Letzte Woche haben sich die 18-jährige Ayana Gerstmann und Yuval Pelleg geweigert, sich zum israelischen Militärdienst zu melden. Gerstmann wurde zu 30 Tagen Militärgefängnis verurteilt, Pelleg zu 20 Tagen.

Vor dem Eingang des Rekrutierungsbüros von Tel HaShomer veranstaltete das Mesarvot-Netzwerk eine Demonstration zur Unterstützung der beiden jungen Verweigerer, an der Dutzende ehemaliger Verweigerer, Familienmitglieder sowie Offer Cassif, ein Mitglied der Knesset, teilnahmen.

Ayana Gerstmanns Stellungnahme zu dieser Verweigerung

Mein Name ist Ayana Gerstmann, ich bin 18 Jahre alt, und das israelische Gesetz schreibt vor, dass ich mich zum Dienst verpflichten muss. Ich habe mich entschieden, mich einer solchen Verpflichtung zu verweigern, da meine Moral mich dazu verpflichtet und ich mich dafür entschieden habe, entsprechend zu handeln.

Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der oft über das moralische Versagen im Militärdienst gesprochen wurde. Und doch verstand ich in jungen Jahren nicht ganz, worin dieses moralische Versagen des Kriegsdienstes, von dem meine Mutter oft sprach, eigentlich bestand. Ich hatte keine Ahnung, was um mich herum geschah – was hatte es auf sich, mit den Gebieten und mit der Besatzung. Ich erinnere mich, dass ich in der 4. Klasse an der Feier zum Tag von Jerusalem meiner Schule teilnahm – ich tanzte, sang und rezitierte nationalistische Texte, ohne mir auch nur vorzustellen, dass es ein Problem damit gibt, freudig das zu feiern, was uns als „Vereinigung von Jerusalem – der ewigen Hauptstadt“ präsentiert wurde.

Ein Jahr später, in der 5. Klasse, wurde meine politische Ignoranz erschüttert. In den Tagen vor dem Jerusalem-Tag erhielten wir die Aufgabe, zu wichtigen Stätten Jerusalem zu recherchieren. Heute ist mir klar, dass das Ziel dieser Aufgabe darin bestand, meine nationalistischen Überzeugungen zu stärken, aber das Gegenteil trat ein. Ich las über Ost-Jerusalem und wurde zum ersten Mal so mit dem Thema konfrontiert, wie es auf der B’Tselem-Website dargestellt wurde. Plötzlich wurden mir die Augen geöffnet für das, was sich hinter diesen Feierlichkeiten des nationalen Stolzes verbirgt, an denen ich ein Jahr zuvor teilgenommen hatte – Besatzung und Unterdrückung. Plötzlich, und umgehend, wurde mir das tiefe Leid von Millionen von Menschen bewusst, von denen ich vorher nicht einmal gewusst hatte, dass sie existieren, deren Freiheit Tag für Tag, Stunde für Stunde vom Besatzungsregime zermalmt wird.

Von diesem Moment an wuchs die Erkenntnis, dass ich absolut kein stützender Bestandteil von dem militärischen System sein kann, das das Besatzungsregime durchsetzt und dessen Politik darin besteht, das Leben der Palästinenser miserabel zu machen. Ich werde nicht Teil eines Systems sein, das routinemäßig Gemeinschaften vertreibt, Unschuldige tötet und Siedlern erlaubt, deren Land dann zu übernehmen.

Nach dem 7. Oktober hatte diese Erkenntnis durch das Vorgehen der Armee in Gaza ihren stärksten Punkt erreicht. Seit Beginn des Krieges sind Zehntausende von Frauen und Kindern getötet worden, sind Hunderttausende aus ihren Häusern vertrieben worden, jetzt in Flüchtlingslagern lebend, ihrer Würde beraubt und hungernd. Diese humanitäre Katastrophe ist das Ergebnis des Vorgehens der Armee, das Ergebnis des Krieges, der seit fast zwei Jahren andauert und seine Ziele schon vor langer Zeit verloren hat. Seit zwei Jahren sehe ich Blutvergießen als Folge eines aussichtslosen Rachefeldzuges. Ich sehe Zehntausende von Kindern in Gaza, die in endloser Verzweiflung geboren und aufgezogen werden, in Tod und Zerstörung hineingeboren, was einen nicht enden wollenden Kreislauf von Hass, Rache und Mord erzeugt. Ich sehe, wie Hunderte von Jugendlichen in meinem Alter getötet werden, ausgesandt vom Staat, um diesen Kreislauf zu verewigen. Ich sehe einen Krieg, der das Leben der Geiseln gefährdet. Und ich kann angesichts dieser Dinge nicht schweigen.

