Am 2. Januar 2015 wurden 47 Menschen in Saudi-Arabien durch Enthauptung hingerichtet. Bei dieser Hinrichtung war der bekannte schiitische Prediger Nimr al-Nimr zusammen mit 46 weiteren Menschen wegen Terrorismus zum Tode verurteilten. Die sunnitische diktatorische Führung in Saudi-Arabien hat damit einen neuen Flächenbrand zwischen Sunniten und Schiiten in der ganzen Region, inklusive der eigenen schiitischen Landsleuten entfacht. Die Europäische Union warnte die Regierung in Riad deshalb vor „gefährlichen Konsequenzen“.

Nach der Hinrichtung setzten Demonstranten in der iranischen Hauptstadt Teheran die saudische Botschaft mit Molotow-Cocktails in Brand. Die Schiiten im Nahen Osten laufen Sturm. Irans Revolutionsführer Ali Chamenei verfluchte öffentlich das Königshaus in Saudi-Arabien. Die diplomatischen Verhältnisse wurden von Saudi-Arabischer Seite gecancelt. Es kam zu zahlreichen Unruhen und Demonstrationen in Saudi-Arabien mit den Worten: „Nieder mit dem Haus Saud“ sowie in den Nachbarländern Bahrain und Jemen. Selbst Iraks besonnener Großajatollah Ali al-Sistani nannte die Tötungen „eine Ungerechtigkeit und Aggression“, während sein Premierminister Haider al-Abadi twitterte, die Repression werde nicht obsiegen.

Die drei Millionen Schiiten im Osten Saudi-Arabiens, unter deren Siedlungsgebieten praktisch die gesamten Ölschätze des Landes liegen, fühlen sich seit Jahrzehnten diskriminiert und als Bürger zweiter Klasse behandelt. Sie haben keinen Zugang zu hohen politischen Ämtern, wenig gut bezahlte Jobs und kaum Aufstiegschancen. Unter den viel zu geringen staatlichen Investitionen in Wohnungsbau, Schulen, Universitäten und Wirtschaft leiden sie besonders. Seit dem saudischen Krieg im Jemen rufen sunnitische Kleriker zum Heiligen Krieg gegen die schiitischen Huthis im Nachbarland auf. In ihren Hasspredigten bedrohen sie auch die eigene Minderheit und prangern sie als fünfte Kolonne Teherans an.

Der nun getötete Prediger Nimr al-Nimr war für viele saudische Schiiten ein Vorkämpfer für ihre Rechte. Mit seinen charismatischen Predigten gab er ihnen eine Stimme. Als das Königshaus 2012 den wortgewaltigen Geistlichen verhaften ließ, der dabei angeschossen wurde, folgten tagelange Ausschreitungen in seiner Heimatstadt Awamiyya nahe Katif. Im Oktober 2014 verurteilte ein Antiterrorgerichtshof den 56-Jährigen zum Tode mit anschließender Kreuzigung. Er habe religiöse Konflikte geschürt und „Ungehorsam gegenüber dem Herrscher“ gezeigt, hieß es zur Begründung des Scharia-Verdikts. Das drastische Vorgehen zeigt, wie nervös das neue Führungstrio von König Salman mit Kronprinz Mohammed bin Nayef sowie Verteidigungsminister Mohammed bin Salman, einem Sohn des Monarchen, mittlerweile ist. Der übermächtige Erzrivale Iran wird in diesem Jahr durch das Atomabkommen erstmals seit drei Jahrzehnten wieder international hoffähig.

In den Reihen der IS-Terrormiliz kämpfen mindestens 2.500 junge Saudis in Syrien und Irak, deren Führer offen zum Marsch auf Mekka und Medina aufrufen. Eine repräsentative Umfrage auf der arabischen Halbinsel ermittelte kürzlich, dass fünf Prozent aller Saudis mit dem sogenannten „Islamischen Staat“ sympathisieren. Das entspricht einer halben Million Bürger.

Der Verfall des Ölpreises reißt nun schon zum zweiten Mal ein Rekordloch von nahezu 100 Milliarden Dollar in den Staatshaushalt und verschlingt damit ein Viertel der staatlichen Rücklagen. Der blutige Konflikt mit den schiitischen Huthis im Jemen entpuppt sich immer mehr als riskante und kostspielige Sackgasse. Denn von Zerfall und Verelendung des Nachbarlandes profitieren vor allem das Terrornetzwerk Al-Kaida und der IS.

Gleichzeitig wächst im Inneren die Unruhe. Innerhalb der Königsfamilie kursieren inzwischen vier offene Briefe, die vor einem Zusammenbruch der eigenen Herrschaft warnen. Die Monarchie bemüht sich, dem mit einer Politik der eisernen Faust gegen Bürgerrechtler und Blogger entgegenzuwirken. Immer mehr Aktivisten müssen wie Nimr al-Nimr vor Antiterrorgerichte – ein Signal an alle Kritiker, dass auch sie auf dem Schafott enden könnten. Zu den bekanntesten Fällen gehören der Blogger Raif Badawi sowie sein Anwalt Waleed Abu al-Khair. Hier zeigte die Weltgemeinschaft bereits lautstark ihren Protest gegen das Saudische Königshaus.

Auge um Auge, Zahn um Zahn?

Am letzten Samstag dankten einige saudische Journalisten den Vertretern des Innenministeriums der saudischen Regierung lautstark für die 47 Exekutionen. Der saudische Großmufti Abdulaziz al-Sheikh ließ erklären, jede Hinrichtung sei eine Gnade für die Gefangenen, denn sie hindere diese an weiteren Übeltaten. Diese Hinrichtungen im neuen Jahr waren nur ein Teil von 157 weiteren im Jahr 2015 durch den König Salman.

Erschreckend wenig Protest vernimmt man aus der Europäischen Bevölkerung.

ag

Lassen Sie uns nicht wegschauen, sondern mit unserem Protest zeigen, dass es eine Menschlichkeit gibt und Religionskonflikte nur als Vorwand genommen werden, um Kriege und Gewalt zu verbreiten. Sagen Sie auch: „Nein zur Gewalt und zur Todesstrafe!“ „Frieden schaffen ohne Todesurteile, ohne Terror und ohne Gewalt!“

Weitere Fakten unter: https://wikileaks.org/saudi-cables/