Der Bürger darf und soll klagen: Eine freie Presse hilft ihm, seine persönliche Bilanz mit den nationalen Notwendigkeiten in Übereinstimmung zu bringen.

In der Silvesterausgabe hat Bild am Sonntag die Ergebnisse einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts INSA veröffentlicht. In der wurde nach den dringendsten Probleme der Bürger gefragt, die dann – entsprechend der Häufigkeit der Nennung – in eine Rangfolge gebracht wurden. Das Blatt für die Massen bereitet natürlich alles so auf, dass kein Unterschied zwischen den Gründen des einfachen Volks für seine Sorgen und der Sicht der verantwortungsvollen Redaktion auf die nationale Notlagen entsteht. Das ist man sich als Vierte Gewalt im Staate schuldig!

Die Ergebnisse sind wenig überraschend, die Liste der Probleme steht jeden Tag in Bild. Die Zeitung fragt jedoch nicht nach den Ursachen, sondern hat nur eins im Auge, nämlich den Auftrag an die Zuständigen. Für die Abstellung der Übel ist eben nur einer verantwortlich: die Regierung. Ist das so selbstverständlich? Dazu einige Anmerkungen.

Platz 1: Die Bekämpfung der Inflation

Die Zeitung listet die Inflationsraten von fast 8 und 6 Prozent in den letzten Jahren auf und möchte beruhigen: „Zuletzt (im November) waren es nur noch 3,2 Prozent.“ Eine seltsame Beruhigungspille. Schliesslich gehen die Preise nicht zurück, sondern steigen weiter und die 3,2 Prozent werden ja noch auf die vorherigen Preissteigerungen drauf gerechnet. Damit werden die Löhne und Gehälter weiter entwertet und die Bürger müssen sich ihr schwindendes Einkommen stärker einteilen.

Ursache ist der Tatbestand, dass alles in diesem Lande Mittel fürs Geschäft ist, das Private auf ihre Rechnung machen. Es geht nicht um die Versorgung der Bürger mit dem, was sie zum Leben brauchen, die Lebensmittel sind für ihre Produzenten und Händler vielmehr Mittel, um aus ihrem eingesetzten Geld mehr Geld zu machen. Die Abhängigkeit derer, die nicht über ihre Lebensmittel verfügen, sondern diese von ihrem Lohn oder Gehalt kaufen müssen, nutzen Produzenten und Händler für sich aus, um ihr Vermögen wachsen zu lassen.

In der Gewinnrechnung von Unternehmen tauchen Löhne und Gehälter als Kosten auf, die es zu begrenzen gilt. Deshalb haben die einen systemgemäss den Vorteil und die anderen die Not. Die Sorge um die Inflation – die ja die betrifft, die ihre Kosten nicht einfach auf andere abwälzen können – zeigt, dass viele Menschen sich dieses Wirtschaftssystem eigentlich nicht leisten können, auch wenn sie es müssen. Steigen die Kosten an der einen Stelle, muss an anderer Stelle gespart werden. Und die Grenzen für diese Kalkulation werden mit der Inflation immer enger.

Platz 2: Schaffung von bezahlbarem Wohnraum

„Landesweit fehlen 700 000 Wohnungen, eine bezahlbare Unterkunft zu finden ist vielerorts fast unmögliche… Die Regierung versprach 400 000 neue Wohnungen pro Jahr, 2023 waren es gerade mal 270 000, Tendenz fallend.“ Wenn man Bild folgt, könnte man glatt meinen, wir würden in einer Planwirtschaft leben, in der die Regierung die Zahl der Wohnungen in Auftrag gibt. Ist nicht bei uns die Privatinitiative das A und O des wirtschaftlichen Lebens?

