Als 1990 Sabine Kunz, die junge Künstlerin aus Halle, die gerade vor ihrer Diplomarbeit stand, die Möglichkeit erhielt die Berliner Mauer zu bemalen, konnte Sie es kaum fassen. 20 Jahre später wurde die unter Denkmalschutz stehende East-Side Gallery restauriert und sie reproduzierte ihr Werk „Die Tanzenden“ an gleicher Stelle.

Die weltweit größte Open-Air Gallery und Touristenmagnet Nummer eins in Berlin, die East Side Gallery, wird erneut von Spekulations-Interessen bedroht (siehe Online-Petition). Im Interview erzählt uns Sabine Kunz, warum es sich lohnt für die Erhaltung des längsten Mauerstückes zu kämpfen.

Wie bist du dazu gekommen ein Originalstück der Mauer zwischen der Oberbaumbrücke und dem Ostbahnhof zu bemalen?

Meine Professorin an Kunsthochschule Halle hat uns um Entwürfe gebeten. Nach zwei Wochen kam meine Professorin auf mich zu und erklärte mir, dass ich fahren dürfe. Ich stand zu dem Zeitpunkt im Diplomjahr und wusste gar nicht wovon sie sprach.

Doch sie sagte: „Sie dürfen fahren nach Berlin, um das Bild in groß zu malen“. Ich nahm also meinen Entwurf und schaute mir diese Situation vor Ort an. Es war fast niemand an der Galerie. Irgendwann tauchte jemand auf, der mir erklärte, dass in der Öffnung ein Bauwagen stünde, in dem eine Menge Farben wären, aber ich solle vorher erstmal einen ordentlichen Grund für mein Bild herstellen. Die Fläche bekam ich zugeteilt. Nach einigen Tagen lernte ich meine Nachbarin kennen, die auch malte.

Ich wurde dann schon von einer merkwürdigen Herausforderung ergriffen, die diese kahle Straße, diese imaginäre Öffnung ausstrahlte, ohne dass ich etwas vom Westen gesehen hatte, außer die Pakete der Tante aus Hattingen/Ruhr – mit denen ich aufgewachsen war.

Ich glaube ich arbeitete Tag und Nacht durch, ohne Pause… endlich frei meine malerische Kraft unter Beweis stellen zu können. Ich arbeitete auch in dem Bewusstsein hier etwas Außergewöhnliches zu schaffen, das eng mit meiner eigenen Geschichte in Verbindung stand. Schaue ich zurück können diese Figuren eine Art Lebensentwurf darstellen.

Was drückt dein Bild aus?

Ich arbeite künstlerisch, um die sichtbare Welt zu transformieren, um Entscheidungen zu verdichten und um den Betrachter mit Phänomenen, Farbigkeit, Klarheit und Prägnanz zu konfrontieren. Meine Kunst entsteht aus der Anschauung. Grundlage sind meine figürlichen Skizzen. Das Motiv ist nicht Vorsatz, eher ist es so, dass sich in meinen Skizzenbüchern Motive häufen: Große Mütter mit kleinen Kindern, Frauen, die sich unterhalten – jede ihr Kleinkind fest im Arm – ins Wasser gehend und zurückkommend, Vater und Sohn, Gruppen, Erzählende, Sitzende, Schreitende, Badende in ursprünglichen kraftvollen Bewegungen. Wenn Menschen zueinander kommen entstehen Konflikte, Trennungen und Nähe. Den Prozess zwischen Harmonie und Disharmonie suche ich in diesen Beziehungsgruppen.

Thematisch spielt in meiner Kunst das Verhältnis von Mythos und Gegenwart eine große Rolle. Rückgriffe auf Mythen, Kulte, Bewusstsein und Bewegungen geschehen in der konkreten künstlerischen Arbeit oft eher unbewusst. Doch sie sind angeregt von der vorausgehenden Beschäftigung mit kulturgeschichtlichen Phänomenen. So ist mein heutiger künstlerischer Ansatz.

Mein Bild „Die Tanzenden“, 3,85 x 8,95 m, 1990/2010 an einem Originalstück der Mauer als Denkmal für die Teilung Deutschlands sehe ich mit dem freiheitlichen-humanistischen Gedanken verbunden. Damals war mein Entwurf von der Freude über die Öffnung der Mauer geprägt und er zeigt mehrere Figuren, die durch die Mauer hindurchgehen. Die Mauer ist friedlich aufgelöst von den „Tanzenden“.

Auf dem Bild ist die Mauer nicht da. Stattdessen gibt es sehr viel Sonnenlicht – verkörpert durch das Gelb im Bild. Die rechte dominante Frauen-Figur stellte für mich damals die Bedrohung dar. Eine Bedrohung, die eine Richtung vorgibt. Deshalb hat sie ein Winkefähnchen. Diese Figur steht auch für Menschen, die sich manipulieren lassen und die ihre Positionen nach dem Winde ausrichten, sowie sie andere Menschen in den Hintergrund drängen. Sie marschiert ein. Sie geht auf die anderen Figuren im Bild zu. Für mich war es damals wichtig zu zeigen, dass es die Bedrohung gibt und dass sie auch in den Momenten der Freude, in den Sternstunden der Menschen, stets vorhanden ist. Mir war es bewusst, dass es Wachheit erfordert um mit der Bedrohung umzugehen.

Die schlanke gelbe männliche Figur ist mit der Frauenfigur in Verbindung. Diese Frauenfigur stellt aus heutiger Sicht, meine inzwischen erwachsene Tochter dar.

