Je nach Leseart handelt es sich beim Kosovo um den jüngsten Staat Europas oder eine abtrünnige Provinz Serbiens. In den letzten Jahren kam es immer wieder zu Spannungen rund um das Gebiet. Mal streiten die beiden Regierungen in den Hauptstädten Belgrad und Priština um die Anerkennung serbischer Autokennzeichen im Kosovo, mal um kosovarische Zusatzdokumente in serbischen Reisepässen. Besonders heikel ist der Konflikt im mehrheitlich von Serben besiedelten Nordzipfel des Kosovo. Wiederholt marschierte Serbien mit Truppen an der Grenze zum Kosovo auf. Doch worum geht es eigentlich?

Historischer Überblick

Im Jahr 1912 eroberte Serbien den Kosovo von den Osmanen. Für die Serben handelte es sich dabei um die Wiedergewinnung heiligen Bodens. Allerdings lebten im Kosovo schon damals mehrheitlich ethnische Albaner. Um dies zu ändern und das Gebiet zu „serbisieren“ unternahm das serbisch dominierte erste Jugoslawien nach dem Ersten Weltkrieg den Versuch, die Albaner zu assimilieren oder zu vertreiben. Zugleich wurden rund 15.000 serbische Familien als Kolonisten im Kosovo angesiedelt. Trotz dieser Maßnahmen blieb die albanische Bevölkerungsmehrheit ungebrochen. Nach dem Zweiten Weltkrieg fiel der Kosovo an das zweite Jugoslawien Titos. Es war konzipiert als sozialistische Föderation südslawischer Völker und bestand aus sechs Teilrepubliken. Eine von ihnen war Serbien, dem der Kosovo als „autonomes Gebiet“ zugeschlagen wurde. Die Autonomie bestand größtenteils nur auf dem Papier, denn die jugoslawische Geheimpolizei unterdrückte die Kosovo-Albaner weiterhin. Bis Mitte der 1960er Jahre wanderten fast 240.000 von ihnen in die Türkei aus, ohne dass sich dadurch etwas an den ethnischen Mehrheitsverhältnissen im Kosovo etwas änderte.

Ab 1966 wurde Jugoslawien dezentralisiert, was auch Folgen für den Kosovo hatte. Bereits 1963 war das Gebiet zu einer „Autonomen Provinz“ der serbischen Teilrepublik erhoben worden und verfügte nun über ein eigenes Provinzparlament. Erstmals seit 1912 gelangten Albaner in Staats-, Partei- und Verwaltungsämter. Einen weiteren Schub brachte das Jahr 1974, als die Provinz Kosovo zu einem „konstitutiven Teil“ Jugoslawiens gemacht wurde. Das Gebiet erhielt damit quasi dieselben Befugnisse wie die Teilrepubliken. Was fehlte war das Recht auf Sezession. Zudem blieb der Kosovo juristisch weiterhin Teil Serbiens. Die Albaner waren damit unzufrieden und forderten für den Kosovo den Status einer jugoslawischen Teilrepublik. 1981 kam es zu einer albanischen Revolte, die von Jugoslawien unterdrückt wurde.

Die schrittweise erfolgte politische Aufwertung des Kosovo und seine faktische Herauslösung aus Serbien forderte die Serben heraus. Sie fürchteten, ihr nationales Heiligtum zu verlieren. Diese Furcht führte zu einem neuen Hass auf die Albaner, aber auch auf das sozialistische Jugoslawien und begünstigte den Aufstieg von Slobodan Milošević zum Präsidenten Serbiens. Er versprach den über mehrere jugoslawische Teilrepubliken verstreut lebenden Serben einen Groß-Serbien genannten serbischen Nationalstaat. Zu diesem sollte der Kosovo gehören. Anfang 1989 setzte Milošević die Aufhebung der kosovarischen Autonomie durch und unterwarf den Kosovo einem rigiden Regiment. Die Albaner zogen sich, nachdem ihre Proteste unterdrückt worden waren, in den gewaltlosen Widerstand zurück. Sie errichteten im Kosovo einen Parallelstaat, der über eigene Steuern, ein Gesundheitswesen und Bildungsinstitutionen verfügte und von Serbien geduldet wurde. Politische Führungsfigur der Kosovo-Albaner war der Literat Ibrahim Rugova, der Belgrad zu Verhandlungen über die Unabhängigkeit des Kosovo bewegen wollte. Milošević lehnte solche Gespräche im Hinblick auf die Bedeutung des Kosovo für die Serben aber ab. Auch die internationale Gemeinschaft weigerte sich, zugunsten der Kosovo-Albaner zu intervenieren.

