Jedes Jahr dieselbe Leier. Die EU will die totale digitale Kontrolle und verkauft sie uns als Kinderschutz. Neu ist nur, dass Großbritannien diesmal vorgeprescht ist und bereits Ausweiszwang eingeführt hat. Und obwohl das Land gar nicht mehr an EU-Regeln gebunden ist, nutzen europäische Regierungen diesen Schritt nun als Steilvorlage, um selbst härter durchzugreifen.
Geplant ist nicht nur, dass sich künftig alle Nutzer:innen vieler oder sogar aller Online-Plattformen mit ihrem Ausweis identifizieren müssen, auch jede private Nachricht, jedes Bild und jede Datei soll staatlich gescannt werden. Ohne Verdacht. Ohne Anlass. Was angeblich „unsere Kinder schützt“, ist in Wahrheit der größte Angriff auf Privatsphäre, Anonymität und Meinungsfreiheit in der Geschichte der EU.
Der Einstieg in die totale Kontrolle
Die Idee klingt für manche simpel. Wer sich online ausweisen muss und wessen Chats automatisch vom Staat gescannt werden, hinterlässt keine Spuren für illegale Aktivitäten. Doch diese Annahme ignoriert die Realität des Internets. Kriminelle, insbesondere im Bereich Kindesmissbrauch oder organisierter Hassgruppen, agieren längst nicht nur auf Plattformen wie Reddit, Discord oder YouTube, sondern im Darknet, auf verschlüsselten Kanälen oder mit VPNs und Fake-Identitäten.
Die breite Bevölkerung hingegen wäre betroffen. Journalist:innen, Whistleblower, Betroffene psychischer Erkrankungen, marginalisierte Gruppen. Sie alle würden durch den Verlust der Anonymität und durch das Wissen, dass jede private Nachricht gelesen werden könnte, ihre Schutzräume verlieren. Online-Kommunikation wäre nicht mehr frei, sondern überwacht. Der digitale Raum würde zum Überwachungsinstrument.
Ein weiterer blinder Fleck dieser Überwachungspläne ist die Frage, wie überhaupt festgestellt werden soll, dass jemand eine Gefahr darstellt. Werden künftig bestimmte Wörter oder Satzfragmente automatisch von einer KI herausgefiltert und an die nächste Polizeidienststelle gemeldet. Selbst wenn sie aus dem Kontext völlig harmlos sind? Die Technik ist längst nicht ausgereift genug, um Sprache, Ironie oder private Insiderwitze zuverlässig zu erkennen. Das Risiko von Fehlalarmen ist enorm und es ist naiv zu glauben, dass solche Fehler keine gravierenden Folgen hätten. Statt in halbfertige KI-Scanner zu investieren, sollten Regierungen lieber dort ansetzen, wo echte Probleme seit Jahren ungelöst bleiben: Straftäter, die trotz klarer Beweise nicht verurteilt werden. Stalker, die trotz eindeutiger Dokumentation weiter ihre Opfer terrorisieren. Wer hier untätig bleibt, während er gleichzeitig die gesamte Bevölkerung überwachen will, zeigt, dass es längst nicht mehr um Sicherheit geht, sondern um Kontrolle.
Was sagt das Netz dazu?
Auf Reddit, Mastodon und in Foren formiert sich Widerstand. Viele Nutzer:innen äußern ihre Sorgen offen. In einem Thread auf r/deutschland heißt es:
„Sobald wir alle unsere Ausweise für die Nutzung von Chatplattformen hochladen müssen, wird es ein gigantisches Datenleck geben. Hacker träumen jetzt schon davon.“ — u/DigitalGegenwart
Ein anderer Redditor bringt es noch drastischer auf den Punkt:
„Wir bauen gerade ein System, das in den falschen Händen zur digitalen Diktatur werden kann.“ — u/MetaKritiker
Diese Kritik ist mehr als Panikmache. Denn die Einführung einer Ausweispflicht bedeutet nicht nur neue Identifikationshürden, sondern auch zentrale Datenbanken voller sensibler Informationen, was ein Paradies für Hacker und eine tickende Zeitbombe für den Datenschutz ist.
Nicht nur ein technisches, sondern ein gesellschaftliches Problem
Viele warnen davor, dass sich eine solche Maßnahme negativ auf gesellschaftliche Offenheit und psychische Gesundheit auswirkt. Menschen nutzen das Internet als Ort, an dem sie anonym über Themen sprechen können, die sie im realen Leben nicht ansprechen würden: Suizidgedanken, Traumata, Sexualität, Gewalt, Diskriminierung.
