Elastizität der Nachfrage sogar zu deutlich überproportional höheren Preisen (also höher als der Kostenanstieg). Und wenn es keine Überschüsse mehr gibt, dann können die Handelsketten die Anbieter auch nicht mehr gegeneinander ausspielen wie bisher bei der Preisdrückerei.

„Klasse statt Masse“ eben. Für den EU-Binnenmarkt und nicht für den ruinösen Weltmarkt.

Also, liebe PolitikerInnen: Schluss mit unverbindlichem Geschwafel von „höheren Preisen für Lebensmittel“ – wirkliche Zukunftsstrategien und konsequente Schritte sind angesagt!.

Ach so: Damit sich alle diese besseren und teureren Lebensmittel leisten können, muss natürlich der Warenkorb zur Bemessung von Hartz IV und von Mindestlöhnen angepasst werden. Wie gesetzlich vorgegeben.

 

Der Artikel erschien erstmals heute im Newsletter „AGRAR-HINWEISE“ (Kontakt: eckehard.niemann@freenet.de). Wir bedanken uns für die freundliche Genehmigung zur Publikation.