Eine Reflexion über die Islamophobie im Westen aus muslimischer Sicht anhand des Buches von Dr. Ineke van der Valk
von Dr. phil. Milena Rampoldi, ProMosaik – interkulturelles und interreligiöses Portal
Das Thema der Islamophobie bzw. Islamfeindlichkeit ist für mich als Frau und als Muslimin nicht nur ein niederländisches oder europäisches Thema, sondern viel mehr ein Thema, das in den Bereich der universellen Menschenrechte fällt und somit über jegliche nationale und kulturelle Grenze hinausgeht. Religion und die Freiheit, die eigene Religion auszuleben, gehören zu den grundlegenden und in der Demokratie anerkannten Menschenrechten. Und dies gilt auch für den Islam, die dritte monotheistische Weltreligion.
Wenn man sich, bezogen auf die Niederlande nach dem 11. September 2001, der nun durch die aktuelle Debatte über die Foltermethoden der CIA, vor allem im Gefängnis von Guantanamo, in ein völlig neues Licht rückt, Filme wie Fitna des niederländischen Politikers und Vorsitzenden der rechtspopulistischen Partij voor der Vrijheid Geert Wilders ansieht, erinnert man sich gleich an den antisemitischen Film Der ewige Jude aus dem menschenverachtenden Zeitalter des Nationalsozialismus in Deutschland. Der Islam wird im zeitgenössischen islamfeindlichen Diskurs als eine politische Ideologie der Weltherrschaft und des Kolonialismus gegen den Westen dargestellt, der die Frau befreit hat, während der Islam als eine politische Ideologie der Unterdrückung der Frau angeschwärzt wird, wie auch aus dem Pamphlet von Geert Wilders Die Gewalt des Islam gegen die Frauen klar hervorgeht. Der Islam möchte nach diesem Standpunkt durch Moscheen und Kinderwagen (die das Symbol des sogenannten „Kinderwagenjihads“ sind), Gesichtsschleier und Kopftücher die Niederlande in seinen Bann nehmen, islamisieren und somit erobern. Daher möchte z.B. die Partei PVV die Vernichtung des Islam als totalitäre Ideologie durchsetzen und nennt den Islam in diesem Zusammenhang die „grüne Pest“.
Vor allem das wunderbare Buch des niederländischen Publizisten Geert Mak mit dem Titel Der Mord an Theo van Gogh (2005) hat mir den definitiven Anstoß zur Übersetzung der Studie von Ineke van der Valk gegeben, die für mich im Bereich der Studien über die Islamfeindlichkeit nach 2001 in ganz Europa wirklich als wegweisend gilt. Als Muslimin und Befürworterin des interkulturellen und interreligiösen Dialogs und als Vertreterin des islamischen Feminismus finde ich es von wesentlicher Bedeutung, dass Texte wie dieser in verschiedene Sprachen übersetzt und weltweite Verbreitung finden. Es gehört auch wesentlich zur Aufgabe der Islamwissen-schaftlerInnen heute, sich mit dem Thema der Islamfeindlichkeit und vor allem mit der Diskriminierung der muslimischen Frauen im Westen auseinanderzusetzen, weil ich einfach der Meinung bin, dass die Studien über die Islamophobie heute auch einen wichtigen Platz im Rahmen des islamisch-feministischen Diskurses einnehmen sollten.
Ich möchte dies eine sozio-politische Aufgabe nennen, um einerseits den positiven Beitrag des Islam zur Befreiung der Frau aufzuzeigen und den negativen Diskus des islamfeindlichen Westens aufzudecken.
Dr. Ineke van der Valk gelingt es auf wundervolle Weise, das Thema der Islamophobie und die zahlreichen Aspekte der Abwertung, Entwürdigung, Segregation und Stigmatisierung von Musliminnen und Muslimen in den Niederlanden durch politische Parolen, Demonstrationen gegen den Moscheebau, Beleidigungen im Internet und verbale und gewaltvolle Attacken gegen islamische Gotteshäuser aufzuzeigen. Es ist in diesem Zusammenhang auch sehr wichtig zu erkennen, wie viele verschiedene Aspekte ein solches Thema auch in sich birgt und wie viele Ähnlichkeiten es vor allem heute zwischen der niederländischen und der deutschen Realität gibt, vor allem wenn ich an die PEGIDA-Bewegung in Dresden denke, die aus Furcht vor der sogenannten islamischen Eroberung des Abendlandes die westlichen Werte der Demokratie davor schützen möchte.
Wie Rassismus und Fremdenhass so ist auch Islamfeindlichkeit mit Sicherheit kein homogenes und einheitliches Phänomen, was seine Analyse schwierig und gleichzeitig herausfordernd macht, denn Islamfeindlichkeit kommt in vielfältigen politischen und Bürgerbewegungen vor und wird von vielen manipuliert, um an Wähler zu kommen, die nicht nur zu den Rechtsradikalen gehören.