Ab 1997 trat die „Befreiungsarmee des Kosovo“ (UÇK) auf, die einen bewaffneten Aufstand in Form eines Guerillakrieges gegen Serbien initiierte. Zwischenzeitlich kontrollierte die UÇK ein großes zusammenhängendes Gebiet im zentralen Kosovo, verlor es aber wieder infolge einer serbischen Gegenoffensive. Nun entschloss sich der Westen zum Eingreifen. Unter Androhung von Gewalt zwang er Slobodan Milošević im Oktober 1998 zum teilweisen Rückzug seiner Sicherheitskräfte aus dem Kosovo. Ein dauerhafter Waffenstillstand blieb aber aus, weil die UÇK die verlassenen serbischen Stellungen besetzte und Serbien darauf mit einer neuen Offensive gegen die „Befreiungsarmee“ reagierte. Der Westen legt nun einen Friedensplan vor: Im Kosovo sollte eine 30.000 Mann starke NATO-Friedenstruppe stationiert werden. Zudem sollte das Gebiet innerhalb der von Serbien und Montenegro seit 1992 gebildeten Bundesrepublik Jugoslawien (BRJ) eine weitreichende Autonomie erhalten. Die Krux dabei: Nach drei Jahren sollte der Kosovo per Referendum unabhängig werden können. Serbien lehnte all dies ab. Zwischen März und Juni 1999 erfolgte der NATO-Angriff auf die BRJ. Belgrad antwortete mit dem Versuch, die Albaner gewaltsam aus dem Kosovo zu vertreiben. Schließlich musste die serbische Führung aber einlenken und zog ihre Truppen aus dem Gebiet zurück.

Der Kosovo wurde nun einer UN-Verwaltung (UNMIK) unterstellt. Albanische Hoffnungen auf eine schnelle Unabhängigkeit erfüllten sich jedoch nicht, da der Westen sich ihr nun verweigerte. Die westlichen Staaten fürchteten eine Destabilisierung des gesamten Westbalkan, sollten dort Grenzen verändert werden. Auch wirtschaftlich verbesserte sich unter der UNMIK nicht viel zum besseren, so dass es im März 2004 zu einer erneuten albanischen Revolte kam. Auch internationale Institutionen wurden zum Ziel der Übergriffe. Daraufhin legte der UN-Sicherheitsrat fest, dass 2006 Verhandlungen zwischen dem Kosovo und Serbien anberaumt werden sollten. Während die Kosovo-Albaner weiterhin die Unabhängigkeit forderten, wollte Serbien nur eine nicht näher definierte „weitreichende Autonomie“ gewähren. Es kam zu keiner Annäherung beider Seiten und die Verhandlungen scheiterten. Im Februar 2008 rief der Kosovo seine Unabhängigkeit von Serbien aus (die BRJ hatte sich bereits 2006 nach der Sezession Montenegros aufgelöst). Dieser Schritt wurde von den meisten westlichen Ländern unterstützt. Serbien reagierte, indem es beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag (dem IGH) ein Gutachten in Auftrag gab. Es sollte geklärt werden, ob die kosovarische Unabhängigkeitserklärung gegen das Völkerrecht verstieß. 2010 kam der IGH zum Schluss, dass dies nicht der Fall sei. Eine Entscheidung, ob der Kosovo damit ein souveräner Staat geworden sei, war damit aber nicht gefallen. So ließ das IGH- Gutachten weiter Raum für politische Interpretationen und juristische Deutungen. Oder mit anderen Worten: Der Kosovo-Konflikt war weiterhin nicht gelöst.

Widerstreitende Besitzansprüche

Beim Kosovo-Konflikt handelt es sich um einen Streit zweier Nationen um dasselbe Stück Land. Die Besitzansprüche sind unterschiedlich gelagert. Die Albaner machen geltend, dass sie den Kosovo mehrheitlich besiedeln und deshalb über seine Zukunft entschieden dürften. Zudem seine sie die Ureinwohner des Gebiets, da sie von den antiken Illyrern abstammen würden. Dies hätten den Kosovo schon vor der slawischen Landnahme im 7. Jahrhundert besiedelt. Die Serben halten dagegen, dass die Albaner erst seit dem Ende des 17. Jahrhunderts die Bevölkerungsmehrheit im Kosovo gestellt hätten. Zuvor seien die Serben in dem Gebiet in der Mehrheit gewesen, so dass der serbische Anspruch auf den Kosovo zu gelten habe. Auch sei der Kosovo das nationale Heiligtum der Serben, denn hier habe sich 1389 die Schlacht auf dem Amselfeld ereignet, die zum Untergang des mittelalterlichen Serbien geführt habe. Zudem sei der Kosovo völkerrechtlich Teil Serbiens.

