Mit der “Kriegsfibel 2023” hat Alexander Kluge ein Werk über die Unwägbarkeiten des Krieges und seine Permanenz vorgelegt.

Ja, sie existieren noch. Noch! Menschen, die den großen Krieg im letzten Jahrhundert erlebt haben. Ein Kind dieser Zeit, in der der Krieg zu Ende ging, in der die Westanbindung eines Teils Deutschlands vollzogen wurde, in der der Kalte Krieg wütete und beendet wurde und die in einen neuen, zunächst kalten und dann heißen Krieg mündete, ist Alexander Kluge.

Er hat sich früh nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine zu Wort gemeldet.

Mit der Publikation “Russland Kontainer“ erinnerte er daran, was zwischen Deutschen und Russen an Gemeinsamkeiten wie Grausamkeiten geschah und im Keller des kollektiven Bewusstseins liegt. Mit der “Kriegsfibel 2023” schreibt Kluge ein weiteres Kapitel. Nicht über die Ambivalenz von Nationen, sondern über die Unwägbarkeiten des Krieges und seine Permanenz.

“Der Krieg ist wieder da!”

Es beginnt mit einem Déjà-vu. “Der Krieg ist wieder da”, erinnert sich der Autor als Zeitzeuge. Und vieles, was immer noch in seinen Sinnen präsent ist, hat eine eigentümliche Aktualität, um in der Folge aufzuräumen mit den Mythen, die jeder Krieg produziert. Von der Illusion technischer Sicherheit, von den ständig wiederkehrenden Ressentiments und den ebenso oft vorkommenden Zufällen, die gravierende Wenden nach sich ziehen und den vorübergehenden Ausgang des Krieges beeinflussen können.

Und Kluge stöbert nicht nur in dem nun vor uns liegenden Konflikt zwischen Zentral- und Osteuropa, sondern auch im Amerikanischen Bürgerkrieg, der eiternde Wunden bis ins Heute geschlagen hat und die US-amerikanische Gesellschaft immer wieder zu schmerzhaften Erlebnissen führt. (1) Nein, so Kluge, Kriege verlaufen nie so, wie die, die sie beginnen, sich das vorstellen.

Wer glaubt, mit der “Kriegsfibel 2023” ein Buch zu erwerben, das den jetzigen Krieg in der Ukraine erklärt und dokumentiert, wird enttäuscht werden. Alexander Kluge ist bekannt dafür, dass er in die tiefen Schichten von Phänomenen eindringt und sehr viel von seiner Leserschaft verlangt. Und die Botschaften, mit denen er sich als guter Didakt sehr zurückhält, haben es in sich. Sie zwingen zu einem gravierenden Perspektivenwechsel, egal auf welcher Seite man steht.

Die eine Quintessenz, die Kluge preisgibt, ist die Gewissheit, dass die wahren Chronisten des Krieges die Kinder sind. Da ist es unerheblich, was ein Herr Putin, ein Herr Biden, die Schreihälse subalterner Mächte oder die waffenstarrenden Militärbündnisse zum Besten geben. Wie es weiter gehen wird, nach der großen Vernichtungsshow, das werden die bestimmen, die als Kinder Zeugen dieser Material- und Menschenschlacht werden. Auf beiden Seiten!

Ein flüchtiger Blick

Und, auch das so ein Aperçu, das nur von einem Menschen kommen kann, der über das hohe Gut der Erfahrung verfügt: “Ist der Krieg ausgebrochen, hört die Herrschaft über ihn auf. Krieg duldet keine Vorgesetzten.” Führen Sie sich das vor Augen. Und versuchen Sie eine Prognose.

Kluge, ein Grandseigneur philanthropischen Denkens, hält sich auch da zurück. Er will nicht belehren, vielleicht weil er weiß, dass dieses Instrument in unseren Tagen durch häufigen Missbrauch allzu abgenutzt darniederliegt. Alexander Kluge reicht auch da ein Zitat: “Wer auch immer siegt, stürzt ab.” (Homer)

Informationen zum Buch

Kriegsfibel 2023

Autor: Alexander Kluge

Genre: Sachbuch

Sprache: Deutsch

Seiten: 444 Seiten

Veröffentlichung: 17. April 2023 (1. Edition)

Herausgeber: Suhrkamp Verlag

ISBN-13: 978-3-518-43153-5

Quellen und Anmerkungen

(1) Der Amerikanische Bürgerkrieg (auch Sezessionskrieg) dauerte von 1861 bis 1865. Es war ein militärischer Konflikt zwischen den aus den Vereinigten Staaten ausgetretenen Südstaaten, die in der Konföderation vereinigt gewesen sind, und den in der Union verbliebenen Nordstaaten (Unionsstaaten). Hauptursache für den Ausbruch des Bürgerkriegs war eine tiefe wirtschaftliche, soziale und politische Spaltung zwischen den Nord- und den Südstaaten.

Als Reaktion auf die Wahl von Abraham Lincoln, einem gemäßigten Gegner der Sklaverei, zum US-Präsidenten traten im Winter 1860/61 die meisten Südstaaten aus der Union aus. Der Krieg begann am 12. April 1861 mit der Beschießung Fort Sumters durch die Konföderierten und endete im Wesentlichen mit der Kapitulation der konföderierten Nord-Virginia-Armee in Appomattox Court House am 9. April 1865. Im Indianerterritorium, das im heutigen Oklahoma liegt, kapitulierten am 23. Juni 1865 die letzten Einheiten der Konföderierten.

Nach dem Sieg des Nordens wurden die Südstaaten im Rahmen der Reconstruction wieder in die Union aufgenommen. Die wichtigsten Folgen des Krieges waren die Stärkung der Zentralmacht, die verstärkte Ausrichtung des Landes als Industriestaat und die Abschaffung der Sklaverei in den USA. Ein Blick auf die heutige Gefängnisindustrie zeigt allerdings, dass sich noch immer Aspekte der Sklaverei finden lassen.

 

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