Wieder einmal muss die pazifistische, gewaltfreie, alternative Welt gegen eine Agenda ankämpfen, die von anderen geschrieben wurden.
Auf diese anderen werden wir ein andermal eingehen – zunächst halten wir fest: Es sind sie, die die Regeln schreiben, während wir gezwungen sind, ihnen mit in jeglicher Hinsicht unvergleichlich schwächeren Mitteln hinterherzulaufen.
Versuchen wir also, zumindest die Perspektive umzudrehen. Wir sollten so viele Gremien wie möglich bilden, die „Nein zur Wiederaufrüstung“ sagen (bisher haben wir uns mit Pressenza etwa dieser Initiative angeschlossen: https://stoprearm.org/). Wir sollten uns bestmöglich absprechen und zusammenarbeiten: Denn alle Realitäten erfordern dieselbe Antwort und dabei ist es unwichtig, wenn der eine ein Thema hervorhebt, und der andere unterschiedliche Akzente setzt: Alle Motivationen zählen – aber lasst uns gemeinsam handeln, denn das Spiel beginnt mit gezinkten Karten.
Die zentrale Frage, die wir uns stellen müssen, lautet: Welches Land, welcher Kontinent, welche Stadt, welches Viertel ist ein sicherer Ort? Auf Basis unserer Antwort auf diese Frage können wir einen Vorschlag formulieren. So utopisch dieser Vorschlag auch erscheinen mag – er ist ein Same, der keimen kann; ein möglicher Weg in die Zukunft, im Sinne Galeanos, wenn er von Utopie sprach.
Wenn wir unsere Gedanken in diese Richtung lenken, erscheint es selbstverständlich: Ein sicherer Ort kann kein Ort sein, der von Waffen beherrscht wird. Die regelmäßigen Massaker durch die Vereinigten Staaten, die Zustände in Kriegsgebieten, in denen nur Zerstörung und Tod sicher sind oder ein Ausflug zu den Checkpoints im Westjordanland, genügen als Beleg. Auch die vielen Orte weltweit, in denen eine Mafia oder Privatarmeen über das Leben der Menschen bestimmen, sprechen eine klare Sprache.
Manch eine:r mag nun einwenden, dass Waffen auch legal und vernünftig eingesetzt werden können, dass – vernünftigerweise – bewaffnete Streitkräfte unterschiedlicher Art unsere Häuser, unsere Grenzen schützen. Nicht kriminelle Banden, sondern Polizei und Armee, die im Rahmen des Gesetzes handeln.
Gut – wir können die Notwendigkeit mäßig bewaffneter Kräfte anerkennen, um Kriminalität abzuwehren. Aber wir können schon nicht mehr nachvollziehen, warum wir beispielsweise in Italien in eine Armee investieren, die unsere Grenzen zu Frankreich, der Schweiz, Slowenien, San Marino und dem Vatikan schützen soll – vor unseren Nachbarn, unseren Geschwistern. Welche sicherheitsrelevanten, unbewaffneten Aufgaben übernimmt das Militär? Katastrophenschutz, Wetterdienste, Unterwasserforschung, Forstwirtschaft (die Verantwortung hierfür liegt mittlerweile teilweise auch außerhalb des Militärs). Es ist offensichtlich, dass diese Aufgaben durchaus anhand ziviler Kräfte durchgeführt werden können und keinerlei Plan zur Wiederaufrüstung erfordern.
Ein Missverständnis – oder vielleicht eine gezielte Manipulation – muss zudem geklärt werden: Es heißt, der europäische Wiederaufrüstungsplan diene nicht primär der Waffenbeschaffung, sondern vielmehr der Finanzierung unterschiedlicher Arten neuer Technologien. Tatsächlich bleibt unklar, wofür diese Gelder verwendet werden sollen: Fest steht nur, dass sie bereitgestellt werden, weil man plötzlich ein gesteigertes Sicherheitsbedürfnis in Europa spürt. Die Debatte dreht sich lediglich darum, woher das Geld kommen und wer es ausgeben soll.
Es scheint also angebracht, dass wir – gewaltfreie und antimilitärische Pazifisten – dem einige einfache Vorschläge entgegen halten.
Mir kommt in diesem Zusammenhang oft ein Satz von Silo, dem Begründer der Humanistischen Bewegung, in den Sinn: „Das einzig sichere Viertel ist ein menschliches Viertel.“ Das sagte er im Kontext einer weltweit durchgeführten Kampagne der Humanisten in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Ziel war es, zerstörte oder bedrohte soziale Gefüge neu aufzubauen. Hierfür wurden zahlreiche lokale Aktionen umgesetzt – soziale Kämpfe und Aktivitäten, die Einrichtung von Kommunikationszentren, Stadtteilzeitungen, solidarischen Initiativen für kleine Gewerbe – als Garantie für menschliche, lebensfreundliche und sichere Viertel.
Wir wissen leider, wie es ausging, wie dieser edle Versuch scheiterte und unsere Viertel immer lebensfeindlicher und hässlicher wurden. Glauben wir also ernsthaft, dass sie durch elektronische Überwachung und Truppen an den Grenzen sicherer werden?
Soziale Sicherheit im weitesten Sinn bedeutet, ein Leben in Würde und Menschlichkeit – mit Rechten und Chancen: Investitionen in Gesundheit, Bildung und Lebensqualität sind die effektivste Art, einen sicheren, weil menschlichen Ort zu schaffen. Dafür könnten weit mehr als 800 Milliarden bereitgestellt werden. Zudem stellt der Klimanotstand aktuell eine unvergleichlich dringendere Priorität dar als die absurde Wahrscheinlichkeit, Russland könnte Europa besetzen – ein Szenario, das scheinbar die ganze Aufrüstung legitimieren soll.
Eigentlich existiert längst eine zivile Untergrundbewegung, die sich eigenständig organisiert, um eine andere Lebensqualität zu verwirklichen, ohne auf Hilfe von oben zu warten: Netzwerke von Bürger:innen, ökologische Dörfer, durch die Transition Towns inspirierte Initiativen, Selbsthilfegruppen, die Human Week (in Mailand), solidarische Erwerbsgemeinschaften, Netzwerke von Erzieher:innen, Projekte zur Wiederbelebung verlassener Dörfer usw. Unsere Partner:innen von Italia che Cambia haben hierzu einen hervorragenden Bericht verfasst. All das zeigt: Der Aufbruch in ein neues Paradigma hat längst begonnen.
Dennoch ist es offensichtlich, dass es die Aufgabe der Politik wäre – die sich zunehmend finanziellen Interessen beugt – die Entscheidung eines Richtungswechsels zu fällen und ihn schlüssig durchzuführen: Was heute den Wähler:innen versprochen wird, darf sich nicht grundlegend von dem unterscheiden, was später in Regierungsverantwortung geschieht.
Deshalb fordern wir die Politik mit Klarheit und Mut dazu auf, ernsthaft auf die Frage zu antworten: „Wie schaffe ich einen sicheren Ort?“ Mit Waffen? Elektronischer Überwachung? Angst? Erpressung? Außerdem fordern wir einen tiefgreifenden, nachvollziehbaren Wandel der Prioritäten.
Und wir alle können einander liebevoll fragen: „Was kann ich konkret tun, um meine Umwelt menschlicher zu gestalten – mit mehr Rechten, mehr Empathie, mehr Verständnis und mehr Herzlichkeit?“ Wir sollten diese Frage ehrlich beantworten – und danach handeln.
Die Übersetzung aus dem Italienischen wurde von Martina Merlo vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!









