Wirtschaftliche Aktivitäten bedrohen weltweit die Rechte indigener Völker wie die kaum einer anderen Bevölkerungsgruppe. Auch deutsche Unternehmen sind direkt oder indirekt beteiligt, etwa indem sie Rohstoffe von fragwürdigen Zulieferern beziehen oder an umstrittenen Projekten auf indigenem Land mitverdienen.

Ratifizierung der Schutzkonvention durch Deutschland wird abgelehnt, weil deutsche Unternehmen dadurch Nachteile haben könnten

Die Konvention ILO 169 über „eingeborene und in Stämmen lebende Völker“ ist das einzige verbindliche internationale Abkommen, das dem Schutz der Rechte indigener Völker gewidmet ist. Anstelle einer beabsichtigten Integration in die Mehrheitsgesellschaft forderten indigene Vertreter_innen hier ihr Recht auf Selbstbestimmung. Obwohl das Übereinkommen bereits 1989 von der Internationalen Arbeitsorganisation verabschiedet wurde, haben es bis heute erst 22 Staaten ratifiziert. Deutschland hat bisher die Ratifizierung mit den Argumenten abgelehnt, dass es in Deutschland keine indigene Bevölkerung gäbe, die Anerkennung der Rechte bestimmter Gruppen den deutschen Gesetzen entgegenstehen würde, beziehungsweise deutsche Unternehmen Nachteile aus einer Ratifizierung hätten. Dieses Versäumnis der deutschen Bundesregierung bedeutet, dass die Normen der Konvention hierzulande weder verpflichtend noch einklagbar sind.

Geringes Interesse und geringes Risikobewusstsein

In einer gerade veröffentlichen Befragung unter 100 deutschen Unternehmen hat Survival International nun erstmals untersucht, wie die Unternehmen selbst damit umgehen, ihre Verantwortung einschätzen und welche Maßnahmen sie zum Schutz indigener Völker ergreifen. Es wurden Unternehmen mit einem Jahresumsatz von über 1 Milliarde Euro ausgewählt, die mit hoher Wahrscheinlichkeit Auswirkungen auf die Rechte indigener Völker haben. Den Unternehmen wurde Anonymität zugesichert.

Das ernüchternde Ergebnis der Studie zeigt, dass deutsche Unternehmen, die weltweit Geschäfte tätigen, hinterherhinken oder die Augen verschließen, wenn es darum geht ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht gegenüber indigenen Völkern nachzukommen.

Die Rücklaufquote des Fragebogens an deutsche Unternehmen betrug nur 24%. Nur neun Unternehmen beantworteten den Fragebogen. Elf weitere Unternehmen nahmen nicht direkt an der Umfrage teil, gingen aber punktuell auf einige der darin aufgeführten Fragen ein und/oder verwiesen auf ihre Nachhaltigkeitsberichte, ihre Website und/oder ihren Verhaltenskodex. Vier weitere Firmen gaben an, den Fragebogen aus unterschiedlichen Gründen nicht beantworten zu können.

Keines der Unternehmen hat sich explizit dazu verpflichtet, die UN-Erklärung über die Rechte indigener Völker oder die ILO 169 zu respektieren. Besonders häufig betonten die Unternehmen ihre Verpflichtung zur Einhaltung des UN Global Compact. Obwohl sich diese freiwillige Unternehmensinitiative auf einige wichtige Menschenrechte bezieht, handelt es sich dabei doch um minimale Standards, die keinen Bezug zu den Rechten von Gruppen wie indigenen Völkern herstellen. Außerdem wurde der UN Global Compact aufgrund seiner Unverbindlichkeit und mangelnden Transparenz mehrfach des blue- beziehungsweise greenwashings beschuldigt.

Obwohl nur die Hälfte der Unternehmen, die direkt auf den Fragebogen geantwortet hatten, bereits einmal eine Menschenrechtsrisikoanalyse durchgeführt hatte, gaben 44 % an, dass ihre grenzüberschreitenden Aktivitäten kein Risiko für einen Verstoß gegen die Rechte indigener Völker beinhalten würden. 33 % der Unternehmen stellten nur ein sehr niedriges Risiko fest und 22 % wussten das Risiko nicht einzuschätzen. Keines der Unternehmen erachtete das Risiko als bedeutend oder gar hoch. Dies ist verwunderlich, da doch sämtliche der befragten Unternehmen Sektoren angehören, in denen wirtschaftsbezogene Menschenrechtsvorwürfe – auch mit Hinblick auf indigene Völker – besonders häufig vorkommen.

Mit konkrete Beispielen von Verletzungen der Rechte Indigener durch deutsche Unternehmen beschäftigt sich Survival International seit Jahren. So zum Beispiel mit der Beteiligung von Voith Hydro am Belo Monte Staudamm, welcher die Lebensgrundlage von Tausenden Indigenen im Gebiet des Xingu-Flusses in Brasilien, darunter auch unkontaktierte Stämme, bedroht.

Linda Poppe von Survival International erklärte: „Für indigene Völker ist ‚Made in Germany‘ kein Gütesiegel, vielmehr ein Grund sich ernsthaft Sorgen zu machen. Denn wenn deutsche Unternehmen die Rechte indigener Völker verletzen, sind dies keine bedauerlichen Einzelfälle. Die Reaktionen der befragten Unternehmen zeigen, dass an allen Ende das Bewusstsein für indigene Völker, ihre Rechte und die eigene menschenrechtliche Verantwortung fehlt.“

„Indigene Völker kommen immer häufiger in Konflikt mit Unternehmen, je weiter diese in ihre einst abgelegenen Gebiete vordringen. Wenn deutsche Unternehmen nicht schnell aufholen, könnten die Folgen verheerend sein“, sagte Linda Poppe weiter.

Angesichts der alarmierenden Ergebnisse fordert Survival International von deutschen Unternehmen ein umgehendes Handeln, um geeignete Mechanismen zum Schutz indigener Völker aufzubauen und diese konsequent umzusetzen. Darüber hinaus muss die deutsche Bundesregierung ein klares Zeichen für die Rechte indigener Völker setzen, beispielsweise durch eine Ratifizierung der ILO-Konvention 169 und die verbindliche Sicherung indigener Recht im Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte.