Die US-Regierung schikaniert und bedroht Menschen, die sich an der Grenze zwischen den USA und Mexiko für Migranten und Asylsuchende einsetzen. Mit der Androhung strafrechtlicher Verfolgung werden Menschenrechtsverteidiger systematisch und rechtswidrig eingeschüchtert. Dies geht aus einem heute veröffentlichten Bericht von Amnesty International hervor.

«Seit 2018 missbrauchen die Behörden das nationale Strafrecht und ihre Befugnisse, um gegen jene vorzugehen, die die massiven Menschenrechtsverletzungen an der Grenze dokumentieren und kritisieren. Im Visier sind etwa Anwälte, die Rechtsberatung für Asylsuchende anbieten, Journalistinnen und Journalisten, die über die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen an der Grenze berichten, und Aktivistinnen, die sich vor Ort für eine angemessene humanitäre Unterstützung einsetzen», sagt Lisa Salza, Länderverantwortliche für Amerika bei Amnesty Schweiz.

Menschenrechtsverteidigerinnen und -Verteidiger berichteten Amnesty, dass die Behörden unter anderem die Grenzkontrollen missbrauchen, um Menschen ohne richterlichen Beschluss zu durchsuchen. Die Betroffenen müssen sich Leibesvisitationen unterziehen, werden zu ihren finanziellen und beruflichen Kontakten verhört und müssen ihre elektronischen Geräte abgeben, damit diese durchsucht werden können. Ziel der Massnahmen ist es offensichtlich, unter dem Vorwand mutmasslicher Straftaten wie Menschenschmuggel eine Anklage gegen sie zu konstruieren. Verantwortlich sind vor allem das US-amerikanische Heimatschutz- und das Justizministerium.

Ein Grossteil der Ermittlungen richtete sich gegen Menschenrechtsverteidiger, die im November 2018 die sogenannte «Karawane» von MigrantInnen und Asylsuchenden unterstützt hatten. Die Behörden haben aber auch andere Aktivistinnen und Aktivisten im Visier, die lediglich Asylsuchende über ihre Rechte aufklären oder ihnen helfen, an einer offiziellen Einreisestelle («Port of Entry») Schutz zu beantragen.

«Die Trump-Regierung muss den politisch motivierten Missbrauch des Strafrechtssystems und den Machtmissbrauch bei der Suche, Inhaftierung und Befragung von Menschenrechtsverteidigern an der Grenze unverzüglich einstellen», fordert Lisa Salza.

Kriminalisierung von Helfern auch in Europa

Auch in Europa stehen Personen, die Menschen auf der Flucht Hilfe leisten, zunehmend im Visier der Behörden. In Frankreich, insbesondere in der Region Calais, berichten Helfer von verbaler und körperlicher Gewalt durch die Polizei. In Italien werden Gerichtsverfahren gegen SeenotretterInnen geführt und NGOs als Schlepper verunglimpft und kriminalisiert. Carola Rackete, die Kapitänin des Rettungsschiffs Sea Watch, das rund 40 Schiffbrüchige rettete, droht bis zu zehn Jahre Gefängnis. Ihr Delikt: die Blockade der italienischen Hoheitsgewässer in Lampedusa gebrochen zu haben.

Auch in der Schweiz werden Menschen für ihre Solidarität strafrechtlich verfolgt. Artikel 116 des Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG) erlaubt den Schweizer Behörden, Personen zu bestrafen, welche die rechtswidrige Ein- oder Ausreise oder den rechtswidrigen Aufenthalt von Migranten, Migrantinnen oder Flüchtlingen erleichtert haben.

Das Bundesamt für Statistik hat jüngst die neuesten Zahlen zu dieser «Straftat» veröffentlicht. Im Jahr 2018 wurden 885 Verurteilungen ausgesprochen, was einer Steigerung von 10 Prozent gegenüber 2017 entspricht. Gleichzeitig ist die Zahl der schwerwiegenden Fälle (wenn der Täter oder die Täterin mit Bereicherungsabsichten handelt oder gemeinsam mit einer organisierten Bande) von 42 auf 32 gesunken. Das ist ein Rückgang um 25 Prozent.

Diese Zahlen erklären nicht die Gründe für das Handeln der Verurteilten. Nach heutigem Stand ist es unmöglich festzustellen, wie viele Verurteilungen Schmuggler betreffen und wie viele Fälle «Solidaritätsdelikte» sind. Trotz einer im Dezember 2018 von CVP-Ständerätin Anne Seydoux-Christe eingereichten Anfrage hielt der Bundesrat eine Klärung dieser Statistiken nicht für notwendig.

Der Originalartikel kann hier besucht werden