Das Recht, friedlich zu demonstrieren, gerät in Spanien zunehmend unter Druck: Die spanische Polizei geht mit unverhältnismässiger Gewalt gegen Demonstrierende vor und bleibt dabei weitgehend straffrei, während die spanische Regierung die Gesetzgebung noch repressiver gestalten will. Eine neue Recherche von Amnesty International dokumentiert die Entwicklungen der jüngsten Zeit.

Der neue Amnesty-Bericht «Spain: The right to protest under threat» (Spanien: Das Demonstrationsrecht unter Druck) handelt von Menschenrechtsverletzungen der Polizei gegenüber Demonstrierenden, von mangelnder Rechenschaftspflicht für solche Übergriffe, und von der Entschlossenheit der spanischen Regierung, repressive Gesetze weiter zu verstärken, um legitimen und friedlichen sozialen Protest zu ersticken.

Seit die Wirtschafts- und Finanzkrise das Land schwer getroffen hat, haben Arbeitsplatzverlust, Sparmassnahmen der öffentlichen Hand und der Eindruck mangelnder regierungspolitischer Transparenz Tausende Spanierinnen und Spanier auf die Strassen getrieben. Im Jahr 2012 gab es im ganzen Land fast 15’000 Demonstrationen, nahezu 40 pro Tag. Im darauffolgenden Jahr 2013 waren es allein in Madrid 4’500 Demonstrationen. In weniger als einem Prozent davon kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen seitens von Demonstrierenden, wie die Regierung selbst anerkennt.

Ungestrafte Polizeigewalt

Die Polizei hingegen wandte regelmässig unverhältnismässige Gewalt an, um friedliche Demonstrationen aufzulösen: Sie schlug auf Demonstrierende ein, gebrauchte Schlagstöcke und Gummigeschosse, es kam zu Verhaftungen, Strafklagen und Bussen. Viele Betroffene leiden bis heute unter den erlittenen Körperverletzungen. Andere berichten von Misshandlungen und Erniedrigungen auf Polizeistationen. Auch Journalisten und Fotografinnen, die die Ereignisse dokumentieren wollten, wurden Opfer von Polizeigewalt. Manchen wurde die Ausrüstung zerstört. Die Täter seitens der Polizei gingen straflos aus.

Die Polizei hat zwar die Pflicht, die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten. Sie muss dabei aber die internationalen Verpflichtungen einhalten, zu denen auch die Gewährleistung des Versammlungsrechts gehört.

Repressive Gesetze

Gemäss der spanischen Gesetzgebung können Personen, die als Organisatoren oder Anführerinnen von unbewilligten Demonstrationen betrachtet werden, mit bis zu 30’050 Euro Busse belegt werden. «Sie wollen die Führung zerstören und nehmen deshalb SprecherInnen ins Visier», sagt Maria, die 1000 Euro Busse bezahlen musste, weil sie gegen Sparmassnahmen demonstrierte. Das widerspricht jedoch einem Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs: Das Recht auf friedliche Versammlungsfreiheit ist demgemäss so wichtig, dass niemand für die Teilnahme an einer Demonstration bestraft werden darf, solange er oder sie keine Straftat begeht.

Doch die spanische Regierung will noch weiter gehen: Mit Revisionen des Strafgesetzbuchs und des Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit plant sie derzeit weitere Einschränkungen der Demonstrationsfreiheit. Eine ganze Reihe von neuen Anklagepunkten gegen Demonstrierende sollen eingeführt und die Bussen nochmals erhöht werden.

«Die spanischen Behörden gehen in die falsche Richtung», kritisiert Jezerca Tigani, stellvertretende Programmleiterin Europa und Zentralasien bei Amnesty International. «Noch schärfere Gesetze werden lediglich den Graben zwischen den Machthabenden und dem Volk Spaniens noch weiter aufreissen. Öffentliche Unzufriedenheit kann nicht mit Repression vermindert werden.»