Sie spielt an gegen Stereotypisierungen, aber auch gegen Missstände innerhalb der eigenen Gemeinschaft – die feministische Theatergruppe Giuvlipen aus Bukarest, in der sich Roma-Frauen, Romnija genannt, 2014 zusammengeschlossen haben. Die Initiatorinnen haben sich zum Ziel gesetzt, Theater mit und für Romnija zu machen, um sie als Frauen zu stärken. Denn Romnija sind nicht nur Sexismus, sondern auch Rassismus ausgesetzt.

Salome Kokoladze: Warum habt ihr gerade die Kunstform des Theaters gewählt, um für feministische Ziele zu kämpfen?

Giuvlipen: Einige von uns haben bereits in Menschenrechtsgruppen mitgewirkt, die sich für die Rechte von Romnija einsetzen. Und wir alle haben dazu noch Erfahrungen am Theater gesammelt. Wir haben Schauspiel studiert und arbeiten als Schauspielerinnen. Giuvlipen hat sich auch zum Ziel gesetzt, die Erfahrungen unserer früheren Projekte zusammenzubringen. Wir haben zum Beispiel „Del Duma – Tell them about me“ und Razzing übernommen. Del Duma entstand 2013 als eine Ein-Frauen-Performance, die sich mit der frühen Verheiratung von vier sehr unterschiedlichen Romnija beschäftigt. In Razzing wird die Zwangsräumung einer Gemeinschaft im Rahova/Uranus-Quartier in Bukarest thematisiert, bei dem die betroffenen Frauen selbst mitwirkten. Diese beiden Aufführungen hatten eine große Wirkung auf das Publikum und wir haben uns seitdem immer mehr mit den Problemen von Romnija in unseren Projekten auseinandergesetzt. Es hat auch unsere Idee bestätigt, eine Romnija-Theatergruppe mit Roma-Schauspielerinnen ins Leben zu rufen. Wir haben unsere Schauspielerei und unseren Aktivismus niemals getrennt, sie sind gemeinsam gewachsen.

Wir denken auch, dass es an der Zeit ist, dass Roma-Kunst im öffentlichen Raum sichtbar wird. Das Theater ist unsere Hauptwaffe, um für Feminismus und gegen Rassismus zu kämpfen. Uns ist es wichtig, wahrgenommen zu werden, vor allem weil wir die einzige Roma-Theatergruppe in Rumänien sind. Auch wenn staatliche Institutionen Theatergruppen von Minderheiten wie Ungarn, Juden oder Deutschen unterstützen, sind sie noch nie darauf gekommen, dass auch Roma ein Bedürfnis nach einem Theater haben könnten – obwohl sie zahlenmäßig eine der größten Minderheiten Rumäniens sind. Der rumänische Staat hat Giuvlipen bisher noch nicht finanziell unterstützt.

Welche Bedeutung hat die Erzählkunst für eure Theatergruppe? Kann es eine Veränderung herbeiführen, wenn ihr eure Geschichten einem unterschiedlichen Publikum, Roma und Nicht-Roma, erzählt?

Ja, wir denken, dass wir neben der pädagogischen Dimension des Erzählens mit unseren Körpern und Stimmen unseren Platz in der Gesellschaft zurückfordern müssen. Roma-Kunst wurde immer marginalisiert, weil auch die Roma als Gruppe ausgegrenzt werden. Wir, die Romnija-Schauspielerinnen von Giuvlipen, sind daran interessiert, eine Antwort auf diese Ausgrenzung zu geben, indem wir unsere Erfahrungen mittels Theater erzählen. Wir sprechen uns auch gegen patriarchale Strukturen, nicht nur bei Roma, aus, die uns nicht erlauben, eine eigene Stimme zu haben. Auch wenn unsere Botschaft die gleiche ist, wenn wir vor Roma und Nicht-Roma spielen, sind die Reaktionen doch verschieden. Einerseits erzeugen wir Nachdenklichkeit und eine eigene Wahrnehmung der bestehenden Situationen in Roma-Gemeinschaften. Andererseits sind vor allem Nicht-Roma neugierig auf uns Romnija. Sie wollen mehr über uns und unsere bisher ungehörten Geschichten wissen. Die Reaktionen unseres Publikums haben uns gezeigt, wie unsichtbar Romnija in der Gesellschaft wirklich sind, und dass unsere bloße Existenz ein Novum für unsere Zuschauer war. Das hat uns ziemlich überrascht.