Wenn die Bürger bezahlbaren Wohnraum anmahnen, dann zeigt dies ein weiteres Mal, dass Löhne und Gehälter zum Leben nicht reichen und dass Wohnen zum Problemfall wird. Schliesslich ist auch das Wohnen Mittel fürs Geschäft – und die Besitzer von Grund und Boden und von Häusern und Mietwohnungen nutzen ihre Macht, um diejenigen, die auf die Nutzung von Flächen oder Wohnraum angewiesen sind, entsprechend zu rupfen. Boden ist nicht beliebig vermehrbar, so kann das Monopol über die Verfügung von Grund und Boden, das staatlich garantiert wird, ausgenutzt werden, um entsprechende Preise zu verlangen. Und da steht das Bedürfnis zu wohnen in Konkurrenz zur Nutzung von Grund und Boden für Geschäfte oder Produktion. Das treibt die Preise und sichert auch langfristig Renditen.

Platz 3: Sicherung der Rente

„Die Deutschen sorgen sich um ihre Rente – bald gehen Millionen Babyboomer in den Ruhestand. Folge: Haben 1962 sechs Erwerbstätige einen Rentner finanziert, sind es 2030 nur noch 1,5. Geht das gut?“ Geht gar nicht, soll jeder denken, d. h. sich in die Rolle eines Kassenwarts versetzen und davon Abstand nehmen, was es für ihn bedeutet: Senkung der Renten. Die Anstrengung eines ganzen Arbeitslebens reicht offenbar nicht für einen Ruhestand. Selber Gelder fürs Alter zurückzulegen, dafür reichen normale Löhne und Gehälter ebenfalls nicht. Da aber die Bürger gebraucht werden, muss auch ihre Existenz gesichert werden. Also hat der Staat die Bürger verpflichtet, einen Teil ihres Lohns oder Gehalts zwangsweise zu sparen. Auch die Unternehmen sollen sich an den Kosten beteiligen. Ihr Beitrag geht in die Kostenrechnung für Löhne und Gehälter ein; und dieser Posten wird dann verausgabt, wenn er sich lohnt, also Gewinn verspricht. Für Arbeitnehmer ist der Beitrag zur Sozialversicherung ein Teil des Lohns, den sie gar nicht erst zu Gesicht bekommen, allenfalls auf dem Lohnzettel sehen. Weil diese Lohnbestandteile – wie der Lohn überhaupt – den Vorschuss erhöhen, den Unternehmen tätigen müssen, um einen Gewinn zu erzielen, belastet der Vorschuss die Rendite, hat also gering auszufallen.

Der Staat hat zudem die so eingesammelten Gelder dafür eingesetzt, um die aktuellen Renten zu bezahlen, schliesslich haben die grossen Kriege auch die angesparten Gelder der Rentenversicherung dahinschwinden lassen. Deshalb müssen nun die aktiven Arbeitnehmer für den Ruhestand der Alten aufkommen und seitdem wird die Mär von den schwindenden Einkommen der Rentenversicherung in den Medien gehandelt.

Da macht es auch gar nichts, dass zur gleichen Zeit Rekordzahlen bei den Beschäftigten gemeldet werden. Die dementieren eigentlich, dass die Einzahlungen in die Rentenversicherung von der Anzahl der Geborenen abhängig sind. Und es werden auch nicht immer alle Menschen eines Jahrgangs beschäftigt, wie die Arbeitslosenzahlen dokumentieren. Trotz zurückgehender Zahlen an deutschen Arbeitnehmern beschäftigt die Wirtschaft Rekordzahlen an Arbeitnehmern, weil nicht nur Waren, sondern auch Menschen importiert werden, wenn sich deren Anwendung lohnt.Dass dennoch immer wieder die Geburtszahlen bemüht werden, um die Notlage der Rentenversicherung zu schildern, liegt daran, dass die Abzüge von den Löhnen für die Versorgung der Alten nie reichen und auch der Staat mit seinen Steuermitteln die Rentenversicherung bezuschusst. Diese Belastung möchten die Politiker gerne loswerden – und deren Sorgen nehmen sich verantwortungsvolle Schreiberlinge immer zu Herzen.

