In den Zeiten vor dem Mauerfall reisten viele West-Berliner in Regionen am Ende der Transitstrecken durch die DDR. Die südliche Strecke Richtung München endete in Oberfranken. Dort ist die Landschaft von verstreuten Häusern geprägt, die Leute leben hier weitgehend isoliert und haben ihren eigenen Lebensstil und Traditionen entwickelt. Die städtischen Berliner wurden immer freundlich aufgenommen und so weit es ging in die dörflichen Festlichkeiten und Aktivitäten integriert.

Jahrzehntelang hielten sich die Gespräche mit den Einheimischen auf einem persönlichen, vielleicht auch oberflächlichen Niveau, Wetter, Ernte und Familie. Über Politik wurde nur sehr selten oder gar nicht diskutiert. In vielen Höfen leben drei Generationen zusammen und bald werden vermehrt Neugeborene der vierten Generation dazu kommen. In den letzten Jahren jedoch hat sich mit der Verschärfung der Corona und Klima Krise, der Inflation und des russischen Krieges gegen die Ukraine die Situation geändert. Die letzten Wahlen in diesem Landkreis haben, wie für Bayern typisch die CSU zur Gewinnerin (41% 2021), aber auch die extreme Rechte in Form der Partei der AFD (in einem Wahlbezirk 30%), nach vorne gebracht.
Politik und reale und gefälschte Nachrichten haben die Leute erreicht, und wenn man so will politisiert, zumindest emotionalisiert.

In Gesprächen der Einheimische untereinander und auch mit Zugereisten wird deutlich gemacht, dass man mit der momentanen Politik überhaupt nicht zufrieden ist. Bei einigen herrscht eine gewisse Form des Hasses auf Fremde und den politischen Gegner, hier hauptsächlich die Grünen. Das lässt sich auch in anderen Landesteilen Deutschlands zeigen. Nach neuesten Daten des „Thüringen-Monitors“, den die thüringische Staatskanzlei jedes Jahr in Auftrag gibt, sank die Demokratiezufriedenheit im Vergleich zum Jahr zuvor um 17 Prozentpunkte auf nur noch 48 Prozent. Vor allem in ländlichen Regionen lag die Akzeptanz demokratischer Werte deutlich niedriger. Auch demokratiegefährdende, rechtsorientierte und populistische Einstellungen sind auf dem Land stärker vertreten als in den Städten. Ebenso ist das Gefühl der Benachteiligung in den ländlichen Regionen stärker ausgeprägt. Sehen wir das nicht auch in vielen anderen Ländern, USA, Frankreich, um nur einige zu nennen. Es sind immer wieder die gleichen dumpfen, kruden Argumente, die offensichtlich verfangen und begierig aufgenommen werden.

„Es hat schon immer Warm- und Eiszeiten gegeben und vor langer Zeit schwammen Nilpferde im Rhein – dass sich das Klima verändert, ist ganz normal, der Mensch hat damit nichts zu tun. Was Politiker und Presse sagen, stimmt alles nicht, die wollen nur unser Geld- für die Grünen sollte man die Guillotine aufstellen etc“.

Naturwissenschaftler, Klimaforscher und generell die Wissenschaft haben natürlich eine andere Ansicht und diese müssen hier wohl nicht belegt werden. Sie sind sich einig, dass der Klimawandel menschengemacht und nur mit rigiden Maßnahmen abzumildern ist. Die Verleugnung des Klimawandels ist umso unverständlicher, als die meisten der auf dem Land lebenden Menschen bereits persönlich negative Erfahrungen gemacht haben. Es ist sehr trocken geworden. Dort, wo früher Teiche und Brunnen waren, sind sie versiegt. Die Fischteiche der Region haben sehr niedriges Wasser, einige Fischzuchten mussten bereits aufgegeben werden. Der gepflanzte Mais bringt nur noch sehr kleine Kolben und steht am Ende vertrocknet auf dem Feld. Die Trockenheit in den Wäldern lässt dem Borkenkäfer freien Lauf und überall sieht es im Wald chaotisch aus, da man das Holz schlägt, um wenigstens noch das, was da ist, zu vermarkten und den Wald zu retten.

Wie kommt es dazu, dass man all das ignoriert, dass man nicht persönlich die Augen öffnet, nicht sehen will?

Vor kurzem sagte der bayerische Ministerpräsident Söder auf einem Parteitag: „wir wollen, dass Bayern so bleibt, wie es immer war.” Was für ein Satz im Jahre 2023. Dieser Satz kommt bei den bayerischen Parteigenossen gut an und gibt es nicht auch in anderen Regionen dieser Erde viele Politiker, die so denken? Darüber sollte man nachdenken.

Ja, man möchte, dass es so bleibt, wie es war. Man möchte in der Familie, in dem eigenen Dorf und mit den eigenen Traditionen weiterleben. Dieser Wunsch ist weltweit und in vielen Kulturen verbreitet und nachvollziehbar. Aber ist es vertretbar, dass Politiker der heutigen Zeit so etwas unter die Menschen bringen? Ihnen vorgaukeln man könnte so weitermachen wie es war? Ist es nicht ihre Aufgabe den Menschen die Wahrheit zu sagen, die Fakten zu erklären, sie mitzunehmen in dem anstehenden Wandel? Ist es nicht ihre Pflicht den Menschen zu sagen, dass es eben mit 8,8 Milliarden Menschen und einer vollkommenen Vernetzung der Erdteile nicht mehr möglich ist, so wie es war weiter zu machen? Die Globalisierung hat den gesamten Erdball erfasst, ein weiter so, wie es mal war, kann es nicht geben. Wirtschaftliche Abhängigkeiten, Flüchtlingsströme, künstliche Intelligenz, der technologische Fortschritt und der Klimawandel machen ein weiter so wie bisher einfach unmöglich.