„Ich habe mich in einem anonymen Forum erstmals getraut, über meine Suizidgedanken zu schreiben – ohne Anonymität hätte ich das nie getan.“ — aus r/depression
Mit der Identifikationspflicht verschwinden solche sicheren Räume. Das Risiko, erkannt oder verfolgt zu werden, sei es von Familie, Arbeitgebern oder dem Staat, sorgt für Schweigen. Es entsteht ein Klima der Selbstzensur.
Whistleblower, Aktivist:innen, Journalist:innen in Gefahr
In autoritären Staaten ist die totale Kontrolle über digitale Kommunikation längst Realität, was mit katastrophalen Folgen für Pressefreiheit und Zivilgesellschaft einhergeht. Wenn in Deutschland oder Europa ähnliche Mechanismen entstehen, verlieren Menschen, die Missstände aufdecken oder Kritik äußern wollen, jede Sicherheit.
Die Enthüllungen der Panama Papers oder von Edward Snowden wären unter einer Ausweispflicht nicht mehr möglich gewesen. Die Quelle hätte sich automatisch selbst preisgegeben und in Lebensgefahr gebracht.
Gefährliche Infrastruktur: Wer schützt unsere Daten?
Neben den gesellschaftlichen Risiken stellt sich die technische Frage: Wer hostet, schützt und kontrolliert die Identifikationssysteme? Regierung, Plattformbetreiber, Drittanbieter, überall lauern Schwachstellen. Schon heute sehen wir, wie oft selbst staatliche Systeme Ziel von Cyberangriffen werden. Bei einer zentralisierten Speicherung von Ausweisdaten entsteht ein Datenschatz, der bei einem einzigen Leak Millionen Menschen gefährden kann: durch Identitätsdiebstahl, Erpressung oder Social Engineering.
Kinderschutz oder politischer Vorwand?
Das Schutzargument „zum Wohl der Kinder“ wirkt vorgeschoben. Echte Kinderschutzarbeit braucht mehr Personal, bessere Ausbildung und internationale Strafverfolgung. Stattdessen wird ein Generalverdacht über alle Internetnutzer:innen verhängt. Wer Kritik äußert, gilt schnell als unsensibel, dabei ist die Kritik berechtigt und notwendig.
Anstatt ernsthaft bei den Plattformbetreibern anzusetzen und sie in die Pflicht zu nehmen, gefährliche Inhalte gar nicht erst zugänglich zu machen oder in Bildung, Schulen, Elternaufklärung und in digitale Medienkompetenz zu investieren, wird lieber die gesamte Bevölkerung unter Generalverdacht gestellt. Warum müssen 99 % der Menschen überwacht und gescannt werden, nur weil 1 % der Täter diese Verbrechen begeht? Eine gezielte, präventive Strategie würde Kinder tatsächlich schützen. Massenüberwachung hingegen schafft vor allem ein Klima des Misstrauens.
Plötzlich ist das Geld da
Erstaunlich, wie schnell Regierungen handeln können, wenn es um Gesetze geht, die ihnen selbst nützen oder von denen sie meinen, die Ausnahme zu sein. Plötzlich sind Gelder da, die zuvor angeblich „nicht im Haushalt vorgesehen“ waren. IT-Infrastruktur? Kein Problem, wenn sie dazu dient, Chats zu überwachen und Ausweise zu sammeln. Datenleaks? Ach, die werden schon irgendwie vertuscht oder auf mysteriöse Weise vergessen. Aber wehe, es geht um echte Reformen wie ein modernes Bildungssystem, ein faires Rentensystem, eine funktionierende Integration oder Investitionen, die tatsächlich langfristig die Gesellschaft stärken würden. Da heißt es dann, es sei zu kompliziert, zu teuer oder „der richtige Zeitpunkt“ sei leider gerade nicht gegeben. Da setzt man lieber auf den bewährten politischen Trick: Augen zu, Problem aussitzen und hoffen, dass es sich von selbst löst. Notfalls in der nächsten Legislaturperiode.
Verfassungsrechtlich fragwürdig
Die geplante Identifikationspflicht berührt grundlegende Rechte:
- Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung
- Die Meinungsfreiheit, besonders im digitalen Raum
- Das Recht auf Anonymität, insbesondere für gefährdete Gruppen
Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach betont, dass Überwachung nicht anlasslos sein darf und die Mittel stets verhältnismäßig bleiben müssen. Die breite, pauschale Ausweispflicht erfüllt diese Bedingungen kaum.