Um auf die Diskriminierung der muslimischen Frau zurückzukommen, die mir persönlich sehr große Sorgen macht, finde ich auch den Begriff der Intersektionalität sehr bedeutend, den Frau Dr. van der Valk in ihrer Studie erklärt. Vor allem wenn ich an die Episode der Pariser Oper denke, aus deren Veranstaltung eine Frau mit Gesichtsschleier verbannt wurde oder an die Prinzessin aus dem Golf, der in Belgien im Büro einer Behörde der Gesichtsschleier entnommen wurde, empfinde ich die Diskriminierung der Muslima viel schwerwiegender als die des muslimischen Mannes. Diesen wesentlichen Begriff der Intersektionalität definiert die Autorin wie folgt: „eine Diskriminierung, die auf verschiedenen, miteinander verbundenen Gründen basiert“. Dies bedeutet, dass die muslimische Frau einer vielschichtigen Diskriminierung ausgesetzt ist, die auch mit ihrer Kleidung zu tun hat, die man im phänomenologischen Sinne als ihre Körperlichkeit und Präsenz in der Welt bezeichnen könnte, und nicht nur mit ihrer Ethnizität, ihrer Kultur, ihrer nationalen Zugehörigkeit, ihrem Geschlecht und ihrer Religion in Verbindung steht. Ein Beispiel für die Diskriminierung der Muslima im Sinne der Intersektionalität findet sich ganz klar im Kurzfilm von Ayyan Hirsi Ali in Zusammenarbeit mit Theo van Gogh mit dem Titel Submission.
Vor allem für nicht-niederländische Leserinnen und Leser ist das Buch der niederländischen Islamforscherin sehr hilfreich, weil es erklärt, wie sich in einem so liberalen Land wie den Niederlanden durch die Herausbildung von Vorurteilen über den Islam und die Hetze durch den islamfeindlichen politischen Diskurs à la Wilders eine intolerante Kultur entwickelt hat, die das Ziel verfolgt, (ausländische) MitbürgerInnen islamischer Religionszugehörigkeit aus der Gesellschaft auszuschließen und zu stigmatisieren. Der Diskurs weist auch viele Parallelen mit Deutschland auf, vor allem wenn ich an die Hetze gegen Asylanten und die Proteste gegen die Muslime und den Moscheebau denke.
Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass Studien wie die von Ineke van der Valk bedeutend dazu beitragen können, den Dialog zwischen den Religionen und Kulturen in den Niederlanden und in der gesamten westlichen Welt neu anzubahnen, indem man vorab Islamophobie analysiert, ken-nenlernt, bespricht und sich dann dagegen wehrt. Die Bekämpfung von Islamophobie soll im Rahmen eines friedlichen Dialogs und durch rationalistischen und offenen Diskurs und Information über den Islam und durch, um einen Begriff von Dr. Farid Hafez aus Wien zu verwenden, durch die „Steigerung der Sichtbarkeit des Islam“ erfolgen. Wissen ist das Fundament, auf dem wir Muslime heute bauen sollten, und der Islam weist uns den Weg. Denn der erste Koranvers, der dem Propheten (sas) offenbart wurde, heißt: IQRA‘.
Wie Prof. Ernst Hirsch Ballin der Universität Amsterdam in seiner Einleitung zum Buch schreibt, „bestärkt dieses Buch in den Lesern die große Bedeutung des Wertes des gegenseitigen Respektes voreinander“. Und dieser Respekt muss neu aufgebaut werden, vor allem in den islamfeindlichen Gruppierungen. Es ist Aufgabe der Musliminnen und Muslime heute, die Ängste der Bürger vor dem Islam durch Aufklärung und Sichtbarkeit der muslimischen BürgerInnen abzubauen, denn wie das Wort schon sagt, hat Islamophobie mit Angst zu tun. Rechtsradikale Gruppierungen manipulieren diese Angst, indem sie den Mythos der islamischen Eroberung des Westens erfinden und den Menschen propagandistisch vorführen.
Nun möchte ich kurz auf die Erörterung des Inhalts der Studie von Dr. Ineke van der Valk übergehen. In der Einleitung spricht die Autorin die beunruhigende Zunahme der islamfeindlichen Haltungen in den Niederlanden nach dem 11. September und den Mord am Filmproduzenten Theo van Gogh durch einen Niederländer marokkanischer Herkunft an. Da das Phänomen zunimmt, ist es von wesentlichem Belang, es zu analysieren und Studien über die Islamfeindlichkeit zu verfassen, um die Beweggründe zu verstehen, die Menschen dazu führen, islamfeindlich zu denken und zu handeln.