Platz 4: Steuerung von Migration

„Grund für die Sorge: 304 581 Erstanträge auf Asyl wurden bis November 2023 gestellt. 114 583 mehr als im Vorjahreszeitraum.“ Die Zahlen sollen offenbar für sich sprechen. Dabei kann keiner sagen, wie viele es denn sein dürfen. Und fehlen Deutschland nicht jede Menge Arbeits- sprich Fachkräfte? Das Thema Migration wird eben von Medien wie Politikern seit Jahren hochgekocht und damit die Vorstellung gepflegt, dass die Armutsflüchtlinge aus aller Welt auch ein Problem für die Bürger darstellen müssten. Doch dass deutsche Bürger sich ihr Geld einteilen müssen, ist keine Folge von Immigration, sondern marktwirtschaftlicher Alltag.

Und wenn bestimmte Strassen und Viertel unsicher sind, weil ein Teil der Bevölkerung – ob mit deutschem oder anderem Pass – verroht und verwahrlost, dann ist das kein Problem, das erst durch Ausländer ins Land gebracht worden wäre. Wenn viele Migranten aus Afrika, Asien oder dem Süden Amerikas Europa und die USA bestürmen, dann zeigen sich darin die Erfolge der regelbasierten Weltpolitik des Westens, die weite Teile dieser Kontinente durch den Einbezug in die kapitalistische Wirtschaftsweise ruiniert hat. Menschen werden vertrieben von ihren Ackerflächen oder Wohnungen, weil dort Rohstoffe abgebaut werden, Plantagen für Blumen oder Früchte für die Metropolen des Kapitalismus angebaut werden sollen. Kleinproduzenten werden durch die Erfolge europäischer oder amerikanischer Agrarindustrie ruiniert.

Und die Kleidersammlungen aus den hiesigen Altkleidercontainern beliefern auch noch im letzten Urwaldwinkel die Billigkonkurrenz, die den dortigen Produzenten zu schaffen macht. Die kapitalistische Wirtschaftsweise produziert eben Massenelend, das dann auf dem Globus hin und her geschoben wird. Das wird zwar gerne exklusiv der Entstehungszeit dieser Wirtschaftsweise zugeschrieben, nämlich dem legendären Manchesterkapitalismus. Doch dieses Elend ist nie verschwunden – es zeigt sich heute nicht nur in Form der Flüchtlingsströme und Elendsregionen, von denen „wir“ uns abgrenzen, sondern auch in den Schlangen vor Tafeln und Kleiderkammern hierzulande.

Platz 5: Sicherung der Energieversorgung

„Das war DAS Thema des letzten Winters: Der drohende Energieengpass wegen des Wegfalls der russischen Gaslieferungen. Inzwischen hat sich die Lage deutlich entspannt… Dennoch will die Regierung aus Atom UND Kohle aussteigen, während Windräder fehlen.“ Die Energieversorgung ist zwar nicht unsicher, viel banaler: Energie ist teuer. Der Grund dafür ist auch kein Geheimnis, wird allerdings durch eine sehr einseitige Schuldzuweisung ziemlich verfremdet:

Deutschland wollte Russland durch den Boykott bei Gas und Öl treffen, Russland konterte und will Deutschland als Unterstützer im Ukraine-Krieg durch den Lieferstopp von billigem Gas und Öl wirtschaftlich schaden. Diesen Wirtschaftskrieg haben die Produzenten wie Händler jeder Form von Energie für sich ausgenutzt, um die Preise zu erhöhen. Das trifft die Bürger beim Heizen, beim Strompreis, an der Tankstelle und beim Einkauf. Ihr Einkommen erweist sich wieder einmal als zu schmal, um die hohen Gewinnansprüche der Energieunternehmen zu befriedigen.

Viele Händler haben zudem die Gelegenheit genutzt, sich ebenfalls mit ihren Preisen – unter Verweis auf die erhöhten (oder sich demnächst erhöhenden) Kosten – beim Kunden schadlos zu halten. Bild hat hingegen einen eindeutigen Schuldigen ausgemacht: die Ampelregierung, die nach dem Atomausstieg auch den Kohleausstieg plant. Unterstellt ist dabei, dass dadurch die Energiepreise hoch bleiben – und das nicht nur für die Verbraucher, sondern auch für die Industrie, was die Zeitung fürs einfache Volk gar nicht leiden kann.

Platz 6: Bekämpfung des Pflegenotstands

„Deutschland wird älter und älter! 2036 werden in Deutschland vier Millionen über 67jährige mehr leben als heute. Die Schattenseite des langen Lebens: Der Pflegebedarf steigt dramatisch. Bis 2025 brauchen wir 58 000 Pflegekräfte mehr. Woher ist unklar.“ Bild setzt Deutschland umstandslos gleich mit seinen Bewohnern. Mehr alte Menschen bedeutet einen höheren Pflegebedarf, wenn sie im Alter gebrechlich sind. Wer ist da gefordert? Die Familie! Denn bei der Pflege der Alten hat der Staat sich immer schon auf sie als kostenlose Pflegeeinrichtung verlassen.

Da sie aber zunehmend ihre Auflösung erfährt – beide Partner müssen z. B. arbeiten, weil sonst der Lohn nicht reicht, und auch die erwachsenen Kinder werden durch Lohnarbeit beansprucht –, ist diese Form der Pflege zunehmend in Frage gestellt. Ganz aus der Pflicht will der Staat die Familie dennoch nicht entlassen und hat die Pflegeversicherung als Teilkasko-Versicherung eingeführt – bezahlbar von den Betroffenen selbst. Nur ein Teil der Pflegekosten soll durch diese Versicherung abgedeckt werden, den Rest sollen die Betroffenen selber oder ihre Angehörigen erbringen.

Bezahlt werden durch die Pflegeversicherung die Leistungen, die ein Pflegedienst erbringt, oder mit einer Anerkennungsgebühr die pflegenden Angehörigen. Mit der Einrichtung der Pflegeversicherung hat der Staat einen Markt für Pflegedienste eröffnet, die um ihre Kundschaft konkurrieren – mit billigen Löhnen für die Pflegenden und hohen Preisen für die Kunden. Das hat den Pflegeberuf nicht unbedingt attraktiv gemacht, bei dem die Pflegenden mit ihren Kleinwagen ständig durch die Strassen hetzen, um für wenig Geld den Zeitvorgaben ihrer Arbeitgeber gerecht zu werden. Deshalb finden sich auch nicht in ausreichendem Umfang Menschen, die diesen miesen Job machen wollen – und auch die, die ein Herz für die Alten haben, schmeissen irgendwann das Handtuch.

Platz 7: Wirtschaftswachstum ankurbeln

„2023 war ein mieses Jahr für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Während alle anderen Industrienationen zulegten, schrumpfte die deutsche Wirtschaft. Besonders die energieintensiven Industrien (Chemie, Zement) kämpfen, auch die Autoindustrie strauchelt.“ Wenn die Bürger sich um das Wachstum der Wirtschaft und den Kapitalstandort Deutschland sorgen sollen – wobei die Wirtschaft ja nicht ihnen gehört und deren Wachstum nicht mit dem Wachstum ihres Geldbeutels zusammenfällt –, dann ist das einerseits irre. Andererseits total nachvollziehbar, denn ihre Existenz ist vom Gelingen des Wachstums abhängig gemacht.

Sie bekommen nämlich nur ein Einkommen, wenn sie für den Erfolg eines Unternehmens oder des Staates gebraucht werden. Diese Abhängigkeit vom Ertrag der anderen Seite macht ihre Existenz prinzipiell unsicher. Aus der Abhängigkeit heraus sorgen sie sich um den wirtschaftlichen Erfolg nicht nur des Unternehmens, das sie beschäftigt, sondern gleich der ganzen Wirtschaft. Irre ist diese Anteilnahme am Erfolg der deutschen Wirtschaft deshalb, weil die Beschäftigten in der Erfolgsrechnung der Unternehmen als Kostenfaktor auftauchen, der immer als bedenkliche, d. h. zu senkende Grösse gehandelt wird. Das führt zu regelmässigen Rationalisierungsmassnahmen mit Kostensenkungsprogrammen durch Entlassungen, Leistungssteigerungen oder Lohnsenkungen. Letztere werden auch dadurch bewirkt – siehe oben: Problem Nr. 1! –, dass Kostensteigerungen der Lebenshaltung nicht ausgeglichen werden.

Platz 8: Ausstattung der Schulen verbessern

„Peinlich: Bei der Pisa-Studie schnitten deutsche Schüler so schlecht ab, wie nie. Kein Wunder: Deutschland fehlen 12 000 Lehrer, jedes Bundesland kocht sein eigenes Schulsüppchen.“ Für Bild sind Kinder umstandslos Mittel in der Konkurrenz von Staaten, weswegen das Abschneiden deutscher Schüler – nicht für sich genommen, sondern: – im internationalen Vergleich peinlich ist.

Die Sorge der Eltern gilt in der Regel aber dem Fortkommen ihrer Kinder. Schulabschlüsse entscheiden mit darüber, auf welcher Stufe in der Hierarchie der Berufe Kinder landen. In der Schule werden die Kinder nicht einfach unterrichtet, sondern beim Lernen in Bezug auf die Schnelligkeit des Begreifens untereinander verglichen. Es findet eine Lernkonkurrenz statt, durch die der Staat die Verteilung des nachwachsenden Menschenmaterials auf die verschiedenen Berufsebenen regeln will. Ein erfolgreicher Abschluss ist allerdings keine Garantie für irgendetwas. Es kommt vielmehr stets darauf an, ob der jeweilige Abschluss dann auch von einem Arbeitgeber genutzt wird. So münden von Zeit zu Zeit Schulabsolventen gleich in die Jugendarbeitslosigkeit oder – trotz höherer Qualifikation – in die Akademikerarbeitslosigkeit.

Obwohl die Konkurrenz um Abschlüsse immer Gewinner und Verlierer hervorbringt und auch die Gewinner damit keine Garantie auf einen Lebensunterhalt haben, sorgen sich Eltern zu allen Zeiten um die Zukunft ihrer Kinder und machen den Erfolg ihrer Kinder von der Qualität der Schule abhängig. Mit dem Effekt, dass es auch eine Konkurrenz der Bildungseinrichtungen gibt, die verantwortungsbewusste Eltern im Blick haben müssen. Ganz so, als ob die Versorgung der Schüler mit Tablets, die Ausstattung der Unterrichtsräume und die Zahl der Lehrer ihren Kindern das Leben leichter machen könnten. In der ständigen Sorge der Eltern um die Zukunft der Kinder zeigt sich dagegen ganz banal das, wodurch die Zukunftsaussichten bestimmt sind: durch die Existenzunsicherheit im kapitalistischen Alltag.

Platz 9: Kampf gegen Extremismus und Terrorismus

„In Deutschland steigen die Zahlen von antisemitischen Übergriffen, rechtsextremistischen Straftaten, islamistischer Gewalt. Viele sind beunruhigt.“ Zu Silvester hatten die Terrorwarnungen der Politiker und Medien wieder Hochkonjunktur. Viele Bürger mögen auch noch die Bilder vom früheren Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin vor Augen haben. Zwar wird hier vieles aufgebauscht (auch einiges, was die Mitwirkung von Geheimdiensten betrifft, im Dunkeln gelassen), aber erfunden sind diese Sicherheitsprobleme nicht.

Mit ihrer Politik schaffen sich die politisch Verantwortlichen nämlich im In- und Ausland Gegner, die auch die hiesigen Bürger als Mitmacher oder Unterstützer der praktizierten Politik zum Ziel von Angriffen machen. Und so werden sie, ob sie wollen oder nicht, für ihre Herrschaft in Haftung genommen. Dass sie sich dennoch um deren Funktionieren sorgen und ihr ein „Weiter so!“ wünschen, hängt nicht zuletzt davon ab, dass sie in ihrem Alltag auf die staatlichen Regelungen oder Hilfen angewiesen sind – ob bei der Kita, dem Mietrecht, der Krankenversicherung oder im Strassenverkehr.

Als Wohltäter sehen viele Bürger die Politiker dennoch nicht, erfahren sie doch durch die staatlichen Regelungen eine Vielzahl an Einschränkungen; für die meisten fällt die Bilanz staatlicher Politik nicht positiv aus und auch die Bessergestellten (Beispiel: Ärzte- und Apothekerstreik) können auf mehr oder weniger hohem Niveau klagen. Der Unmut über die Ergebnisse staatlicher Politik äussert sich regelmässig in Protesten, Streiks oder soll seinen Platz in Wahlen finden, wo die herrschenden Figuren durch andere ersetzt werden. Da deren Aufgaben weitgehend feststehen – nämlich die Förderung des Allgemeinwohls, das weitgehend mit der Förderung der Wirtschaft, von der alles im Staate abhängig gemacht ist, zusammenfällt –, ändert sich mit der Auswechslung der Farben der Regierungsmitglieder in der Regel nichts Wesentliches. Das führt dann systemgemäss zu neuen Enttäuschungen und Hoffnungen, für die gleich wieder eine Wahlalternative bereit steht.

Was an Unmutsäusserungen und Protest erlaubt ist und was nicht, legen die Regierungen mit ihren Gesetzen und Erlassen fest und damit auch, was als Extremismus – also als nicht mehr tragbare Haltung oder Gesinnung – gilt. Wer das Mass des Erlaubten überschreitet, bekommt es dann nicht nur mit dem Polizeiknüppel bei Demonstrationen, sondern auch mit dem Verfassungsschutz oder der Justiz zu tun. Und da kann schnell – siehe das Beispiel der Letzten Generation – der Vorwurf auf Bildung einer kriminellen Vereinigung lauten. Gemeinsam mit den Medien wird auch bei so manchem Kritiker die Existenzgrundlage in Form des Berufs zerstört. Wenn die steigenden Zahlen antisemitischer Straftaten beklagt wird, dann ist dies auch Resultat dessen, dass jede Kritik an der Politik Israels mit Antisemitismus gleichgesetzt und damit kriminalisiert wird.

Als Terrorist gilt ein jeder, dem der Staat die Legitimität der Gewaltausübung abspricht. Das trifft Staatsmänner anderer Nationen wie Privatpersonen. Entscheidend ist aber nicht die Form der Gewaltausübung, sondern z. B. bei anderen Staaten oder Staatsgründungsprojekten die Frage, wie sie zu den Interessen der hiesigen nationalen Führung stehen. Verbündete Staaten üben demnach nie Terror aus, auch wenn sie foltern oder die Vernichtung eines ganzen Volkes in Angriff nehmen.

Im Inland ist private Gewaltausübung generell verboten und ganz dem Staat vorbehalten. Was nicht heisst, dass damit die Gewalttaten in der Gesellschaft verschwunden wären, wie die Kriminalstatistiken eindrucksvoll beweisen. Private Gewalttaten sanktioniert der Staat mit seiner Polizei und Justiz, sie sind Verbrechen. Als Terror gelten sie dann, wenn ein politischer Hintergrund vermutet wird, die Tat also auf die Herrschaft des Landes zielt. Dann werden die Sicherheitsbehörden in ganz anderer Weise aktiv als bei der marktwirtschaftlich normalen Eigentumskriminalität oder der Gewaltkriminalität, die den Alltag von Partnerschaft und Familienleben kennzeichnet. Mit dem Vorgehen gegen die Terroristen schützt der Staat nicht in erster Linie seine Bürger, sondern seine Hoheit über sie. Nicht andere dürfen über Leib und Leben seiner Untertanen verfügen, das ist allein ihm vorbehalten – und welchen Gebrauch er davon machen will, wird zurzeit etwa als Wehrpflichtdebatte vorgeführt.

Platz 10: Bekämpfung des Klimawandels

„2023 war mit 10,6 Grad Durchschnittstemperatur laut Deutschem Wetterdienst das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen 1881. Auch weltweit dürfte der Wärmerekord geknackt werden. Grund: Klimawandel. Ob die beschlossenen Gegenmassnahmen ausreichen, ist umstritten.“ Die Folgen der rücksichtslosen Benutzung von Mensch und Natur bekommen die Bürger gerade als Starkregen und Überschwemmungen präsentiert.

Überall sind die Wirkungen des kapitalistischen Wirtschaftens hierzulande zu besichtigen – ob als riesige Löcher im Erdboden, die dann zu Seen umgewidmet werden, ob als Bodensenkungen nach Abzug der Kohlefirmen, die ihr Kapital längst in andere Sphären angelegt haben, als Industrieruinen, die zur Industriekultur erklärt werden; bestimmte Lebensmittel erhalten ein Biosiegel und dokumentieren so, dass die normalen Lebensmittel eigentlich ungeniessbar sind usw.

Mit dem Klimawandel hat nun die Zerstörung der Natur ein Ausmass erreicht, das die Lebensgrundlagen der gesamten Menschheit bedroht. Damit ist die Umweltzerstörung zu einem allgemein anerkannten Thema geworden. Dem Umweltschutz wird nun offiziell Rechnung getragen – soweit es eben dem Geschäft der eigenen Unternehmen in der Konkurrenz mit anderen Nationen nutzt. Wo der Nutzen fraglich ist, kann man natürlich nicht den hehren Zielen folgen, die auf internationalen Konferenzen beschworen werden. Damit ist die weitere Umweltzerstörung eine ausgemachte Sache, sodass sogar Bild Zweifel am Erfolg der „Gegenmassnahmen“ anmeldet.

Die Adressaten der Sorgen

Die Zeitung hat die Meinungsumfrage gleich so in Auftrag gegeben, dass die Bürger nicht einfach ihre Sorgen äussern sollten, sondern diese als 10 Gebote für die Politik formulieren: „Das muss die Politik 2024 anpacken.“ So lautete daher die Überschrift des dazugehörigen Artikels. Das ist natürlich eine leicht irreführende Ableitung der Staatsziele aus der Volksstimmung!

Die verehrten Bürger und Bürgerinnen können zwar Personen wählen, die die staatlichen Funktionen ausüben; Aufträge erteilen können sie nicht, sind doch die Gewählten nur ihrem Gewissen und nicht einem Mandat ihrer Wähler verpflichtet. Seltsam bei der ganzen Bestandsaufnahme der guten Vorsätze fürs Jahr 2024 ist zudem etwas anderes: Ausgerechnet diejenigen, die dieses Wirtschaftssystem verwalten und fördern – das den Bürgern (nicht nur) die Probleme Nr. 1 bis 10 beschert –, sollen ganz selbstverständlich die Adresse für die Beseitigung dieser Probleme sein.

Ein erstaunlicher Kurzschluss: Schliesslich haben die Verantwortlichen mit ihrem Wirtschaftskrieg die Inflation angeheizt, garantieren mit ihrer Mietpreisbremse den Vermietern regelmässige Preissteigerungen, senken die Renten, schliessen Handelsverträge mit Ländern, deren Bürger dadurch ihre Existenz verlieren, können die selbst gesteckten Ziele bei der Reduktion umweltschädlicher Emissionen nicht einhalten, weil das zur Reduzierung von Renditen führen würde usw. usf.

Warum sollen sie nun einfach anders handeln, wo sie mit all diesen Taten Deutschlands Stellung in der Welt und deren Wirtschaft voranbringen wollen? In diesem Vorhaben sind die Bürger eben die Manövriermasse, solange sie sich dies bieten lassen. Klagen dürfen sie natürlich immer und für etwas mehr als einen Euro können sie sich ein Blatt kaufen, das ihnen das Klagelied – im Sinne rechter Untertanengesinnung – vorsingt und mit vielen Bildern versieht.

Suitbert Cechura

Der Originalartikel kann hier besucht werden