Die Schweiz muss Dublin-Rückschaffungen in EU-Grenzstaaten und Staaten der Balkanroute aussetzen und Asylgesuche selbst behandeln.

Die aktuelle Schweizer Asylpolitik verletzt die Rechte von Flüchtlingen und verstösst gegen das Solidaritätsprinzip, indem sie Menschen in Länder wie Italien, Griechenland und Ungarn zurückschickt. Statt die Integration von Kriegsflüchtlingen etwa aus Syrien und Afghanistan voranzutreiben, beschleunigt das Staatssekretariat für Migration (SEM) seit dem 24. September 2015 Rückschaffungen und behandelt Dublin-Fälle  prioritär.

Amnesty International, die Schweizerische Flüchtlingshilfe, Soldarité sans frontières, die Rechtsberatungsstellen Copera und die Bürgerbewegung Collectif R schlagen angesichts dieser Entwicklung Alarm und fordern den Bundesrat auf, sofort zu handeln und folgende Punkte umsetzen:

  • Sich aktiv an einer Neugestaltung des europäischen Asylsystems beteiligen,
  • Dublin-Rückschaffungen in EU-Grenzstaaten und in Staaten an der Balkanroute aussetzen und Asylgesuche selbst behandeln,
  • die Integration der Schutzsuchenden priorisieren,
  • mittelfristig zur Ausarbeitung eines Verteilschlüssels zwischen den europäischen Ländern aktiv beitragen, unter Berücksichtigung der Interessen der Flüchtlinge (Familienbande usw.),
  • deutlich mehr Flüchtlingen eine Neuansiedlung in der Schweiz ermöglichen.

Denise Graf, Asylexpertin von Amnesty International, warnt: «Unsere Amnesty-Teams in Ungarn, Italien, Griechenland und in der Ägäis sowie an den Grenzübergängen entlang der Balkanroute dokumentieren beinahe täglich schwere Menschenrechtsverletzungen. Doch unsere Warnrufe verhallen ungehört, das Staatssekretariat für Migration (SEM) hat auf unsere Aufforderung, keine Flüchtlinge mehr nach Ungarn zurückzuschicken, nicht einmal geantwortet. Das kann nicht so weiter gehen.»

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) arbeitet seit Jahren mit den Realitäten des Dublin-Systems. Constantin Hruschka, Leiter «Protection» bei der SFH, stellt fest: «Die aktuelle Situation in Ungarn ist mit der in Griechenland in den Jahren 2008/2009 vergleichbar. Wir dürfen nicht wieder zwei Jahre und bis zu einer Entscheidung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs warten, bevor wir den schutzbedürftigen Personen helfen, die dort keinen Zugang zum Verfahren haben und unmenschliche Behandlung riskieren.»

Aldo Brina, Informationsbeauftragter für Asylfragen des Centre Social Protestant (CSP), der auch stellvertretend für mehrere Rechtsberatungsstellen spricht, sagt: «Mit der Beschleunigung der Dublin-Rückschaffungen und dem Zurückstellen der Integration von Flüchtlingen aus Kriegs- und Krisengebieten verstösst die Schweiz klar gegen die Aufforderung der Europäischen Union, mehr Solidarität innerhalb Europas zu zeigen. Rückschaffungen von Flüchtlingen in EU-Grenzländer müssen deshalb suspendiert werden.»

Und Michaël Rodriguez vom Collectif R, einer Bürgerbewegung in Lausanne, die sich gegen Dublin-Rückschaffungen einsetzt, ergänzt: «Die Schweiz macht sich zur Komplizin von Grundrechtsverletzungen, wenn sie weiterhin die Augen vor dem verschliesst, was in diesen Ländern passiert. Mehrere Flüchtlinge, die unserem Kollektiv angehören, haben in Italien und Ungarn Freiheitsberaubungen, Erniedrigungen und Formen der Gewalt erlebt, die der Folter nahekommen. Der Bund muss endlich aufhören, mit dem Feuer zu spielen, und alle Asylgesuche selbst behandeln, die hier gestellt werden.»

Amanda Ioset, Generalsekretärin von Solidarité sans frontières, geht noch einen Schritt weiter: «Die Zukunft der Solidarität unter den Staaten liegt nicht in der Weiterführung des Dublin-Systems, denn das vergrössert lediglich die Unterschiede zwischen den Ländern Zentraleuropas und den Erstaufnahmeländern an der Peripherie. Die Schweiz muss ihre Verantwortung gegenüber Personen, die Krieg, Chaos und Misere entfliehen, wahrnehmen und gänzlich auf Dublin-Wegweisungen verzichten.»

Statement von Amnesty International
Statement der Schweizerischen Flüchtlingshilfe
Statement des Centre Social Protestant
Statement vom Collectif R
Statement von Solidarité sans frontières

Der Originalartikel kann hier besucht werden