Von welchem Europa sprechen wir heute? Von einem Europa des Friedens oder des Krieges? Von einem bewaffneten oder einem entwaffneten Europa? Von einem Europa, das in Waffen investiert, indem es den Sozialstaat kürzt? Oder von einem Europa, das in Zusammenarbeit investiert, indem es die Militärausgaben kürzt? Wir lehnen die schändliche Entscheidung ab, bei den Ausgaben für die bewaffnete Verteidigung die Budgetregeln außer Kraft zu setzen und damit eine Kriegswirtschaft herbeizuführen.

Wir sind auf der Seite der Ukrainer. Einverstanden, aber wie? Indem wir ihnen sagen: „Wir geben euch Waffen und ihr kämpft“ oder indem wir diplomatisch vorgehen, um zu retten, was zu retten ist?

Wir haben immer wieder gesagt, dass es keine militärische Lösung des Konflikts gibt: Krieg gewinnt niemand. Die Entscheidung, die Ukraine mit Waffengewalt gegen die russische Invasion zu verteidigen, führt seit drei Jahren zu einer offensichtlichen Pattsituation, einem Zermürbungskrieg, der auf beiden Seiten Zehntausende von Toten und eine unendliche Zahl von Witwen, Waisen und verstümmelten Menschen gekostet hat. Der militärische Weg ist ein Misserfolg, wie die Fakten zeigen.

Niemand gewinnt den Krieg, aber den Frieden können alle gewinnen

Dasselbe gilt für das, was am Südufer des Mittelmeers geschieht: Ist Europa bereit, sich für die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Palästinenser einzusetzen, wie es in unzähligen Resolutionen der Vereinten Nationen anerkannt wurde, oder gilt für seine Freunde die Politik der „Doppelmoral“, indem Kriegsverbrechen, Besatzung und ethnische Säuberungen toleriert werden?

Das sollen keine provokativen Fragen sein, sondern ehrliche, notwendige Fragen, um zu verstehen, welches Europa wir wieder aufbauen müssen, welche Sicherheit und Außenpolitik wir unterstützen wollen.

Das Manifest von Ventotene, für ein freies und geeintes Europa, hatte das Ziel, Europa und nach und nach den Planeten von Kriegen zu befreien.

„Welches tiefgreifende Übel die europäische Gesellschaft untergräbt, ist mittlerweile für alle offensichtlich: Es ist der moderne totale Krieg, der vorbereitet und geführt wird, unter Einsatz aller in den einzelnen Ländern vorhandenen gesellschaftlichen Energien. Wenn er ausbricht, zerstört er Menschen und Wohlstand; wenn er unter der Asche schwelt, lastet er wie ein zermürbender Albtraum auf jeder anderen Aktivität. Die ständige Gefahr bewaffneter Konflikte zwischen Zivilbevölkerungen muss radikal beseitigt werden, wenn nicht alles zerstört werden soll, was uns am meisten am Herzen liegt. (Altiero Spinelli in Vereinigte Staaten von Europa und die verschiedenen politischen Tendenzen, 1942).

Europa muss aufgrund seiner Größe und seines wirtschaftlichen Gewichts, seiner politischen Kultur und seiner historischen Tradition die Aufgabe übernehmen, die Wiederbelebung des Multilateralismus und die globale Zusammenarbeit für eine gemeinsame Zukunft zu fördern. Es muss seine Haltung der Vormachtstellung aufgeben und sich im globalen Wettbewerb in eine Position der aktiven Neutralität begeben. Es muss eine „gemeinsame Sicherheit“ fördern und nicht die „Festung Europa“, die mit Waffengewalt, Mauern und restriktiven, ungerechten und immer noch auf fossilen Brennstoffen basierenden Wirtschaftspolitiken aufrechterhalten wird.

Angesichts der hochsensiblen Natur von Sicherheit, Verteidigung und Außenpolitik ist die Vorstellung, dass der Aufbau eines europäischen militärisch-industriellen Komplexes zu einer Stärkung der Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten führen und damit einen besseren Konsens fördern könnte, ein tragischer Irrtum. Sicher ist, dass die Europäische Armee derzeit nur eine rhetorische Rechtfertigung für Entscheidungen ist, die darauf abzielen, erhebliche Ressourcen weg von den zivilen Aufgaben der Union auf Finanzmittel zu verlagern, die den Interessen der Militärindustrie zur Verfügung stehen. Da ist keine Vision, kein Gesellschaftsprojekt für zukünftige Generationen. Das einzige Ergebnis wäre, dass Mittel für den sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhalt, für Zusammenarbeit und für den ökologischen Wandel gestrichen werden.