Kapitel 2 beleuchtet anhand der Analyse des Konzeptes und des Phänomens das Ausmaß der Theoriebildung in der internationalen Literatur. In dieser Hinsicht finde ich es vor allem wichtig, den Begriff, wie Dr. Ineke van der Valk es tut, historiographisch zu ergründen. Denn die Geschichte des Kolonialismus und dann der Befreiung vom Kolonialismus haben dazu beigetragen, den aktuellen islamophoben Diskurs zweifach zu gestalten. Auf der einen Seite haben wir die kulturell orientierte islamfeindliche Rhetorik, die auf den kolonialen Orientalismus zurückgeht, der Muslime in erster Linie als exotisch betrachtet, und auf der anderen Seite die islamfeindliche Vorstellung, die sie als plündernde Angreifer betrachtet, die den Westen durch die Migrationsbewegungen erobern möchten. Islamophobie ist eine Form des Rassismus, die das Ziel verfolgt, Menschen, die dem Islam angehören, aus der Gesellschaft zu isolieren und zu stigmatisieren. Um dies zu erreichen, werden Mythen und Vorurteile durch effektive Propaganda in „Wahrheit“ verwandelt und als Wahrheiten gefestigt und verewigt. zutrifft, als dem Islam zugehörig betrachtet werden. Die Islamophobie als moderne Variante des Ausschlusses und der Diskriminierung bringt notwendigerweise religions-bezogene und häufig auch ethnische und geschlechterbezogene Aspekte mit sich. Diese sind alle eng miteinander verbunden und erklären somit auch, warum die Frauen die Hauptziele des islamfeindlichen Diskurses sind.
In Kapitel 3 werden die Ausdrucksformen der Islamophobie im politischen und öffentlichen Raum durch die Analyse von Dokumenten, einschließlich Stellungnahmen und Veröffentlichungen im Internet, behandelt. Darauf folgt eine Bewertung insbesondere der PVV sowie eher traditioneller, extremrechter und rechtsextremistischer Gruppen. Das Kapitel ist vor allem deswegen interessant, weil die Autorin das breite Spektrum des islamfeindlichen Diskurses in den Niederlanden erörtert und aufzeigt, wie viele so verschiedene Gruppierungen dasselbe Feindbild Islam aufbauen.
Kapitel 4 liefert einen Überblick über die in den letzten Jahren verübten Gewalttaten gegen die Präsenz oder angenommene Präsenz islamischer Gebetsstätten. Es wird untersucht, ob sich in diesem Verhalten bestimmte Muster erkennen lassen. Kommt es in bestimmten Orten oder Städten häufiger zu solchen Taten als in anderen? Ähneln sich die Täter? Die meisten Fälle betrafen Graffiti, Vandalismus und Brandstiftung. Manchmal waren die Vorfälle für Muslime auch sehr beleidigend. Die Anzahl der gefassten Täter und die dazugehörige Motivbestimmung waren sehr gering. Dies ist besorgniserregend, da die Dunkelziffer sehr hoch ist. Die aufgeklärten Fälle umfassten Jugendgruppen mit ideologischen Motiven. Gewalttaten wurden zudem im Verhältnis häufiger in kleineren Städten und Gemeinden als in Großstädten verübt. Auch hier bemerkt man klar die Ähnlichkeiten zu Deutschland, denn gerade wo weniger Muslime leben, gibt es mehr Islamophobie im etymologischen Sinne, denn wo es wenig Islam gibt, dringt das Feindbild Islam auch besser bis in die Mitte der Gesellschaft durch.
Die gewaltfreien Aktionen gegen Moscheen werden, soweit darüber in den Printmedien berichtet wird, in Kapitel 5 thematisiert. Es kann sicherlich mit Recht behauptet werden, dass in Aktionen solcher Art Islamophobie nicht immer eine Rolle spielt, obwohl dies durchaus möglich ist. An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, wie schwer manchmal die Umgrenzung des Phänomens ist und wie hoch auch hier die Dunkelziffer ist, da viele Proteste gar nicht in die Medien gelangen. Vorläufig scheint es dem jedoch so zu sein, dass eine bestimmte Angst vor dem Fremden und Unbekannten eine bedeutendere Rolle bei Kampagnen dieser Art durch Anrainer spielte als explizite islamfeindliche Einstellungen. Eine genauere und detailliertere Erforschung der verschiedenen Aspekte der Kampagnen könnte mehr Klarheit darüber schaffen. Dasselbe gilt mit Sicherheit auch für Pegida in Dresden: auch hier sollte ergründet werden, wie viel islamfeindlich daran ist und wie viel allgemein fremdenfeindlich, da der Islam oft auch von xenophoben Bewegungen genutzt wird, um allgemein gegen Ausländer vorzugehen, wie auch klar in den Protesten gegen die Asylantenheime zum Ausdruck kommt.
