Vom unterschiedlichen Einkommen der Bauern über deren Sonderrechte bis zum Vergleich mit den Klimaaktivisten.

Johannes Kaiser für die Online-Zeitung INFOsperber

Es ist erstaunlich, mit welcher Milde, welchem Verständnis, welcher Beschwichtigung Deutschlands Politiker auf den einwöchigen Bauernaufstand regieren. Es ist Wahljahr. Niemand möchte es sich mit dem Bauernstand verderben. Selbst viele Medien halten sich mit Kritik zurück, scheuen offenkundig eine Konfrontation, verteidigen bis auf wenige Ausnahmen den Bauernstand. Dem geht es angeblich schlecht und die geplanten Kürzungen der Dieselsubventionen seien nicht zu verkraften, so der Bauernvorstandspräsident. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt setzt noch eins drauf: Die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirte werde durch die geplanten Kürzungen stark eingeschränkt: «Die landwirtschaftliche Produktion wird massiv gefährdet durch diese finanziellen Einschnitte.»

Die Wahrheit der Statistik

Lassen wir die Zahlen sprechen. Laut der offiziellen Statistik des Deutschen Bauernverbandes hat jeder Haupterwerbsbauernhof letztes Jahr ein Einkommen von 115’000 Euro erzielt – eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr um rund 35’000 Euro. Selbst wenn man davon ausgeht, dass sich Bäuerin und Bauer das Einkommen teilen, sind 57’500 pro Kopf mehr als im Schnitt ein deutscher Arbeitsnehmer verdient, nämlich durchschnittlich 49’260 Euro. Kommt dazu, dass sich Lohneinkommen mit den Einkommen der selbständigen Bauern nicht direkt vergleichen lassen. Die Bauern können den ganzen Betriebsaufwand und alle Spesen abziehen. Dafür müssen sie allerdings noch Sozialabgaben auf ihr Einkommen abführen.

Kein anderer Berufszweig hat seine Einkommen gegenüber dem Vorjahr um 45 Prozent gesteigert. Nur Wein- und Obstbaubetriebe konnten da nicht mithalten. Auch wenn Bauernpräsident Joachim Rukwied kräftig klagt, dass die Jahre zuvor erheblich schwächer waren. Die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Nach Angaben des Thünen-Instituts nahmen die Einkommen schon die 15 Jahre zuvor jedes Jahr um 2,5 Prozent im Durchschnitt zu.

Dass sich die Landwirtschaft durchaus rechnet, zeigen die ansteigenden Pachtpreise für landwirtschaftliche Flächen. Da muss sich der Anbau schon lohnen, sonst würde die keiner zahlen.

Gewinne vom Staat und Brüssel

Doch die Landwirte haben ihre Einkommen nicht allein durch den Verkauf ihrer Produkte verdient. Die Statistik ist da eindeutig. Brüssel und die Bundesregierung haben laut Landwirtschaftsministerium jeden Betrieb mit rund 48’000 Euro subventioniert. Dazu kommen noch einmal Extrazuschüsse der EU in Höhe von 7,9 Milliarden Euro für Betriebe in benachteiligten Gebieten, sprich auf landwirtschaftlichen Flächen, die sich nicht leicht bearbeiten lassen oder schlechte Bodenqualität aufweisen. Dazu gehört in Deutschland etwa die Hälfte aller Agrarflächen.

Und neue Subventionen sind für den Stallumbau für mehr Tierwohl und den Stromverbrauch geplant. Der Staat subventioniert zudem die Alterssicherung der Landwirte und die landwirtschaftliche Krankenversicherung für Rentner. Ein Privileg, das andere Berufszweige nicht kennen.

Damit kommen wir zur nächsten Statistik: Statt des vollen Steuersatzes von etwas über 47 Cent für Diesel zahlen die Bauern nur rund 25 Cent. Fällt diese Subvention weg, und müssten sie wie alle Bürger voll zahlen, würde sie das im Schnitt pro Betrieb 2900 Euro im Jahr mehr kosten. Die Spritförderung macht keine sechs Prozent der gesamten jährlichen staatlichen und EU-Subventionen aus und etwa dreieinhalb Prozent des durchschnittlichen Einkommens von 115’000 Euro eines Betriebes. Dennoch behaupten die protestierenden Bauern, dass sie eine Anhebung des Steuersatzes in den nächsten zwei Jahren nicht verkraften können.

Der Tropfen, der das Fass überlaufen lässt

Angeblich ist das der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Es gehe nicht nur um die Dieselsubventionen, sagen die Bauernvertreter. Ständig neue Regeln würden die Landwirte gängeln und ersticken.

Nur wer hat dieses Fass gefüllt? Die Ampel-Regierung? Nein, 12 Jahre Merkel-Politik. Doch darüber redet der Chef des Bauernverbandes nicht.  Zwar gab es damals Proteste gegen die niedrigen Milchpreise und gegen die Nitratverordnung. Haben die Bauern die Republik deshalb lahmgelegt? Mitnichten. Der Bauernverband verstand sich ja mit der Regierung gut.

«Ohne Bauern kein Brot» und ähnliche Slogans waren jetzt auf den Treckern zu lesen. Mal ganz abgesehen davon, dass die Gemüse- und Obstregale der Supermärkte nicht von deutschen Bauernprodukten überquellen, die Dieseldebatte zeigt noch etwas anderes: Deutschlands konventionelle Landwirtschaft trägt absolut nichts zum Arten- und Klimaschutz bei.

Während jeder Bundesbürger über erhöhte Sprit-, Heiz- und Strompreise einen Beitrag zur Vermeidung der Klimaerwärmung leistet, weigert sich die konventionelle Landwirtschaft, ihren Teil dazu beizutragen. Ohne Katalysator verpesten ihre Traktoren die Luft. Selbst ungenutzt lassen sie ihre Trecker oftmals Ewigkeiten vor sich hin tuckern.

Treibhaustreiber Landwirtschaft

Der grossräumige Glyphosat- und Pestizideinsatz vernichtet die Wildpflanzen- und damit die Insektenvielfalt und vertreibt die darauf angewiesene Tierwelt in die Städte. Da findet sie den Schutz, den die intensive Landwirtschaft ihnen nicht mehr bietet. Ihr Einsatz von Kunstdünger und diversen Pflanzenschutzmitteln zerstört das sehr reichhaltige Bodenleben, tötet seine Bewohner.

Es scheint den Bauernverbänden auch normal, dass Nitratdünger an vielen Orten ins Grundwasser gelangen und es verschmutzen. 304 der insgesamt 1178 Grundwasserkörper weisen eine Nitratbelastung von über 50 Milligramm pro Liter auf, womit die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie weiterhin verfehlt werden. Doch verschärfte Eintragsrichtlinien stiessen auf massive Bauernproteste. Die Stickstoffemissionen durch die Landwirtschaft tragen dazu bei, dass auf jedem Hektar Land in Deutschland 50 Kilogramm Stickstoff landen und damit Magerböden und deren grossen Artenreichtum gefährden oder vernichten.

Nach den fossilen Brennstoffen ist die traditionelle Landwirtschaft mit 7,5 Prozent ein ebenso grosser Emittent von Treibhausgasen wie die gesamte Industrie. Zur Bruttowertschöpfung tragen die Bauern aber nur ein Prozent bei, die verarbeitende Industrie über 20 Prozent.

Dabei wird die Landwirtschaft dramatisch unter dem Klimawandel leiden, wie sich jetzt schon zeigt: Massive Überschwemmungen spülen die fruchtbare Bodenkrume weg, extreme Dürre lässt die Feldfürchte vertrocknen.

Was bietet der Bauernverband als Ausweg? Klimaschutzmassnahmen nur dann, wenn es neue Subventionen für Tierwohlställe gibt; mehr mechanische Bodenbearbeitung kostet mehr Aufwand und damit mehr Dieselverbrauch. Für die Nichtnutzung von 4 Prozent der Fläche eines Betriebes sind höhere Ausgleichszahlungen als bisher nötig und natürlich wollen sie einen finanziellen Ausgleich für Klimaschäden wie zum Beispiel verdorrte Getreide- oder Maisfelder.

Statistische Korrekturen

Und damit kommen wir zur notwendigen Differenzierung. Die Statistiken zeigen bekanntlich nur Durchschnittswerte. Es gibt ein deutliches Nord-Südgefälle. Die norddeutschen Landwirte mit oftmals hunderte Hektar grossen Schlägen haben weit mehr verdient als das statistische Durchschnittseinkommen: statt 115‘000 Euro über 180‘000 Euro in Schleswig Holstein, während es die kleinteilig wirtschaftenden Baden-Würtenberger nur auf 80‘000 Euro brachten. Und es gibt noch kleine Bauernbetriebe, die kaum mehr als 20‘000 Euro verdienen. Diese Höfe werden kaum überleben. Sie sind unter den heutigen Rahmenbedingungen nicht mehr konkurrenzfähig. Keine Subvention wird dieses Höfesterben aufhalten. Doch auf die Strasse gingen alle, vom reichsten Betrieb bis zum Kleinbauern, und klagten alle über bedrohliche Einkommensverluste und mangelnde Wertschätzung (wofür eigentlich?).

Klimafreundliche Biobauern

Und jetzt ist die nächste Differenzierung fällig: Bauer ist nicht gleich Bauer. Es gibt eine Bauernkategorie, die nur am Rande erwähnt wird: die Biobauern. Sie tragen deutlich zum Arten- und Klimaschutz bei, denn sie verpesten keine Äcker und Wiesen. Sie tragen keinen Kunstdünger ein, nur Naturdünger, der das Leben in der Humusschicht der Äcker erhält. Sie belasten das Grundwasser nicht mit Nitrit, ihre Kühe weiden den grössten Teil des Jahres draussen, nicht eingezwängt in Ställen, mit Importsoja gepäppelt. Ihre Wiesen werden nicht fünfmal im Jahr für Silage gemäht. Entsprechend gross ist der Pflanzenreichtum. Auf ihren Felder ist die Artenvielfalt überhaupt erheblich grösser. Die Betriebe emittieren weitaus weniger Treibhausgase als die intensive Landwirtschaft. Sie zu stützen dient tatsächlich dem Klima und der Gesellschaft. Sie sind tatsächlich auf Öko-Subventionen angewiesen, da sie sonst wenig konkurrenzfähig sind.

Klimaaktivisten oder Klimaverschmutzer?

Bleibt noch eine letzte Frage: Die Klimaaktivisten der letzten Generation haben mit ihren Aktionen in einigen Städten mehrere Strassen stundenweise gesperrt. Man kann einzelne Aktionen kritisieren, aber ihnen ging es nie um persönliche Einkommensverluste, private Gewinne, steigende Spritpreise, sondern immer um mehr Klimaschutz, der – da sind sich ja alle offiziell einig – dringend erforderlich ist. Der Verkehrssektor ist bekanntlich ein übler Klimakiller. Doch da passiert nichts.

Die bayrische Gerichtsbarkeit sieht aber nicht den Verkehrsminister in der Pflicht, endlich etwas zu unternehmen, sondern bezeichnet die idealistischen Klimaaktivisten als kriminelle Vereinigung und verfolgt sie entsprechend. Mancher christdemokratische Politiker redet gar von Terrorismus.

Die deutschen Trecker haben eine Woche lang die gesamte Republik lahmgelegt, Städte, Autobahnen, Häfen, Millionen Bürger an der berühmten «freien Fahrt», unter anderem zum Arbeitsplatz gehindert, so Millionenschäden verursacht. Alle fanden das okay. Legaler Protest. Kein Staatsanwalt ermittelt. Es fällt auf, wie unterschiedlich gewertet wird.