Ich kann nicht schweigen in einer Gesellschaft, in der das Schweigen die Oberhand gewinnt. Ich habe nicht das Privileg zu schweigen, wenn ich weiß, dass alle um mich herum schon lange schweigen. Die israelische Gesellschaft sieht die Besatzung seit sechs Jahrzehnten und verschließt die Augen. Die israelische Gesellschaft hat gesehen, wie Kinder aus dem Gazastreifen bei Bombenangriffen getötet wurden, und schließt die Augen. Die israelische Gesellschaft sieht, wie die Armee die schlimmsten moralischen Gräueltaten begeht, und beschließt, zu schweigen. Die israelische Gesellschaft ist nicht bereit, die Gräueltaten anzuerkennen, die ihre Armee an Unschuldigen begeht, weil die Menschen wissen, dass sie, wenn sie es einmal tun, nicht mehr in der Lage sein werden, mit dieser Schuld umzugehen. Und anstatt sich auf ihre Moral zu berufen und sich den Gräueltaten zu widersetzen, verschweigt die israelische Gesellschaft jeden Hinweis auf ihre eigene Unmoral, rechtfertigt alles, was nicht verschwiegen werden kann, und bezeichnet jede Opposition gegen den Krieg als böse, aus Angst, dass sie sich selbst als genau das bezeichnen wird, wenn sie es wagt, der Wahrheit ins Auge zu sehen.

Während des Krieges höre ich unzählige Male den Satz „Es gibt keine Unschuldigen in Gaza“ und bin empört. Ich höre, dass diese Aussage immer mehr zu einer Selbstverständlichkeit wird. Ich sehe Menschen, die von ganzem Herzen glauben, dass selbst das jüngste Kind in Gaza nicht unschuldig ist und es daher keine Gnade verdient. Dazu will ich sagen: Ein Kind ist immer unschuldig! Denn es ist für mich offensichtlich, dass auch ich als Kind unschuldig war, als ich an den Feierlichkeiten zum Tag von Jerusalem teilnahm. Ich konnte mich nicht dagegen entscheiden, als mir aufgetragen wurde, die nationalistischen Texte zu lesen, und dabei das Leiden der Palästinenser, dessen ich mir nicht bewusst war, völlig zu ignorieren. Ein unwissendes Kind kann keine eigenen Entscheidungen treffen und ist daher unschuldig.

Aber jetzt, da ich gereift bin, ist meine Unschuld nicht frei von Bedingungen. Deshalb weiß ich, dass ich, wenn ich mich entscheide, jetzt zu schweigen, da ich mir des Leids bewusst bin, das die Armee Millionen von Menschen zugefügt hat, an dem Verbrechen mitschuldig sein werde. Heute weiß ich, dass ich angesichts des Leidens nicht schweigen kann. Ich kann nicht schweigen angesichts von Mord und Zerstörung. Und heute weiß ich, dass die Einberufung in die Armee schlimmer ist als Schweigen: Es ist die Zusammenarbeit mit einem System, das Millionen von Menschen schadet. Deshalb weigere ich mich, und zwar laut. Ich werde nicht kooperieren, und ich werde nicht Teil dieses Schweigens sein, welches es zulässt, dass die schlimmsten Gräueltaten auch in meinem Namen begangen werden.

Als Bürger des Landes sage ich ganz klar: die Zerstörung von Gaza – nicht in meinem Namen! Die Besatzung – nicht in meinem Namen! Ich weigere mich zu schweigen, in der Hoffnung, dass meine Stimme den anderen in der Gesellschaft die Augen öffnet und sie darauf aufmerksam macht, was in ihrem Namen getan wird, bis sie nicht mehr schweigen.

Yuval Pellegs Ablehnungserklärung

Mein Name ist Yuval Pelleg und heute weigere ich mich, mich zum Dienst zu melden.

Wie wir alle erinnere ich mich noch gut an die Gräueltaten des 7. Oktober und den Beginn des Vernichtungskrieges. Ich erinnere mich auch an die Worte von Tal Mitnick, der sich kurze Zeit nach diesem Tag weigerte, den Dienst anzutreten, und sagte, der Krieg werde keinen Fortschritt bringen, nur Tod und Zerstörung. 22 Monate sind vergangen und seine Behauptungen haben sich als wahr erwiesen.

Die offiziellen Ziele des Krieges – die Auflösung der Hamas-Herrschaft und die Rückgabe der Geiseln – wurden nicht erreicht. Hinter den Behauptungen „wir werden Sicherheit bringen“ und einen „totalen Sieg“ erringen verbirgt sich jedoch eine unheilvolle Wahrheit: Das eigentliche Ziel, das den Krieg antreibt, und in keinem offiziellen Memo auftaucht, war und ist Rache. Rache, die den Mord an vielen Zehntausenden von Bewohnern des Gazastreifens verursacht hat, darunter auch Kinder, die am 7. Oktober noch nicht einmal geboren waren, sowie die totale Zerstörung des Gazastreifens und das Zunichtemachen aller Hoffnung.

