Ilaria Fioravanti ist ThinkBuzan Licensed Instructor in Mind Mapping und Mitarbeiterin des Projektes Artemisia, eines Netzwerkes für die Unterstützung italienischer und italienisch-deutscher Eltern und Familien mit Kindern mit Behinderung. Ilaria hat eine Ausbildung mit Tony Buzan, dem Erfinder des MindMapping, durchlaufen und gehört zu den wenigen zertifizierten Trainerinnen in Italien und Deutschland.

Milena Rampoldi: Welche sind für Sie die Hauptbegriffe einer Erziehung im Sinne und zu Gunsten der Diversität?

Ilaria Fioravanti: Meiner Meinung nach gibt es, wenn wir von Diversität sprechen, nichts Wichtigeres als die Interaktion. Der tägliche Kontakt zu den Anderen und die Erziehung in der Familie und durch die Lehrer zwecks Nutzung der gemeinsamen Zeit sind der einzige Weg, um den notwendigen Respekt und die erforderliche Sensibilität zu entwickeln, um die Bedeutung der Diversität zu verstehen. Empathie muss anerzogen und entwickelt werden, vor allem wenn die Kinder anfangen die Schule zu besuchen, ihren Freundeskreis aufzubauen und zu bestimmen, welche die „richtigen“ Menschen sind, mit denen sie sich abgeben möchten und welche nicht. Wenn Respekt und Empathie schon in unserer Kindheit Teil unseres Alltags werden, so ist es wahrscheinlich, dass sie das ganze Leben lang zu unserem Wertesystem gehören werden.

Was bedeutet das Projekt Artemisia für Sie?

Artemisia ist für mich eine große Chance. Und ich hoffe, dass Artemisia in Zukunft immer mehr wachsen wird. Als ich das erste Mal mit Amelia Massetti, der Gründerin und Leiterin des Projektes sprach, war ich extrem beeindruckt von der Situation der Inklusion in Deutschland. Da ich zuvor noch nie die Möglichkeit gehabt habe, mich mit dieser Realität zu konfrontieren, dachte ich, der Stand der Dinge wäre ähnlich oder besser als in Italien. Dann habe ich aber entdeckt, dass wir auch hier in Deutschland sehr weit von einer idealen Situation entfernt sind: man spricht noch von Sonderschulen, von Tätigkeiten, die nur der Schatten einer Arbeitsroutine sind und von Alltagssituationen, die am Ende immer mehr und trotzdem von der Welt der „normalen“ Menschen abgetrennt bleiben.

Artemisia möchte konkret die Möglichkeit einer wirkungsvollen Inklusion aufzeigen, die die aufmerksam gezeichneten Trennlinien dieser für die Menschen mit Behinderung erschaffenen Parallelwelt aus der Welt schaffen. Ich halte das Projekt für großartig und mutig seitens von Eltern, die sich mit dieser alternativen Realität nicht begnügen, die – wenn auch bequem – mit Sicherheit nicht in die Parameter einer guten Inklusion fällt.

Welche sind die Hauptzielsetzungen, die Sie mit Ihrer Arbeit im Bereich des Mind Mappings verfolgen?

IF: Die Zertifizierung von ThinkBuzan basiert auf einer Berufung, die von allen TLI (ThinkBuzan Licensed Instructor) weltweit geteilt wird: die Bewusstseinssteigerung bezüglich der kognitiven Fähigkeiten unseres Gehirns und die Unterstützung der größtmöglichen Anzahl von Menschen bei der Entdeckung und Nutzung des eigenen Potentials. Das Lernen ist eine Tätigkeit, die uns das ganze Leben begleitet. Daher ist es wesentlich, sich bewusst und mit den geeigneten Mitteln damit auseinanderzusetzen, um Frustrationen und Ängste zu vermeiden oder zu überwinden, die oft zu sehr unsere akademische Laufbahn oder unser Berufsleben begleiten. Leider tun sich viele Schulsysteme und Betriebe, die noch in extrem konsolidierte Traditionen eingebunden sind, noch schwer, einige bereits bewährte Leitsätze wie z.B. die Bedeutung der visuellen Elemente zwecks Erleichterung von Einprägung, Verständnis und Organisation zu akzeptieren. Wir leben in einer Welt, in der verbale Fähigkeiten normalerweise bevorzugt werden, aber wir sollten berücksichtigen, dass eine so beschränkte Nutzung unserer Fähigkeiten die Lernprozesse komplex gestalten kann.

Im Rahmen des Artemisia-Projektes betone ich immer die Bedeutung eines geeigneten kognitiven Trainings für Kinder mit Behinderung, die oft auf rein körperliche Tätigkeiten eingeschränkt werden.

Welchen Bezug sehen Sie zwischen der Arbeit mit den jungen Menschen mit Behinderung und dem Engagement gegen Diskriminierung?

Jegliche diskriminierende Handlung lässt sich unabhängig von ihrer Ursache auf Unwissen zurückführen. Der einzige Weg, um das Unwissen zu bekämpfen, ist die Bildung. Und dies gilt nicht nur für die Schulkinder, sondern auch für den Großteil von uns Erwachsenen, die tagtäglich eine Routine durchleben, welche die Diversität ausschließt. Die stetige Abtrennung von der Welt der Menschen mit Behinderung bedeutet Unwissen: man kennt die Herausforderungen nicht, denen sich nicht nur das Kind mit Behinderung, sondern auch seine ganze Familie stellen muss, auch um Tätigkeiten auszuüben, die für das alltägliche Leben unentbehrlich sind, aber für ein Kind mit Behinderung eine wahre Eroberung der eigenen Selbständigkeit bedeuten. Man ergreift gerne Partei zu Gunsten der Inklusion, weil sie politisch korrekt ist, mehr als weil man sich ihrer Bedeutung auch wirklich bewusst ist.

Ich glaube, dass die Arbeit mit jungen Menschen mit Behinderung nicht nur eine unglaubliche emotionale Bereicherung darstellt, sondern auch unsere Bildung, wobei ich unter Bildung das Gegenteil vom Unwissen verstehe, wodurch wir „Normalbegabten“ zur Diskriminierung neigen.

Wie können wir den Dialog zwischen Italienern und Deutschen verbessern?

Ich fürchte, dass es auf beiden Seiten eine Reihe von Vorurteilen gibt, die sich sehr schwer ausmerzen lassen. Das kann die Kommunikation erschweren und oft zu Frustrationen führen. Was wir als italienische Migranten in Deutschland tun können, ist meienr Meinung nach zu beweisen, wie unbegründet diese Stereotypen sind, indem wir ein Italien zeigen, das sich vom Italien der typischen, so oft wiederholten Dialoge, unterscheidet. Wir müssen uns auch von den negativen und positiven Vorurteilen gegenüber den Deutschen verabschieden, die uns eingetrichtert wurden, und uns einzig und allein auf unsere alltägliche Erfahrung zu beziehen, um einen gesunden Dialog ohne Stereotypen aufzubauen.

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