Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte wird dieses Jahr 75 Jahre alt – und wir leben in einer Zeit, in der sie ständigen Angriffen ausgesetzt ist. Darum gibt es die Ausstellung Mensch Recht Kunst von PRO ASYL und dem BBK Frankfurt e.V. Zwei Protagonist*innen erzählen von ihrer Arbeit, ihrer Geschichte und den Hintergründen der Ausstellung.

Wir haben Interviews mit Viktor Naimark und Venera Kazarova geführt, die sich an der von der Stiftung PRO ASYL und dem Berufsverband Bildender Künstlerinnen & Künstler Frankfurt (BBK) organisierten Ausstellung beteiligen. Hier gibt es alle Informationen zur Ausstellung in Frankfurt.

INTERVIEW MIT VIKTOR NAIMARK

»Entweder haben wir Menschen Rechte, und die sind allgemeingültig, oder wir haben keine«

Viktor Naimark wurde in St. Petersburg geboren, wuchs in der Sowjetunion auf und lebt seit 1990 in Frankfurt. Er ist im Vorstand des BBK Frankfurt e.V.

PRO ASYL: Viktor, wir kennen uns seit Jahren und konzipieren zusammen die Ausstellung »Mensch Recht Kunst«. Wann und wie bist du nach Deutschland gekommen? Was ist deine Lebensgeschichte?

Viktor Naimark: Nach Deutschland bin ich 1990 gekommen, also als die Sowjetunion noch existierte. Als zum ersten Mal ermöglicht wurde, aus der Sowjetunion überhaupt irgendwohin zu fahren, bin ich mit einer Einladung von Freunden nach Deutschland zu Besuch gekommen. Und seitdem bin ich da. Da wusste ich noch gar nicht, dass ich dann auch für immer bleiben werde.

Mein Ziel war eigentlich die USA. Offene Welt hieß für uns damals Amerika und über Deutschland wusste man nicht viel. Als ich schon in Deutschland war, wurde dann ein Kontingentflüchtlinge-Programm für jüdische Menschen aus Osteuropa aufgelegt, dadurch konnte ich dann das Visum verlängern. So bin ich dann ganz zufälligerweise in Frankfurt geblieben, seit über 30 Jahren.

Meine Mutter ist eine Überlebende des Holocausts. Sie stammt aus Prag, wurde nach Theresienstadt und von dort nach Auschwitz deportiert, es war ein Wunder, dass sie überlebt hat. Danach wurde sie dann von einem sowjetischen Arzt adoptiert und ins damalige Leningrad mitgenommen. Dort bin ich geboren, aber als es möglich wurde, ist sie wieder zurück nach Prag gegangen, wo sie bis heute lebt. Sie hat Bücher über ihr Leben geschrieben und auch das Bundesverdienstkreuz für ihren Einsatz für die deutsch-tschechischen Beziehungen erhalten. Ich selbst habe an der berühmten Kunstakademie in Sankt Petersburg Kunst und Architektur studiert.

»Menschenrechte sind für viele unserer Mitglieder keine abstrakte Vorstellung, sondern sie wissen sehr konkret, was dort passiert, wo sie keine Gültigkeit haben.«

Viktor Naimark

In Frankfurt bist du seit vielen Jahren im Vorstand vom Berufsverband Bildender Künstlerinnen und Künstler und hast immer wieder das Thema Asyl und Menschenrechte in deine eigene Arbeit eingebracht. Ich erinnere mich an Gespräche über eine Reise von deiner Frau und dir nach Sizilien und die Frage, wie Europa mit Geflüchteten umgeht.

Beim BKK sehen wir uns als Gestalter und Teil der Gesellschaft, dem es nicht egal ist, was rundherum passiert. Bei uns sind Menschen aus über 30 Nationen Mitglied und jeder bringt seine eigene Geschichte mit, die oft nicht so rosig war. Vielen geht daher nahe, was in der Welt passiert und Menschenrechte sind für sie keine abstrakte Vorstellung, sondern sie wissen sehr konkret, was dort passiert, wo sie keine Gültigkeit haben. Wir machen daher auch politische Veranstaltungen.

Wie nimmst du im Moment gerade die Situation in Deutschland und Europa beim Thema Recht auf Asyl wahr?

Ich würde sagen, die allgemeine Situation ist äußerst, äußerst kompliziert. Teile der Gesellschaft sind offenbar der Meinung, dass die Menschenrechte nur für ausgewählte Gruppen gelten sollen und nicht allgemeingültig sind. Und das, was wir in Europa als Lebensstandard empfinden, soll auch in diesem ausgewählten Kreis bleiben. Aber wenn das in diese Richtung weitergeht, dann verlieren wir das Ganze. Entweder haben wir Menschen Rechte, und die sind allgemeingültig, oder wir haben keine. Deshalb sind wir auch bereit, für Menschenrechte zu kämpfen.

Wir sehen, dass in Ungarn oder Polen die Freiheit der Justiz und die Pressefreiheit nicht mehr komplett gewährleistet sind. Dass Griechenland Schutzsuchende zurückschickt und auf dem Meer aussetzt. Dass immer mehr Staaten in Europa das Recht auf Asyl aushöhlen wollen. Kannst du etwas zur Verbindung deiner Arbeit mit diesem Thema erzählen?

Ich denke an die Ausstellung »Asyl Menschenrecht Bildung Exodus«. Ich weiß, was es bedeutet, ein Land zu verlassen. Ich weiß, wie schwer es ist, woanders dann etwas Neues aufzubauen. Und als Künstler versuche ich, mich auch künstlerisch damit auseinanderzusetzen. So sind dann mehrere Werke entstanden und dadurch auch ein Bild mit dem Titel »Exodus«, wo man einen Menschen sieht, der alles, was ihm wert ist, versucht, auf einer Karre mit zu schleppen. Mit dabei sind auch seine Erinnerungen. Das ist ein Symbol für mich, was Exodus auf privater Ebene bedeutet. In unserem Verein, in dem mehrere Künstler zusammenkommen, die selbst geflohen sind, haben wir mehrfach politische Ausstellungen durchgeführt. Das Thema Asyl ist uns nah und es ist ein Thema, das in unserer Gesellschaft immer wieder hochkommt, weil der rechte Flügel der Gesellschaft immer wieder versucht, Ängste zu schüren.

»Wenn man sieht, wie Menschenrechte immer wieder infrage gestellt werden, dann muss man mit allen Kräften etwas dagegen tun. «

Viktor Naimark

Auch deshalb haben wir die Ausstellung »Mensch Recht Kunst« und die größere Veranstaltung zu 75 Jahren Allgemeiner Erklärung der Menschenrechte geplant.

Für mich ist die Linie ganz einfach: Menschenrechte sind allgemeingültig, die kann man nicht geografisch trennen oder als etwas Elitäres verstehen. Und wenn man sieht – nicht nur in Deutschland, sondern auch im Rest von Europa oder in den USA – wie sie immer wieder infrage gestellt werden, dann muss man mit allen Kräften etwas dagegen tun. Da sehe ich dann unseren Beitrag, dass wir solche Veranstaltungen und Ausstellungen organisieren, dass wenigstens ein Podium für Diskussionen geschaffen wird. So dass man sieht, dass es Leute gibt, denen nicht egal ist, was passiert.

INTERVIEW MIT VENERA KAZAROVA

»Das Asylrecht ist die Möglichkeit für Menschen wie mich, Schutz zu finden«

Venera Kazarova wurde in Russland geboren, seit 2022 lebt und arbeitet sie in Deutschland. Als Künstlerin, die sich gegen den Ukraine-Krieg äußert, waren sie und ihre Familie in ihrer Heimat nicht mehr sicher.

PRO ASYL: Venera, seit wann bist du in Deutschland? Wieso und wie bist du hierhergekommen?

Venera Kazarova: Ich bin seit eineinhalb Jahren in Deutschland. Unmittelbar nach Kriegsbeginn war für mich und meine Familie klar, dass in Russland alles gefährlich wird. Es gab plötzlich viele Gesetze mit Einschränkungen der Freiheitsrechte, gerade auch für mich als Künstlerin. Ich möchte meine Meinung äußern und dabei keine Angst haben, verhaftet zu werden. Deshalb sind meine Familie und ich nach Deutschland gekommen und haben Asyl beantragt.

Der andere Grund, warum ich neben meiner politischen Meinung hier bin, ist meine Familie. Meine Freundin und ich leben in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft und wir haben einen Sohn. Das Leben für gleichgeschlechtliche Paare ist in Russland sehr gefährlich, besonders mit Kind. Man wird dort unter Druck gesetzt, dass einem das Kind weggenommen wird, wenn man sich zum Beispiel gegen den Krieg äußert.