Ein Politiker, der solche Sätze in den Raum stellt und Hoffnung weckt, versündigt sich an der Generation der ungeborenen Kinder Bayerns und weltweit. Die Aufgabe der Politik ist es, die Menschen den notwendigen Maßnahmen zu überzeugen, sie aufzuklären und sinnvolle Maßnahmen sozial gerecht umzusetzen. Das kann man auch machen, ohne Kultur und Traditionen aufzugeben.

Söder meint aber auch noch eine andere „Kultur“.

Er sagt: „Bayern ist ein Auto-Land und wir möchten weiter mit Autos fahren.” Damit meint er Autos mit fossilen Brennstoffen und redet damit der PS protzenden Bevölkerung nach ihren Wünschen. Spricht man im Dorf über Elektroautos, hört man, es fehle der Sound und sie hätten nicht ausreichend Reichweite. Es wird also ein emotionales, der Sound, und ein rationales Argument, fehlende Reichweite, vermischt. Der Sound hat natürlich mit dem Wunsch, andere zu beeindrucken, eine Maschine zu beherrschen und auffällig zu sein, zu tun. Er schafft in den Fahrern ein Gefühl von Macht, Unabhängigkeit und Freiheit. Auch ein Mensch, meistens Mann, der normalerweise nicht viel Anerkennung findet, kann damit Eindruck gewinnen.

Das Argument der fehlenden Reichweite ist rational nachvollziehbar, denn auf dem Land fährt man längere Strecken als in der Stadt. Andererseits hat dort jeder die Möglichkeit, auf seinem Grundstück eine Ladestation anzuschließen. Für die Anschaffung der meist teureren E Autos und dem Bau einer Ladestation fehlen den Leuten aber nachvollziehbar die finanziellen Mittel. Das führt dazu, dass sie nach Auswegen suchen, wie sie ihre Lage verbessern können und diese Auswege erscheinen oft radikal und hoch emotional geprägt. Sie haben recht, wenn sie fragen, wer die Investitionen gegen den Klimawandel bezahlen soll? Man kann ihnen eigentlich nur antworten, dass diese Welt schon länger auch sozial aus den Fugen geraten ist. Wenn eine kleine Clique von Superreichen und Oligarchen, die sich Super Yachten, Inseln und abgeschottete Wohngebiete leisten können, die ihre Autos in den Weltraum schießen und ihre Macht immer weiter vergrößern, über das Schicksal dieser Welt entscheiden, dann werden natürlich weite Bevölkerungskreise abgekoppelt auf der Strecke bleiben.

Das geht u.a. auch aus einer 2019 im Auftrag des Deutschen Sparkassen – und Giroverbandes durchgeführten Umfrage hervor. Während in den städtischen oder stadtnahen Wohnlagen sich alle Befragten ähnlich zufrieden mit der persönlichen finanziellen Situation zeigten, sieht es auf dem Land offenbar deutlich anders aus, dort sieht jeder vierte seine Finanzen als „eher schlecht“ oder „schlecht“ an.

Verständlich, dass sie zornig sind. Paradox ist aber, dass sich ihr Zorn primär gegen die richtet, die ihre Situation verbessern wollen und nicht gegen die, die für ihre Lage verantwortlich sind. Eigentlich müssten Wohlhabende einen größeren Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels leisten und die Politik verstärkt auf die Energiekonzerne einwirken, mehr Ladestationen z.B. an Tankstellen und in Dörfern zur Verfügung zu stellen.

In den Städten sind die Menschen gegenüber der Elektromobilität aufgeschlossener. Viele der in der Stadt lebenden Menschen sehen die Dinge natürlich vollkommen anders. Sie sind kreativ und Fortschritt gläubiger und verlangen nicht, dass alles so bleibt wie es war und ist. Sie glauben an Entwicklungen im sozialen Bereich, in der Wissenschaft und im Umgang der Menschen untereinander. Viele begrüßen den Wandel und die Chancen durch Migration und empfinden ihn als positiv und herausfordernd. Das gibt aber vielen auch die Kraft, die Menschen auf dem Land zu verstehen, zu respektieren und in ihrer Lebensart zu akzeptieren.

Es bleibt also zu fragen, ob sich Stadt und Land versöhnen können? Kann der Mensch sich mit der Erde und seinen Ressourcen versöhnen? Kann die Bevölkerung aus dem Land und aus den Städten einen gemeinsamen Blick auf die Möglichkeiten des Zusammenlebens auf dieser Welt entwickeln? Wir haben ja nur eine und Stadt und Land sind untrennbar verbunden. Es wäre zu wünschen, dass es schnell passiert, denn die Natur setzt uns Grenzen und der Mensch wird hoffentlich intelligent genug sein, diese zu erkennen und zu akzeptieren. Zum Wohle der Städte und des Landes. Wie kann es also weitergehen, wie können sich Stadt und Land versöhnen und gemeinsamen Zielen zusteuern? Niemand hat dafür eine Formel, aber um diesen Konsens zu erreichen, muss es einen stärkeren Dialog zwischen den Leuten auf dem Land und den Städten geben. Er muss von Menschen zu Menschen erfolgen und auf der Basis eines gegenseitigen Verständnisses funktionieren. Respekt vor dem anderen ist die Grundvoraussetzung und so soll der Dialog unemotional und auf der Basis von Fakten weitergeführt und intensiviert werden. Jeder Einzelne ist aufgefordert, daran teilzuhaben!

https://thueringen.de/regierung/th-monitor

https://www.dsgv.de/sparkassen-finanzgruppe/publikationen/vermoegensbarometer-2022.html