Als ich Zeuge der Verbrechen werde, die die israelische Armee am palästinensischen Volk in Gaza und im Westjordanland begangen hat, wird eine unselige Tatsache offengelegt in Bezug auf den Eintritt in eine Armee, die behauptet, mich als Juden zu schützen: Es ist eine Handlung, die mit den Grundprinzipien des Lebens und der Gleichheit aller Menschen unvereinbar ist, sondern vielmehr ist es der Beitritt zu einem System, dessen Wesen in Unterdrückung, Besetzung und Zerstörung besteht.

In der Vergangenheit hatte ich gehofft, durch meinen Militärdienst einen sinnvollen und wichtigen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten. Ich habe Informatik studiert und hoffte, beim Geheimdienst zu dienen, in der Armee zu lernen und mich weiterzuentwickeln und danach einen guten Job in der High-Tech-Branche zu bekommen. Leider wurde jede rote Linie, die ich mir hätte vorstellen können (und viele weitere, die mir nie in den Sinn gekommen sind), überschritten. Es gibt keine Entschuldigung oder Rechtfertigung für die Verbrechen, die der Staat Israel in den letzten zwei Jahren begangen hat, und überhaupt in seiner gesamten Geschichte. Die Schlussfolgerung ist klar: Den Dienst zu verweigern ist nicht nur ein Recht, sondern eine Pflicht, und der erste Schritt, um das Leben aller Menschen im Land zu verbessern.

Wir müssen verstehen, dass der Völkermord in Gaza nicht zufällig oder aufgrund von „Pech“ bei der Auswahl von Anführern geschieht. Es ist das Ergebnis langanhaltender faschistischer Entwicklungen in der Region und eine logische Folge der Grundprinzipien des Zionismus. Der Staat Israel hat seit den Anfängen seiner Gründung Erfahrungen in der Ausübung von Verbrechen und Terror gesammelt, und heute ist das Ausmaß davon und ihre Akzeptanz in der Gesellschaft größer denn je. Auf der einen Seite war es dem Staat schon immer zu eigen, Moral und Völkerrecht zu ignorieren, auf der anderen Seite befinden wir uns eindeutig inmitten eines Verfalls – man kann davon ausgehen, dass Nathan Alterman, wenn er „Al Zot“ (ein Gedicht aus dem Jahr 1948, in dem die israelischen Kriegsverbrechen kritisiert werden) heute schreiben würde, er heute vor allem mit Rufen wie „Verräter“ und „Geh nach Gaza“ konfrontiert werden würde.

Zu Recht werden die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) auf der ganzen Welt nicht als moralische Armee angesehen, und schon gar nicht als „die moralischste Armee der Welt“. Ihre Aktionen und Bestrebungen – Massentötung von Kindern, herbeigeführter Hungertod und sogar Pläne zur Errichtung eines Internierungslagers – also Völkermord – erwecken Hass und Abscheu, und wenn wir den Nationalismus und das Stammesdenken beiseitelassen, ist es leicht zu erkennen, dass Wut, Hass und Widerstand keine radikalen Reaktionen sind, und schon gar nicht antisemitisch, sondern moralisch, das Mindeste, was zu tun ist, und gerechtfertigt als Reaktion auf die oben genannten Verbrechen.

Trotz aller Verbrechen versorgen die Nationen der Welt die israelische Vernichtungsmaschinerie weiterhin mit Waffen und Geldern. Ich werde bald ins Gefängnis kommen, weil ich mich geweigert habe, an dem Gemetzel teilzunehmen, und ich rufe euch auf, euch, die Völker der Welt: verstärkt den Widerstand! Schließt euch mir an und wehrt euch mit aller Kraft gegen die Zerstörung und den Völkermord.

Letztlich müssen wir uns darüber im Klaren sein: Es geht nicht um mich. Es geht um die Zerstörung, um die Menschen, die ermordet werden, um die fast bis zu ihrer Auslöschung hintertriebenen Verständigung, und um die Gerechtigkeit, die unter den Trümmern von Gaza begraben wurde.

Ich strebe danach, an einem Kampf für Leben, Gleichheit und Freiheit teilzunehmen. In diesem Kampf ist eines für mich klar: Die Armee und ich stehen auf entgegengesetzten Seiten.

Deshalb weigere ich mich.

Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Ulrich Karthaus vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!