Gleichzeitig nutzen wir nicht nur die Form der Erzählkunst. Wir wollen, dass unsere Aufführungen über den Rahmen, der durch unseren Aktivismus entstanden ist, hinausgehen. Wir suchen nach neuen Formen, uns auszudrücken. Wir wollen eine neue Art von weiblicher Roma-Kunst erschaffen. Wir wollen neue Grenzen ausloten, mehr experimentelle und zeitgenössische Ausdrucksformen nutzen. Dabei geht es immer um uns Romnija und darum, unsere Erfahrungen dem Publikum zu vermitteln.

Welche Rolle spielen die Literatur der Roma sowie traditionelle Erzählungen in euren Aufführungen?

Es gibt kaum Roma-Literatur und wenn, dann ist sie nur schwer zu bekommen. Einige der traditionellen Erzählungen spiegeln wiederum unsere politischen Ansichten nicht wider. Wir arbeiten zwar mit diesen Geschichten, aber wir bearbeiten sie. Wir sind in einem ständigen Dialog mit der Kultur der Roma, doch meistens sind wir dazu gezwungen, neue Geschichten zu erzählen, die wir auf die Bühne bringen. Sara Kali**, die Heilige der Roma, hat uns inspiriert: Wir haben mit traditionellen Gebeten und Gedichten, die ihr gewidmet sind, experimentiert. Wir wollten zu Sara Kali über Romnija sprechen, die aufgrund von Sexismus und individuellen sowie systematischen Rassismus doppelter Diskriminierung ausgesetzt sind. Aber wir wollten auch über Romnija sprechen, die unter den patriarchalen Strukturen in ihrer Gemeinschaft zu leiden haben – vor allem dann, wenn Mädchen früh verheiratet werden oder keinen Zugang zu Bildung haben. (…)

Jahrhundertelang haben Romnija die Heilige Sara Kali, die von keiner Kirche anerkannt wird, verehrt und sie um Stärke und Barmherzigkeit gebeten. Wir fühlten die Notwendigkeit, uns selbst Schutz, aber auch unserem Roma-Publikum eine Art geistige Sicherheit und Segen anzubieten, da es ja täglich Rassismus, Diskriminierung, Sexismus, Homophobie sowie Hass ausgesetzt ist oder als Sündenbock herhalten muss.

Eines eurer Stücke, „La Harneala“ (Razzing), thematisiert die Zwangsvertreibung von Roma. Das ist ja noch immer ein großes Problem. Welche Rolle kann dabei Feminismus spielen, gegen diese ungerechte staatliche Vorgehensweise vorzugehen?

Als wir als Schauspielerinnen und Aktivistinnen angefangen haben, uns an dem Kampf der vertriebenen Roma zu beteiligen, haben wir festgestellt, dass die Frauen am stärksten betroffen sind in diesem Prozess der Vertreibung. Sie betreuen die Kinder und machen die Hausarbeit, selbst unter erschwerten Bedingungen. Frauen waren zudem die aktivsten Mitglieder ihrer Gemeinschaften. Sie haben Proteste organisiert, ihre Leute mobilisiert und dafür gesorgt, dass ihre Situation verstärkt wahrgenommen wird. Einige der vertriebenen Frauen aus dem Rahova/Uranus-Quartier in Bukarest und Frauen, denen die Vertreibung noch bevorstand, kamen auf uns zu. Sie hatten die Idee, mit uns zusammen ein Theaterstück über ihre Erfahrungen zu inszenieren. Sie wussten, dass Kunst genutzt werden kann, um Repressionen aufzudecken und über sie zu diskutieren. Sie wollten auf humorvolle Weise ihren Kampf gegen Immobilienhaie und staatliche Institutionen erklären sowie neue Verbündete für ihre Sache gewinnen. Dadurch war die Solidarität und Zusammenarbeit mit diesen Frauen für sich allein schon ein feministisches Ziel. Wir alle denken, dass die feministische Bewegung viel von den Romnija lernen kann, die am Rand der Gesellschaft unter sehr heiklen Bedingungen leben. Und wir glauben auch, dass Feministen diesen Frauen noch viel aktiver zur Seite stehen müssen.

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Die Ein-Frauen-Performance „Del Duma“ beschäftigt sich mit der frühen Verheiratung von Romnija. (Foto: Giuvlipen via Instagram)

Was können Feministen lernen, wenn sie Romnija zuhören, die ebenfalls Feministinnen sind? Und was bedeutet für euch Feminismus?

Unser Feminismus wird durch unseren ständigen Kampf gegen Rassismus verdoppelt. Feminismus und Antirassismus sind nicht zwei verschiedene Anstrengungen, sondern ein und dasselbe Problem. Wir fühlen und erleben Sexismus und Rassismus in einer ganz bestimmten Art und Weise, die nicht verstanden werden kann, wenn man nicht selbst eine Frau einer ethnischen Gruppe ist, die diskriminiert wird. Deshalb glauben wir, dass „Roma-Feminismus“ als ein eigenständiger Begriff verwendet und eben nicht als eine Version von verschiedenen Frauenbewegungen oder Roma-Aktivismus angesehen werden sollte. (…) Wenn du mit dem Begriff „Feminismus“ „weißen Feminismus“ meinst, dann denken wir, dass Feministen Wege finden müssen, ihre Privilegien zu nutzen, um unsere Verbündeten zu sein. Sie sollen Solidarität zeigen und uns den Raum geben, sodass wir über unsere Themen sprechen können. Sie können lernen, nicht verallgemeinernde Standpunkte zu vertreten, die uns ausschließen. Feministinnen sind unsere Schwestern, aber wir sind beunruhigt, wenn sie bei aggressiven Anfeindungen gegen Romnija, Lesben und Trans-Frauen schweigen (…) oder uns unterstellen, dass wir nur das Opfer spielen würden. Doch leider sind viele Romnija in der Gesellschaft, in der wir leben, (…) Opfer von Patriarchat, einer Klassengesellschaft und von Rassismus – ob wir das nun wahrhaben wollen oder nicht.

Wie schafft ihr einerseits den Spagat, patriarchale Strukturen in eurer Gemeinschaft aufzubrechen, ohne jedoch das Vorurteil weiter aufrechtzuhalten, dass Roma-Gemeinschaften grundsätzlich homophob und patriarchal sind?

Homophobie und Patriarchat sind nicht nur Probleme der Roma-Gemeinschaft, sie sind Probleme unserer ganzen Gesellschaft. Wenn wir zum Beispiel hören, dass die Gewalt, die Roma-Männer an ihren Frauen und Töchtern verüben, ein „kulturelles Problem der Roma“ sei, weil wir „ungebildet“ und „wild“ seien oder „weil etwas in eurem Blut euch aggressiv macht“, dann versuchen wir zu erklären, wie falsch diese rassistischen Ansichten sind. Geschlechtsspezifische Gewalt kommt ja auch in der gebildeten, weißen Mittelklasse und in Nicht-Roma-Familien vor. Homophobie ist auch kein typisches Problem der Roma. Wir können ihr hässliches Gesicht in allen sozialen Schichten sehen. Verschiedene aktuelle Studien und Umfragen zeigen leider einen besorgniserregenden Rückschritt und einen Anstieg von Homophobie, vor allem unter Jugendlichen in Rumänien.

Auch wenn wir bei unseren Auftritten die Kultur der Roma inszenieren, lehnen wir das Konzept des Kulturalismus ab. Wir glauben nicht, dass unsere Handlungen und Gedanken vorbestimmt sind, nur weil wir einer bestimmten Kultur angehören. (…) Historisch gesehen haben sich Roma-Gemeinschaften vor allem isoliert, um sich vor rassistischen Anfeindungen durch Nicht-Roma zu schützen. Diese Tendenz wird weiter zunehmen, je mehr sie von der Gesellschaft ausgegrenzt werden. Doch wenn die Mehrheit sich öffnet und uns ehrlich willkommen heißt, dann nehmen wir das Angebot an.

* Aus dem Englischen von Michaela Böttcher und Sandy Naake

** Sara Kali, auch Schwarze Sara genannt, ist eine Schutzpatronin der Roma. Ob sie wirklich gelebt hat, ist umstritten. Der Legende nach wurde sie im 1. Jahrhundert im Nahen Osten geboren. Sie soll Dienerin einiger Frauen aus dem Umfeld von Jesus gewesen sein. Um das Jahr 40 soll Sara Kali unter anderem mit Maria Magdalena als christliche Missionarin nach Südfrankreich gekommen sein. Sie starb in Saintes-Maries-de-la-Mer. Die Gemeinde ist ein berühmter Wallfahrtsort für Roma aus aller Welt. Jedes Jahr finden am 24. und 25 Mai ihr zu Ehren Prozessionen statt. In der katholischen Kirche wird die Schwarze Sara als Heilige nicht anerkannt.

Wir danken Salome Kokoladze, der Theatergruppe Giuvlipen und dem Blog Hystericalfeminisms, dass wir das Interview gekürzt veröffentlichen dürfen. Es erschien erstmalig in Englisch unter dem Titel „Producing Roma culture while rejecting the concept of culturalism“ auf www.hystericalfeminisms.com.

Die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift „bedrohte Völker – pogrom“ trägt den Titel „Starke Frauen: Jetzt reden wir!“. Geschichten, die erzählt werden müssen. Wir veröffentlichen ausgewählte Artikel zum „Hineinschnuppern“. Das vollständige Magazin gibt es im Online-Shop der GfbV.

Der Originalartikel kann hier besucht werden