Positive Aspekte? Die gibt es – aber unter Bedingungen
Trotz aller Kritik gibt es dennoch einige potenziell sinnvolle Aspekte einer gezielten Identifikationspflicht und Chatkontrolle, wenn sie klug, begrenzt und sicher umgesetzt würde:
- Bekämpfung von Online-Kriminalität: Weniger Fake-Profile, Scams, Erpressung
- Effizientere Strafverfolgung: Bei echten Delikten kann schneller gehandelt werden
- Kinderschutz: Altersverifikation bei bestimmten Inhalten könnte Missbrauch erschweren
- Verantwortung in Debatten: Weniger Hetze, Fake News, Trolle
- Sicherheit im Onlinehandel: Mehr Vertrauen durch echte Profile
Aber: All das funktioniert nur, wenn der Datenschutz extrem hoch ist, Plattformen verantwortlich handeln, und nicht alle Daten zentral gespeichert werden. Die Risiken überwiegen bislang deutlich.
Und jetzt mal ehrlich: Wer kontrolliert hier eigentlich wen?
Während Bürger:innen demnächst ihre Ausweise hochladen sollen, um einen Sub auf Reddit zu öffnen, einen Kommentar zu posten oder ein Meme auf Discord zu teilen und unsere privaten Chats gelesen werden, bleiben unsere lieben Politiker selbstverständlich von all dem unberührt. Ihre Chatverläufe verschwinden mysteriös, ihre Treffen mit Lobbyisten finden im Halbschatten statt, und ihre SMS scheinen sich regelmäßig selbst zu löschen. Vielleicht ein exklusives Feature für Regierungsgeräte. Kontrolle für das Volk, Diskretion für die Macht. Denn Transparenz ist schließlich wichtig aber bitte nur nach unten.
Und wenn wir schon dabei sind … Wann werden eigentlich die Chatverläufe von Ursula von der Leyen veröffentlicht? Sollte sie hier nicht mit Beispiel vorangehen? Während Millionen Menschen sich bald mit Personalausweis im Netz identifizieren müssen (natürlich nur zum Wohl der Kinder) bleibt eine von vielen Fragen unbeantwortet: Wo sind die berüchtigten Nachrichten der EU-Kommissionspräsidentin an Pfizer-Chef Albert Bourla? Die berühmten SMS zum Milliardenimpfstoffdeal, die angeblich einfach so „nicht mehr auffindbar“ sind. Vielleicht brauchen wir keine neue Internetüberwachung, sondern erstmal eine funktionierende Rückgängig-Taste für gelöschte Politiker-Chats.
Zwei Klassen, ein Gesetz?
Bei all den Plänen zur Totalüberwachung fragt man sich zwangsläufig: Gilt das eigentlich auch für Politiker:innen oder nur fürs gemeine Volk? Wird der Bundestag bald mit Überwachungssoftware durchleuchtet? Werden Minister:innen ihre privaten Chatverläufe dem Staat melden müssen? Oder erleben wir einmal mehr, wie Gesetze gemacht werden, um von oben nach unten zu wirken und nicht umgekehrt?
Denn während Bürger:innen künftig bei einem satirischen Kommentar, einem kontroversen Meme oder einem kritischen Forenbeitrag mit realen Konsequenzen rechnen müssen, von Sperrung über Polizeibesuch bis hin zur Anzeige, bleibt fraglich, ob Regierungsmitglieder, Lobbyist:innen oder Großkonzerne gleichermaßen überwacht, erfasst oder sanktioniert werden.
Spoiler: Eher nicht.
Die Überwachung trifft in der Praxis vor allem jene, die keine eigene PR-Abteilung und keine Verfassungsrichter auf Kurzwahl haben. Was dabei entsteht, ist kein „Schutzraum für Kinder“, sondern ein Klima der Angst, Selbstzensur und rechtlichen Willkür. Für alle außer die, die das System gestalten.
Autoritäre Staaten als Vorbild?
Lange war der Überwachungsstaat das Symbol für autoritäre Regime, gegen das sich Demokratien lautstark stellten. China, Russland, Iran: Länder, die für Massenüberwachung, Internetzensur und Klarnamenzwang bekannt sind.
- In China kontrolliert der Staat die Kommunikation lückenlos, inklusive Social-Credit-System.
- Russland speichert Kommunikationsdaten und verfolgt regimekritische Inhalte.
- Der Iran zwingt Nutzer:innen zur Identifikation, Plattformen sind gesperrt oder zensiert.
Europa kritisierte diese Praktiken jahrelang als undemokratisch. Und heute?