Die Schlacht auf dem Amselfeld von 1389 ist der wichtigste Aspekt der serbischen nationalen Identität. Deren volkstümliche Überlieferung rückte die Schlacht ins Zentrum und stilisierte sie zum Untergang des mittelalterlichen Serbien und der Beginn des jahrhundertlangen osmanischen Jochs. Historisch korrekt ist diese Überlieferung aber nicht, denn das mittelalterliche Serbien geriet erst Mitte des 15. Jahrhunderts unter osmanische Herrschaft. Dies tat dem Glauben an dem Mythos aber keinen Abbruch und nachdem Serbien seit Anfang des 19. Jahrhunderts schrittweise seine Unabhängigkeit wiedergewann, wollte es den Kosovo, wo das Amselfeld liegt, zurückerobern. Dies geschah schließlich 1912.

Der Kosovo spielt auch im nationalen Verständnis der Albaner eine große Rolle, denn hier habe sich 1878 die „Liga von Prizren“ gebildet, die erstmals einen albanischen Nationalstaat angestrebt habe. Auch diese Überlieferung ist nicht korrekt, denn bei der „Liga“ handelte es sich um einen Zusammenschluss muslimischer Notabeln sowohl albanischer als auch slawischer Herkunft, die die osmanische Herrschaft bewahren wollten. Auch scheint sich ein albanisches Nationalgefühl im Kosovo erst unter der serbischen Repression herausgebildet zu haben. Zuvor definierten sich die ethnischen Albaner vor allem über den Islam.

Nationalideologien füllen das ideologische Vakuum

Die serbische wie die albanische Seite weisen ein primordiales Verständnis von Völkern und Identitäten auf. Demnach haben sich beide über die Jahrhunderte unverändert erhalten. Dies ist historisch aber nicht haltbar, denn Fluchtbewegungen, Glaubensübertritte und Symbiosen haben die Zusammensetzung der Ethnien im Laufe der Zeit verändert. Sie sind vieles, aber nicht homogen. Dennoch ist die vereinfachende im 19. Jahrhundert entstandene nationalistische Deutung der Vergangenheit bis heute dominant. Zugleich lässt es keinen Raum für Zweifel und Verständnis für andere Interpretationen als das eigene Bild. Die Geschichte wird sowohl von Serben als auch Albanern in eigenem Sinne umgedeutet, um den alleinigen Rechtsanspruch auf den Kosovo durchzusetzen. Dies führt zu Mythen, die wiederum Hass und Gewalt in Gang setzen.

Um die historische Wahrheit scheint es also weniger zu gehen als um national definierte Besitzansprüche. Die Zuneigung zum Nationalismus auf beiden Seiten lässt sich mit einem ideologischen Vakuum erklären, das nach dem Scheitern des Kommunismus entstanden ist. Albaner und Serben suchen nach Orientierungspunkten und ziehen dafür alt Bekanntes heran, nämlich die jeweilige Tradition. Diese vorsozialistische Vergangenheit wird idealisiert und es wird angestrebt, sie wiederherzustellen. Liberale Ideen haben es demgegenüber schwer. So kommt es, dass die Schaffung der nationalen Einheit bzw. der Unabhängigkeit vor der Umsetzung demokratischer Verhältnisse kommt. So konnte der Nationalismus auf dem Westbalkan in den 1990er Jahren eine Renaissance erfahren. Das Problem ist nun, dass dort keine sogenannte „De-Chauvinisierungsprozess“ stattgefunden hat, die mit der Entnazifizierung Deutschlands nach 1945 vergleichbar gewesen wäre. So ist etwa in Serbien Aleksandar Vučić an der Macht, der seine politische Karriere während der Jugoslawien-Kriege als einer der schärfsten Nationalisten begonnen hatte. Aber auch im Kosovo sind die Seilschaften der ehemaligen UÇK immer noch politisch und wirtschaftlich mächtig. Während es in anderen Teilen des ehemaligen Jugoslawiens wenigstens verbal zu einer Annäherung der ehemaligen Kriegsgegner gekommen ist, ist die im Kosovo weitgehend unterblieben. So äußerte keine von beiden Seiten ihr Bedauern über Kriegsverbrechen der eigenen Seite. Damit bleiben Serbien und der Kosovo mit einer unverarbeiteten Vergangenheit konfrontiert. Zu beachten ist, dass die nationale Ideologie und die alltägliche Erfahrung nicht übereinstimmen. Denn die Bürger sowohl des Kosovo als auch Serbiens müssen ohne nennenswerte Unterstützung ihrer Regierungen wirtschaftlich über die Runden kommen. Die nationalistische Rhetorik auf beiden Seiten dient demnach dazu, die Schuld an den sozialen Problemen der jeweils anderen Seite zuzuschieben und damit den alten Eliten das politische Überleben zu ermöglichen.