Du sprachst von veränderten Gesetzen und von einem verstärkten Druck auch auf dich. Das war direkt nach Kriegsbeginn, als du als bekannte Künstlerin öffentlich den Krieg kritisiert hast.

Ja, hier bin ich unbekannt, aber in Russland war ich eine berühmte Künstlerin und hatte viele Kontakte. Aber alle Verträge wurden gekündigt, ich hatte keinen Job und meine Kuratorin hat gesagt, dass ich mich in einer sehr gefährlichen Situation befinde. Ich solle nicht gegen die Regierung sprechen und keine Posts mehr auf Instagram teilen. Ich habe mich dann entschieden, dass wir sofort gehen.

Wir sind froh, dass du es geschafft hast, hier zu sein.

Ich bin froh für meinen Sohn, weil er hier eine bessere Zukunft haben wird. Ja, hier ist nicht alles perfekt und es gibt große Schwierigkeiten, aber ich mag Deutschland und ich bin sicher, dass es hier gut für ihn ist. Für mich ist es sehr schwer, von vorne anzufangen, niemand kennt mich hier. Ich bin zwar in Sicherheit, aber ich habe keine Aufträge, keine Kontakte. Aber ich bedauere nicht, geflohen zu sein. Das war ein richtiger Schritt.

Wie nimmst du in Deutschland die politische Diskussion um das Recht auf Asyl wahr? Es gibt ja zunehmend Stimmen, die die Grenzen schließen und keine Schutzsuchenden mehr aufnehmen wollen.

Ich denke, als Asylbewerberin bin ich nicht in der Rolle, Deutschland hier zu kritisieren. Ich weiß, dass es schwer ist, weil viele Leute hierherkommen. Aber natürlich ist das Asylrecht die Möglichkeit für Menschen wie mich, die verfolgt sind – etwa, weil sie in Russland den Krieg kritisiert haben – Schutz zu finden.

»Für mich ist Deutschland wirklich ein sehr interessantes Feld, weil hier so unterschiedliche Menschen aus der ganzen Welt her kommen, mit sehr unterschiedlichen Hintergründen, Kulturen und Religionen.«

Venera Kazarova

In Deutschland leben ja sehr viele Geflüchtete aus verschiedenen Ländern. Und wir hören auch immer wieder, etwa in Bezug auf Flüchtlinge, die desertieren und nicht den Krieg wollen, dass die Menschen doch in ihrem Herkunftsland Widerstand leisten müssen. Was sagst du zu diesen Äußerungen vor dem Hintergrund deiner Lebensgeschichte?

Ich denke, dass es im Moment sinnlos ist, in Russland gegen die russische Regierung zu kämpfen. Wir kennen alle Beispiele von Menschen, die ihre Meinung gegen die Regierung geäußert haben. Sie sind alle im Gefängnis. Und die Propaganda funktioniert sehr gut: Meiner Meinung nach ist das das Problem, dass der größte Teil der Gesellschaft in Russland für die Regierung ist.

Es gibt auch zunehmend Soldaten, die sich dem Krieg entziehen und die nicht mitmachen wollen bei einem völkerrechtswidrigen Krieg. Aber in Deutschland erhalten sie nicht immer Asyl.

Je weniger Soldaten an der Front, desto besser. Es ist ein großer Fehler, dass die Menschen kein Asyl erhalten.

Welche Botschaft möchtest du noch an die Menschen senden?

Als Künstlerin beschäftige ich mich immer mit aktuellen Themen und da ich mich jetzt in Deutschland befinde, interessieren mich auch die Themen, die hier stattfinden. Für mich als Mensch, der von außerhalb kommt, ist das Land wirklich ein sehr interessantes Feld, weil hier so unterschiedliche Menschen aus der ganzen Welt her kommen, mit sehr unterschiedlichen Hintergründen, Kulturen und Religionen, die alle gleichzeitig mitwirken.

Ich möchte daher über mein Projekt sprechen: Ich freue ich mich sehr, beim Berufsverband der Bildenden Künstlerinnen und Künstler meine Performance mit Hörgeräten und Ohren zu zeigen, die sich darum dreht, wie das »Miteinander« funktionieren kann, wie unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Verständnissen an einem Platz zusammenleben können.

(Die Interviews wurden von Günter Burkhardt geführt)

Die Ausstellung läuft vom 8. – 23. Dezember und wird am Freitag, 8. Dezember um 18 Uhr in der Hanauer Landstr. 89 in Frankfurt am Main eröffnet.

Der Originalartikel kann hier besucht werden