Die EU will’s jetzt auch. Offiziell heißt es, man wolle Kinder vor Missbrauch schützen, Hassrede verhindern oder Desinformation bekämpfen. In der Praxis aber steht eine flächendeckende Kontrolle digitaler Kommunikation zur Debatte: Chatkontrolle, Uploadfilter, Ausweispflicht. Unsere Regierungsmitglieder wollen bei der Kontrolle aber bei sich eine Ausnahme machen. Und wieder gilt es nur für die Bürger. Nicht für die „higher-ups“.
Bürgerrechtsorganisationen warnen, dass was hier entsteht, ist kein sicherer Raum, sondern ein Kontrollinstrument. Und wer sich fragt, ob das überhaupt funktioniert, sollte einen Blick nach Großbritannien werfen.
Dort ist bereits eine Alters- und Identitätsprüfung für bestimmte Online-Inhalte Pflicht. Nutzer:innen müssen Selfies und Ausweisdokumente hochladen, auf Plattformen, deren Datenschutzpraxis mehr als fraglich ist.
Die Folge? Digitale Maskerade. Viele überlagern ihre Gesichter mit Videospielfiguren wie Mario oder Shrek, um ihre Identität zu verschleiern und ihre Daten zu schützen. Ein stiller Protest, der gleichzeitig zeigt, wie wenig Vertrauen in staatlich legitimierte Überwachung noch existiert.
Das Kuriose ist: Es funktioniert (noch). Und es macht deutlich, wie absurd und gleichzeitig beunruhigend diese Entwicklung ist.
Willkommen im Scanzeitalter
Laut einem durchgesickerten Memo drängt das EU-Parlament auf eine Einigung beim umstrittenen Vorschlag zur Chatkontrolle (CSAM-Scanning). Wie die Digitalrechtsorganisation Netzpolitik berichtet, drohte das Parlament in einer Sitzung am 11. Juli, die Verlängerung der derzeitigen Übergangsregelung für freiwilliges Scannen zu blockieren, eine temporäre Regelung, die es Messaging-Diensten erlaubt, auf Wunsch die Chats ihrer Nutzer zu durchsuchen, falls der Rat nicht einer verpflichtenden Scanpflicht zustimmt. „Diese politische Erpressung zwingt zu einer schlechten Entscheidung und widerspricht der eigenen erklärten Position des Parlaments gegen Massenüberwachung“, sagte der ehemalige Europaabgeordnete der Piratenpartei, Patrick Breyer, gegenüber TechRadar. Dänemark hat das umstrittene Gesetz gleich am ersten Tag seiner EU-Ratspräsidentschaft erneut eingebracht. Neue Verpflichtungen für alle Messenger in Europa, Chats zu scannen, könnten damit schon im Oktober beschlossen werden.
Fazit: Freiheit in Gefahr
Die EU bewegt sich in eine Richtung, die sie einst selbst scharf kritisiert hat. Sie riskiert die offene Gesellschaft, die sie zu schützen vorgibt. Und sie tut das nicht trotz, sondern unter dem Deckmantel der Sicherheit.
Dabei braucht es keine neuen Überwachungsgesetze. Es braucht Vertrauen, Datenschutz, und echte politische Transparenz. Jene die die Regeln machen, sollen nicht zur Ausnahme werden.
Was du tun kannst:
- Aufklären & informieren: Teile Artikel, Videos und Kommentare zu dem Thema
- Druck machen: Wende dich an Abgeordnete und fordere klare Positionen
- Datenschutzfreundliche Alternativen nutzen: Signal statt WhatsApp, Mastodon statt X
- Petitionen unterzeichnen: B. bei Campact oder Change.org
- Organisationen unterstützen: B. Digitalcourage, EDRi oder Chaos Computer Club
Sarkastische Anmerkung vom Autor:
Es ist beruhigend zu wissen, dass mein Chat über Katzenbilder jetzt sicherer ist, während Korruptionsdeals weiterhin offline stattfinden. Ich verstehe auch, dass wir alle überwacht werden müssen, es könnte ja jemand spontan Demokratie ausprobieren.
https://www.patrick-breyer.de/en/posts/chat-control/#WhatYouCanDo
https://netzpolitik.org/2025/internes-protokoll-eu-juristen-kritisieren-daenischen-vorschlag-zur-chatkontrolle/
https://www.it-boltwise.de/eu-plant-umfassende-ueberwachung-privater-nachrichten.html
https://european-pirateparty.eu/chatcontrol-eu-ministers-want-to-exempt-themselves/