Die politischen Initiativen, welche die PVV gegen Moscheen und die Errichtung von Moscheen startete, werden ebenfalls erläutert. Kapitel 6 beschäftigt sich mit der auf die Diskriminierung bezogenen niederländischen Gesetzgebung und den kürzlich vorgenommenen Änderungen zu den Themen Immigration, Integration und Asylverfahren der niederländischen Regierung. Hier wird der Leitfrage nachgegangen, ob eine strukturelle Zunahme der Diskriminierung zu beobachten ist. Wie sieht es in wichtigen Bereichen wie Arbeitsmarkt, Bildungs- und Wohnwesen aus? Frau Dr. van der Valk zeigt in diesem Kapitel auf, wie wichtig die Erforschung der wichtigsten Lebensbereiche der Musliminnen und Muslime sein kann, um islamfeindliche Einstellungen in der Gastgesellschaft besser zu analysieren.
Das Buch schließt mit einer Zusammenfassung, einer Reflexion und Empfehlungen. Die Form des Rassismus entstand mit dem Hintergrund des negativen Meinungsbildes gegenüber dem Islam und den Muslimen, besonders im Zusammenhang mit den internationalen Spannungen, die durch den islamischen Terrorismus und den Krieg gegen den Terrorismus beeinflusst werden. In den letzten Jahren verschlechterte sich das Meinungsbild in den Niederlanden, anstatt sich zu verbes-sern. Die Isolation, negative Darstellung und die Darstellung der Muslime als Feinde der Gesellschaft wuchs in letzter Zeit stark an. Dies wird in diesem Buch anhand von erörterten Äußerungen aus dem Internet, Behauptungen über den Islam von der PVV und durch den Fokus auf eine stetig wachsende anti-islamische Einstellung in den rechtsradikalen Bewegungen aufgezeigt. Dieses besorgniserregende Phänomen findet sich genauso auch in Deutschland, vor allem nach den Moscheeanschlägen im Sommer 2014 und nach der Herausbildung der PEGIDA Bewegung in Dresden. Zur Verbreitung des islamfeindlichen Gedankenguts wird auch vielfach das Internet und vor allem die sozialen Medien genutzt.
Nun sehen wir uns abschließend die wichtigsten Argumente der islamfeindlichen Gruppierungen in den Niederlanden an. Diese können sehr gut mit denen der deutschen islamophoben Gruppierungen verglichen werden. Es ist Aufgabe der gesamten Gesellschaft, diese Argumente zu entkräften, um der Stigmatisierung und dem Ausschluss den Musliminnen und Muslimen aus den westlichen Gesellschaften rational und dialogisch entgegenzuwirken.
In mehr materiellen Beiträgen auf diesen islamophoben Seiten und Foren geht es hauptsächlich um die folgenden Themen, die zugleich auch als der Kern des islamophoben Diskurses angesehen werden können:
- Die totalitäre und gewalttätige Natur des Islam. Damit wird belegt, dass der Islam keine Religion, sondern eine Ideologie ist und deswegen verbannt werden muss.
- Die Islamisierung Europas. Dieser Prozess wird häufig mit dem Begriff Eurabia ausgedrückt. Europa verliere seinen europäisch-christlichen Charakter aufgrund vorsätzlicher Handlungen, die von Muslimen verübt werden und weil die islamische Identität ganz Europa aufgedrängt wird. Es wird behauptet, dass Muslime Europa erobern und es mit einer Gewaltherrschaft regieren wollen. Die Nutzung des Begriffs Eurabia soll deutlich machen, dass dieser Prozess bereits in vollem Gange ist. Die Geschichte wird häufig als Beweismittel herangezogen. Die fiktive Bedrohung durch die Islamisierung wird oft in obsessiver Form belebt.
- Die „Masseneinwanderung“. Der Zusatz des Wortes „Massen“ soll das angeblich unkontrollierbare Ausmaß des Phänomens betonen. Zusätzlich wird auch auf die mangelnde Integration der Muslime, ihre Unzuverlässigkeit und ihre vermeintlichen kriminellen Neigungen Bezug genommen.
- Die „Linke Elite“. Diese Gruppe und insbesondere (sozial-demokratische) Politiker sind angeblich für die „Massenimmigration“ und deren Konsequenzen und somit auch für die Islamisierung verantwortlich.
- Die Unterdrückung von Frauen, die hauptsächlich durch das Kopftuch symbolisiert wird.