Die nationalen Ideologien zeichnen sich dadurch aus, dass sie auf keine Gebiete verzichten wollen. So wollte etwa in der 1990er Jahren der serbische Nationalismus alle von Serben besiedelten Gebiete Jugoslawiens innerhalb Groß-Serbiens vereinigen. Damit wurden die Grenzen der Teilrepubliken Kroatiens und Bosnien-Herzegowinas durch das „ethnische Prinzip“ in Frage gestellt, ohne aber dass den Kosovo-Albanern das Recht auf Sezession von der Teilrepublik Serbien gewährt wurde. Ähnliches findet sich auf der albanischen Seite: Während der Kosovo sich von Serbien lösen darf, wird dem kompakt besiedelten Nordzipfel des Gebiets das Sezessionsrecht verwehrt. Eine weitere Gemeinsamkeit beider Seiten besteht darin, dass sie das erlittene Unrecht ausgiebig behandeln, der anderen Seite zugefügtes Leid aber verschweigen oder relativieren. Gewalttaten der eigenen Seite seien demnach nur Reaktionen auf solche der Gegenseite gewesen. Zuerst einen Fehler gemacht zu haben ist sowohl für Serben als auch Albaner undenkbar. Allerdings sei angemerkt, dass, was Prinzipien angeht, auch der Westen im ehemaligen Jugoslawien keine gute Figur machte. Tatsächlich war das westliche Verhalten von einem Zick-Zack-Kurs geprägt. Während man etwa am multiethnischen Bosnien-Herzegowina festhielt, ließ man den größeren Vielvölkerstaat Jugoslawien zerfallen. Während der Westen an den überkommenen Staatsgrenzen Kroatiens und Bosnien-Herzegowinas festhielt, wurden diejenigen Serbiens geändert. Und während die NATO den von Vertreibung bedrohten Kosovo-Albanern 1999 beistand, ließen die westlichen Staaten 1995 die Vertreibung der Krajina-Serben aus Kroatien tatenlos geschehen.

Mögliche Lösungen

Wie lässt sich die verzwickte Situation im Kosovo entwirren? Klar ist, dass die Kosovo-Albaner nicht in den staatlichen Bestand Serbiens zurückkehren möchten. Umgekehrt könnte der endgültige Verlust des Kosovo in Serbien jene Kräfte stärken, die das Land in eine antiwestliche Richtung lenken möchten. Daran kann der Westen kein Interesse haben, da Serbien zentral in Südosteuropa gelegen und damit geopolitisch von hoher Bedeutung ist. Parallel dazu verteidigen die westlichen Staaten aber auch die Unabhängigkeit des Kosovo. Den Ausweg für den Westen könnte eine Art Grundlagenvertrag weisen. Demnach müsste Belgrad den Kosovo nicht als souveränen Staat anerkennen, aber akzeptieren, dass er auf internationalem Parkett wie ein ebensolcher agiert. Der Kosovo müsste im Gegenzug seinem Nordzipfel Autonomie verleihen und das serbische Kulturgut schützen. Alternativ kann auch ein Gebietstausch vorgenommen werden: Der kosovarische Nordzipfel könnte Serbien, das südserbische und mehrheitlich von Albanern bewohnte Preševo-Tal dem Kosovo zugeschlagen werden. Eine faktische Anerkennung des Kosovo kann sich der serbische Präsident Vučić aber kaum leisten, denn sie liefe auf den Verlust des Gebiets hinaus und dürfte von der serbischen Öffentlichkeit mit Missmut aufgenommen werden.