Europa muss ein multinationaler Raum bleiben, der in der Lage ist, eine große Friedensmacht zu werden, die sich mit ihrer kolonialen Vergangenheit auseinandersetzt und Abhilfe schafft; die den Krieg als politisches Mittel ausschließt und ihre große wirtschaftliche, wissenschaftliche und technologische Kapazität nutzt, um die Verteilung von Chancen und Wissen zwischen den Völkern ausgewogener zu gestalten. Frieden ist eine Errungenschaft der Politik, die sich im Laufe der Zeit aufbaut: Wir wissen, dass es zum totalen Scheitern der Politik, nämlich dem Krieg, immer eine Alternative gibt.

Für ein Europa, das Frieden und Sicherheit für alle Völker schafft:

  • Europa muss als echte politische, demokratische und wirtschaftliche Gemeinschaft innerhalb eines multilateralen Systems handeln und darf nicht aus politisch-militärischen Blöcken bestehen, die miteinander konkurrieren und sich auf militärische Abschreckung stützen.
  • Europa muss eine eigene Außenpolitik haben, die auf Zusammenarbeit und der Schaffung von Frieden, Gerechtigkeit und gemeinsamer Sicherheit beruht und durch das Völkerrecht geregelt wird.
  • Europa muss das europäische Sozialmodell stärken, indem es den Zugang zu Rechten und zu Schutzmaßnahmen erweitert, indem es seine Ressourcen für den Zivilschutz, den ökologischen Wandel, die Zusammenarbeit und Solidarität innerhalb und außerhalb der Europäischen Union einsetzt und indem es den Bereich der Zusammenarbeit (wirtschaftlich, kulturell, strategisch) zur Stärkung der Demokratie und zur Erreichung der Ziele der nachhaltigen Entwicklung ausdehnt – zuerst auf die Nachbarschaftsgebiete im Osten und Süden und dann auf den Rest der Welt. Europa soll diese Ressourcen nicht für die Wiederaufrüstung und die Kriegswirtschaft einsetzen!
  • Europa muss eine kohärente Handelspolitik betreiben, die der gemeinsamen Friedens- und Sicherheitspolitik dient: Verringerung des Gefälles zwischen reichen und armen Ländern; Verringerung der Ungleichheiten und Bekämpfung von Armut und Zwangsmigration; Investitionen in den ökologischen Wandel, Förderung von Stabilität, Frieden und gemeinsamer Sicherheit.

Auf diese Weise erhält das Konzept der Verteidigung eine völlig andere Bedeutung als die, über die momentan diskutiert wird. Es geht nicht mehr um militärische Verteidigung und Aufrüstung zur Abwehr eines Feindes oder einer Invasion, sondern um die Konsolidierung eines Systems von Beziehungen zwischen kooperierenden Staaten, das durch internationales Recht und starken gegenseitigen, wirtschaftlichen und kulturellen Austausch geregelt ist – und dies mit geringen Investitionen in Armeen und Waffen und hohen Investitionen in zivilen und gewaltfreien Widerstand, in Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfe.

Wir erneuern die Aufforderung, die Friedensfahne, die diese Idee von Europa repräsentiert, auf die Plätze zu bringen und an den Fenstern zu zeigen. Sie soll nicht dazu benutzt werden, Wettrüsten und Krieg zu rechtfertigen, sondern dazu, die Alternative zu Kriegen und zur Überheblichkeit der Stärkeren zu unterstützen, derjenigen, die das Recht des Stärkeren, der Erpressungen und des Herrschaftsanspruchs erzwingen wollen. Das gilt für die Ukraine, das gilt für Palästina, das gilt für alle Kriege, die die Bevölkerung erleidet.

Unser Europa muss ein Europa des Friedens und der Sicherheit sein, das von allen Völkern geteilt und gemeinsam getragen wird.

Es ist Zeit für eine große europäische Kampagne, um dem Wettrüsten und einer Kriegswirtschaft entgegenzutreten.

Um sich der Kampagne anzuschliessen: segreteria@retepacedisarmo.org

Die Übersetzung aus dem Italienischen wurde von Domenica Ott vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!