Die Einführung von Wirtschaftsbeschränkungen gegen die russische Atomindustrie gilt in der EU nach wie vor als eine Option. Allen voran Polen und die baltischen EU-Mitglieder Litauen, Lettland und Estland fordern schon seit Monaten Beschränkungen gegen die in Russland hergestellten und im globalen Urangeschäft sehr gefragten Brennelemente für Kernkraftwerke.

Von Alexander Männer

Laut Angaben des Magazins „Der Spiegel“ ist auch Deutschland für ein Vorgehen gegen die russische Atomsektor und zieht etwa Strafmaßnahmen für diejenigen Länder in Betracht, die trotz des Krieges in der Ukraine und der antirussischen Sanktionspolitik des Westens weiterhin Uran aus Russland importieren würden.

Allerdings ist so eine Strategie der Europäer nicht zuletzt aufgrund ihrer Abhängigkeit von russischem Uran sehr problematisch. Denn die entsprechenden Strafmaßnahmen können vor allem für die EU selbst, deren Energieversorgung zu einem Fünftel durch Atomkraftwerke gewährleistet wird, höchst negative Folgen haben.

So sei daran erinnert, dass Europa fast seinen gesamten Uranbedarf importieren muss und dass die russische Atomindustrie eine zentrale Rolle bei der Energieversorgung der EU spielt. Denn die Kernkraftwerke mehrerer EU-Mitglieder hängen vom angereicherten Uran und anderen Nuklearmaterialien ab, die man von dem russischen Staatskonzern „Rosatom“ bezieht. Angaben der Europäischen Atomgemeinschaft Euratom zufolge importiert die EU, die mit 110 Atomreaktoren etwa über ein Viertel aller weltweit vorhandenen Reaktoren verfügt, mehr als 20 Prozent ihres Uranbedarfs aus Russland. Etwa 20 Prozent kommen aus Kasachstan, wo ebenfalls Rosatom den Abbau und die Aufbereitung des Urans betreibt.

Ein Grund für die Nutzung des russischen Urans ist die Tatsache, dass die meisten Atomanlagen in Osteuropa von der Sowjetunion gebaut wurden und deshalb ausschließlich auf Brennelemente russischer Bauart sowie auf technische Dienstleistungen aus Russland angewiesen sind. Allerdings setzt auch Frankreich, dessen Energiehaushalt sich größtenteils auf die Atomkraft stützt, auf angereichertes Uran aus Russland und will seine Partnerschaft mit Rosatom offenbar deshalb auf keinen Fall aufgeben.

Die US-Zeitung „The New York Times“ hatte diesbezüglich zuvor darauf hingewiesen, dass es für die EU – ungeachtet des bestehenden Sanktionsregimes gegen Russland – einfacher sein sollte, einen Ersatz für russisches Öl und Gas zu finden, als die Abhängigkeit von Rosatom zu überwinden. „Die weltweite Abkehr von der russischen Atomindustrie würde ein schwerer Schlag sein. Die Lieferkette im Atombereich ist extrem komplex. Die Errichtung einer neuen (Lieferkette – Anm. d. Red.) wäre teuer und würde Jahre dauern“, heißt es.

Insofern können die besagten Sanktionen insbesondere für die Energieversorgung der EU katastrophale Folgen haben. Im schlimmsten Fall, so warnen Experten, hätte man eine weitere Verschärfung der Energiekrise, die schon zu einem Anstieg der Energie- und Verbraucherpreise, der Inflation und in deren Folge auch zum Kapitalabfluss aus der Eurozone geführt hat.

Die Risiken, die von Strafmaßnahmen gegen den russischen Atomsektor ausgehen, haben Frankreich, Ungarn und Bulgarien erkannt. Angesichts ihrer Abhängigkeit von Russland lehnen sie die Sanktionen gegen Rosatom ab und hatten so bereits den ersten Anlauf für die Durchsetzung entsprechender EU-Maßnahmen im Februar blockiert.

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