Auf meiner diesjährigen Reise durch die europäischen Staaten im Rahmen meiner EU-Autorinnenchallenge bin ich in der Slowakei mit Zdenka Becker tatsächlich unerwartet auf Gold gestoßen. Dieser Roman, der sich mit Rassismus, Ausgrenzung und Demütigung von Roma – oder Personen, die für Sinti bzw. Roma gehalten werden – auseinandersetzt und sehr heftig die Folgen eines solchen Lebens am Rande der Gesellschaft thematisiert, war für mich ein richtig funkelndes Juwel in dieser Landschaft der unzähligen guten Neuerscheinungen, mit denen ich Woche für Woche erfreut werde.

Als unehelicher Sohn eines indisch-österreichischen Arztes hat es Samy in der kommunistischen Slowakei besonders schwer, weil er für einen Zigeuner gehalten wird. Was für eine furchtbare Biografie hat der Protagonist: ein Leben vom Kindergarten an voll von permanenten Demütigungen und rassistischen Übergriffen, die sehr detailliert geschildert werden. Besonders übel spielt Samy der Sohn von Mutters ehemals bester Freundin mit. Harry beginnt seine Mobber-Karriere im Kindergarten mit ersten Übungen am Paradeopfer Samy und endet in der heutigen Zeit als politischer Mastermind der rechtsextremen slowakischen Szene.

Die ach so intellektuelle Mutter, Karriere-Kommunistin, die als Sozialarbeiterin eigentlich schon ob ihres Jobs bezüglich Rassismus, Mobbing und Problemen von Jugendlichen sensibilisiert sein sollte, versteht es nicht, beziehungsweise will die Probleme ihres Sohnes nicht verstehen. Auch sie ist rassistisch gegen Zigeuner eingestellt, aber ihren Sohn sollte das ohnehin nicht betreffen, denn er ist ja kein solcher Abschaum, sondern ein guter, geborener Slowake und ein halber Österreicher mit Migrationshintergrund. Dass er wie ein Roma aussieht und keiner dieser Rassisten differenziert, ignoriert sie geflissentlich.

Was so ein Leben der permanenten Herabwürdigung von Kindheit an mit einem Menschen anrichtet, wird auch schnell klar. Samy leidet seit jungen Jahren an starken Depressionen. Als er von seiner Freundin Julia durch ihren Vater mit einer Intrige quasi chirurgisch getrennt wird, da er als Farbiger nicht standesgemäß ist, bricht die Verzweiflung wieder voll aus.

Das gruseligste an der Geschichte ist der Umstand, dass alle handelnden Personen, die etwas unternehmen könnten, zusehen, wie der junge Mann unverschuldet in Zeitlupe gegen die Wand fährt. Und es wäre genug Zeit, etwas für Samy zu tun, bevor er zu Grunde geht. Einzig der Vater aus Wien, der als Unbeteiligter von der Existenz seines Sohnes erst erfährt, als dieser 8 Jahre alt ist und Samy so gut wie nie gesehen hat, erkennt das Problem in seiner Funktion als Psychiater, spezialisiert auf Migranten, sofort. Er bietet seine Hilfe an, aber er hat eben im Leben seines Sohnes nichts zu melden. Als Samy auf der Suche nach seiner Identität und nach seinem Vater in Wien auf der Mariahilferstraße seinen adoptierten Cousin Ondraj trifft, der genetisch ein Roma ist, sein Leben in der Slowakei nicht mehr ausgehalten hat und nach Wien abgehauen ist, entspinnt sich folgender, sehr spannender Dialog:

„Jetzt aber wirklich. Warum bist Du damals weggegangen?“ Ondraj verdrehte die Augen, dann sah er Samy an.
„Warum? Warum? Als ob Du es selbst nicht wüsstet. Ganz einfach, ich wollte kein Zigeuner mehr sein.“
„Und hier bist Du kein Zigeuner?“
„Nein hier bin ich ein Ausländer, und das ist mir tausendmal lieber. Aber dort…“ Er deutete unbestimmt in die Ferne
„Zu Hause … dort haben mich die Nachbarn seit meiner Geburt als eine minderwertige Ratte angesehen, die ihren Eltern und der ganzen Umgebung nur Troubles bereiten wird. „

Der Roman startet in der heutigen Zeit im Krankenhaus. Der erwachsene Samy wird schwer verletzt eingeliefert, in Rückblenden werden sein Leben und seine Leidensgeschichte als verachteter Zigeunerjunge zuerst im Kommunismus und dann nach der Wende aufgerollt. Irgendwann wird nach und nach indirekt klar, dass Samy wahrscheinlich nicht nur Opfer einer Gewalttat geworden ist, sondern dass auch er irgendetwas angestellt haben könnte. Der Showdown, der zu dieser lebensgefährlichen Verletzung geführt hat, ist dann übrigens grandios konzipiert und zeigt, was permanentes Mobbing und rassistische Übergriffe bei den Betroffenen anrichten können, wenn sie keine Hilfe bekommen. Am Ende hätte ich zwar gerne noch ein kleines bisschen mehr über Samys Motive aus Innensicht gelesen – es ging mir im Finale ein bisschen zu schnell – aber das ist nicht mal mehr Jammern auf hohem Niveau, sondern fast nicht der Rede wert.

Fazit: Absolute Leseempfehlung! Ein spannender Roman, der enorm wütend und gleichzeitig auch sehr nachdenklich macht. Die Autorin nimmt kein Blatt vor den Mund und legt ziemlich brutal den Finger in die Wunden unserer Gesellschaft, die mittlerweile sehr am aufkeimenden Nationalismus und erneut an rassistischen Wahnvorstellungen krankt. In dieser Geschichte jedoch hat dieser Wahnsinn mit den Zigeunern seit der Nazizeit gar nicht aufgehört und sowohl den Kommunismus als auch die Wende konstant überdauert.

Rassismus ist scheiße!!!!!

Diese Aussage ist zwar klar wie Kloßbrühe, aber selten wird sie uns so plastisch vor Augen geführt wie in dieser Story. Denn der Rassismus existiert hier in seiner Reinkultur, nicht gepaart mit Xenophobie, Fremdenfeindlichkeit und Ausländerhass (die Ausreden von „besorgten Bürgern“), denn Sinti und Roma sind seit Jahrhunderten bestens integrierter Bestandteil und Minderheit der Bevölkerung vieler europäischer Staaten, wie Österreich, Ungarn, Slowakei, Rumänien … Diese Minderheit wird nicht wegen mangelnder Integration, Spracherwerb, Staatsbürgerschaft oder sonstiger Komponenten ausgegrenzt, sondern einzig und allein wegen der Farbe ihrer Haut.

Samy von Zdenka Becker ist 2018 im Gmeiner Verlag in Hardcover-Ausgabe erschienen.

Rezension von Awogfli

Der Originalartikel kann hier besucht werden