Eine weitere Möglichkeit bestünde darin, die Regelung des endgültigen Status des Kosovo bei Seite zu lassen und stattdessen die serbische und albanische Seite durch die Lösung von lokalen Problemen des Alltags zusammenzubringen. In der Hoffnung, dass sich dadurch eine Entspannung ergibt und so eine spätere Statusregelung erleichtert wird. Tatsächlich haben Belgrad und Priština schon einige den Alltag betreffende Abkommen wie die gegenseitige Anerkennung von Dokumenten geschlossen. Der Strategie entgegen steht aber die Tatsache, dass die Kosovo-Serben mehrheitlich mit den Kosovo-Albanern nicht viel zu tun haben wollen. Im Nordzipfel des Kosovo ist ein an Belgrad orientierter Separatstaat entstanden, weiter südlich arbeiten die dortigen Serben zwar mit den internationalen Institutionen zusammen, hängen aber ebenfalls weiter Serbien an. Die Albaner wiederum können sich eine Normalisierung im Zusammenleben mit den Kosovo-Serben nur vorstellen, wenn sie sich ausschließlich an Priština orientieren. Diese schwierige Lage wird weiter dadurch verkompliziert, dass es seit 1999 fast keine alltäglichen und politischen Berührungspunkte mehr zwischen beiden Bevölkerungsgruppen im Kosovo gibt.

Zudem fürchtet Priština, dass mit Belgrad ausgehandelte politische Kompromisse die Souveränität des Kosovo in Frage stellen. Serbische Institutionen im Kosovo gelten dessen Regierung als Brückenköpfe für eine serbische Invasion. Dabei ist ein solcher Angriff sehr unwahrscheinlich, weil weiterhin die NATO-Friedenstruppe KFOR im Kosovo stationiert ist. Damit ist aber auch schon der wunde Punkt der kosovo-albanischen Seite angesprochen: Der Kosovo ist in hohem Maße auf die westliche Unterstützung angewiesen. Jede Annäherung zwischen der NATO und Serbien wird als Bedrohung der kosovarischen Seite wahrgenommen. Der völkerrechtlich unklare Status des Kosovo behindert auch dessen EU-Ambitionen. Priština kann der Europäischen Union nicht beitreten, weil der Kosovo von fünf Staaten der EU gar nicht als eigener Staat anerkannt wird. Dennoch versucht der seit 2021 amtierende kosovarische Ministerpräsident Albin Kurti die Unabhängigkeit des Kosovo unumkehrbar zu machen. Dies hat zu Spannungen mit Serbien geführt, insbesondere im Nordzipfel, wo Kurti Belgrads Einfluss brechen möchte.

Aufgrund der verhärteten Positionen zwischen dem Kosovo und Serbien scheint eine schnelle Lösung des Kosovo-Konfliktes nicht in Sicht. Auf längere Sicht hingegen könnte eine Verhandlungslösung Erfolg haben. Wichtig dafür wäre aber eine Demokratisierung auf dem Westbalkan, die den Nationalismus zurückdrängen und ein objektiveres Weltbild stärken könnte. Der Bedeutungsverlust von gegenseitigen Vorurteilen könnte Gespräche auf lokaler Ebene ermöglichen, die dann längerfristig zu einer Regelung des Status des Kosovo gegenüber Serbien führen können. Eine Möglichkeit wäre hier, den Kosovo symbolisch bei Serbien zu belassen, während er in der internationalen Politik wie ein weitgehend selbstständiger Akteur auftritt. Wichtig dafür wäre allerdings, dass die EU im Kosovo-Konflikt als „ehrlicher Makler“ auftritt, um eine Einigung zu ermöglichen. Deren bisherige Forderungen nach einer „Normalisierung“ der Beziehungen zwischen Serbien und dem Kosovo laufen im Grunde auf einer Kapitulation Serbiens hinaus. Umgekehrt kann aber auch die serbische Gesellschaft kein Interesse daran haben, in den Kosovo einzumarschieren, selbst wenn dies von der NATO geduldet würde. Denn in diesem Fall wäre mit einem langen Guerillakrieg im Kosovo zu rechnen. Dem serbischen Sicherheitsapparat würde dann eine wichtige Rolle in der Politik Serbiens zufallen, was dessen Demokratisierung verhindern könnte. Für den Kosovo wiederum könnte eine Verhandlungslösung mit Serbien das über ihn hängende Damoklesschwert beseitigen. Schließlich bleibt festzuhalten, dass eine regionale Kooperation im ehemaligen Jugoslawien samt Albanien wichtig zu sein scheint. Denn solange die unterschiedlichen Völker sich befehden, blicken sie auf die „großen Brüder“ USA, Russland und EU. Damit wird der Westbalkan aber zum Spielball auswärtiger Interessen, was ohne Frage seine politische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung hemmen wird. Besser scheint es zu sein, dass die Staaten des Westbalkan eine wie auch immer geartete Union bilden, um die Kleinstaaterei und die ethnische Zersplitterung zu überwinden. Diese Union könnte schließlich in der Europäischen Union aufgehen. Eine Lösung für den Kosovo-Konflikt bestünde also im regionalen wie auch im europäischen.