Die zentrale Figur mit der Kugel, dem Tamburin, der Rassel oder dem Geldbeutel, bin ich in Begegnung mit der Tochter. Ansätze von dem Demeter-und-Kore-Konflikt spielen hier eine Rolle.

Diese zentrale Figur ist die Stärkste und Mächtigste.

Die zwei linken Figuren übernehmen den Ausdruck für den Tanz oder für die natürliche, ungezwungene, jugendliche, unbekümmerte, spielerische Bewegung, die nur in einem friedlichen Land entwickelt werden kann. Im Originalentwurf fehlen diese zwei Figuren. Mein mir zugeteiltes Stück Berliner Mauer war grösser bemessen als die Angaben, die damals grob gemacht wurden. So hatte ich selbst damals beim Malprozess noch künstlerischen Spielraum und fügte sie der Gesamtkonzeption hinzu.

Was bedeutet für dich Kunst? Was ist der Beitrag, den du mit deiner Kunst geben möchtest?

Kunst ist für mich die Sprache des Unterbewussten, der Intuition und sie fängst dort an, wo Worte aufhören. Deshalb male ich.

Kunst aufzunehmen erfordert andererseits auch eine hohe Intuition, Kreativität und einen Bildungsstand. Es soll Freude machen sich mit der Kunst einzulassen.

Mein Beitrag mit meinen Bildern ist die Darstellung der Dynamik, der Lebensfreude und die Rückführung auf ein einfaches Leben in Beziehung und Einheit mit der Natur.

Wie wirkt es sich deines Erachtens auf die East Side Gallery aus, wenn der Hotelneubau nicht zu verhindern ist und der Wohnturm stehen bleibt?

Vielleicht war es ja eine schöne Illusion, dass hinter der Mauer die Freiheit ist. Diese Freiheit – eben der Kommerz, rückt nun dicht an die Mauer heran. Berlin hat jahrelang davon profitiert.

Ich habe mehrere Collagen und Anmutungen gefertigt, die jetzt auf dem Bezirksamt Friedrichshain Kreuzberg liegen. In diesen Collagen/Fotos habe ich ein grobes Gesamtkonzept für das Gebiet hinter der Mauer und auch hinter meinem Mauerbild eingereicht. Das Konzept bildet eine inhaltliche Einheit mit der Geschichte der Berliner Mauer und es respektiert die Arbeit und das Urheberrecht der Künstler an der Berliner Mauer.

Es zeigt auch, wie wichtig Luft holen ist und wie bedeutend es ist, einen Platz für die Bevölkerung und die weiteren Generationen zu schaffen, der im Kontext mit dieser Galerie steht.

Sabine Kunz, Christine Maclean und Thomas Rojahn (v.l.n.r) vor dem Hearing über die Zukunft der East Side Gallery (Bild von Reto Thumiger)

Wie empfindest du es als Künstlerin hier in Deutschland künstlerisch zu arbeiten?

Ich habe nie woanders gelebt, so fehlen mir die Vergleiche. Allerdings scheinen die Probleme nahezu überall die gleichen zu sein, dass nur die wenigsten Künstlerinnen und Künstler, etwa 5%, alleine von ihrer Kunstausübung leben können. Schon die Material- und Atelierkosten bestreiten zu können, ist nicht selbstverständlich.

Für mich war es mit meinen drei Kindern, darunter Zwillinge oft sehr kompliziert.

Gesundheitliche Probleme, familiäre Dauerbelastungen und Schicksalsschläge forderten mein Einfallsreichtum, um die künstlerische Arbeit und die familiäre Lage zu verbinden. Entsprechende Einnahmen, um eine so große Familie angemessen zu ernähren waren mir unmöglich.

Wieso sind die Kultur und die Kunst sehr wichtig für diese Gesellschaft?

Die Menschen passen sich immer mehr dem Computer mit den entsprechenden Abhängigkeiten an. Die Folgen für uns und die folgenden Generationen müssen dann die Ärzte versuchen auszubügeln. Indem wir kreative Intuition und hohe Meisterschaft für die bildenden Künste fördern, schaffen wir mit Kunst und Kultur ein Gegengewicht.

Problemfelder sind akzeptable Ausstellungsvergütungen, Ausstellungshonorare ohne die Künstler zu reglementieren und zu instrumentalisieren.

Den Künstlern wird heute eingeredet, sie müssten sich besser vermarkten. Dabei ist es ein strukturelles gesellschaftliches Problem.

Wie geht die Gesellschaft mit dem kreativen Potential der professionellen Künstler um?

Das Problem zeigt sich am jahrelangen Tauziehen um Ausstellungshonorare. Das öffentliche Interesse konzentriert sich mehr auf Ausstellungen als auf privaten Ankauf und gesellschaftliche Aufträge als Rettungsanker sind zu rar.

Allgemein wird erwartet, dass die Künstler schon froh sind, wenn sie ausstellen können. Teilweise müssen die Kunstschaffenden dafür sogar noch zahlen. Ansätze sind zum Beispiel Projekte. Diese sind jedoch auch sporadisch mit bürokratischen und Kräfte verschleißenden Hürden verbunden. In diesem zähen Überlebenskampf haben die Künstler keine Lobby.

Vielen Dank für das interessante Gespräch!

Mehr zum künstlerischen Wirken von Sabine Kunz:
www.kunz-art.de
www.east-side-gallery.kunz-art.de
sabinekunz.blogspot.com
sabinekunzmalerei.blogspot.com